Die rechtspopulistische FPÖ hat die Wahl in Österreich gewonnen. Dabei war die Geschichte der Freiheitlichen alles andere als ein durchgängiger Höhenflug, es gab Skandale, Abstürze und bestenfalls mittelmäßige Regierungsbeteiligungen. Jetzt der Sieg bei der Nationalratswahl. Wie ist das zu erklären?

Ein Interview

29,2 Prozent der Stimmen konnte die rechtspopulistische FPÖ bei der Wahl zum Nationalrat in Österreich auf sich vereinen. Das ist das beste Ergebnis der Partei in ihrer Geschichte. Die konservative ÖVP musste sich mit 26,5 Prozent der Stimmen als Zweitplatzierter zufriedengeben, die sozialdemokratische SPÖ mit 21 Prozent. Damit ist die bisherige Regierungskoalition zwischen ÖVP und Grünen abgewählt. Eine neue Regierung ist allerdings noch nicht in Sicht, denn keine Partei möchte mit der FPÖ unter Spitzenkandidat Herbert Kickl regieren.

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Wie geht es weiter in Österreich und welche Auswirkungen wird das Wahlergebnis auf die Beziehung zu Deutschland und innerhalb der EU haben? Das hat unsere Redaktion Politikwissenschaftler Markus Wagner von der Universität Wien gefragt.

Gründe für den Wahlsieg

Herr Wagner, wie erklären Sie sich den Wahlsieg der FPÖ?

Markus Wagner: Es gibt viele Faktoren. Es war eine Wahl, bei der alles in die Hände der FPÖ gespielt hat. Erst einmal gab die negative Grundstimmung aufgrund der wirtschaftlichen Umstände mit der Teuerung, aber auch mit dem zu geringen Wirtschaftswachstum. Dazu kam in den letzten Monaten vor der Wahl eine bestimmte Zuspitzung auf Themen, die der FPÖ halfen.

Welche waren das?

Das Thema Migration und vor allem in der Verbindung mit den Themen Sicherheit und Kriminalität. Das hilft natürlich der FPÖ, weil das ihre Kernthemen sind. Dazu kommen Themen, bei denen die FPÖ eine Sonderrolle innehat, etwa bei Corona, dem Ukrainekrieg und dem Klimawandel. Da besetzt die FPÖ viele extreme Positionen, die die anderen Parteien nicht übernehmen.

Inwiefern ist die Koalitionsregierung zwischen ÖVP und den Grünen für das Wahlergebnis verantwortlich?

Es ist sicher so, dass sehr viele Leute mit der Regierung unzufrieden waren. Und dass es vor allem dafür gesorgt hat, dass viele ÖVP-Wähler und Wählerinnen zur FPÖ gewechselt sind. Die ÖVP musste durch die Regierung mit den Grünen nach links rücken und da es in Österreich nur zwei rechte Parteien gibt, hat das den Raum für die FPÖ geöffnet, um dort Wähler abzugreifen, die sie seit der Ibiza-Affäre verloren hatte.

Zynismus in Österreich

Wie konnte die FPÖ nach der Ibiza-Affäre sich derart wieder aufrappeln?

Einerseits gab es einen personellen Wechsel an der Spitze. Mit HC Strache ist der Hauptverantwortliche gegangen. Herbert Kickl, der aktuelle Spitzenkandidat der FPÖ, ist ein ganz anderer Typ, der die Partei sehr effektiv geführt hat. Es gab sehr wenige Streitigkeiten und er wirkt auf die Wähler weder korrupt noch führt er einen luxuriösen Lebensstil. Man nimmt ihm ab, dass er an seine politischen Ziele glaubt.

Ein weiterer Punkt ist der Zynismus in Österreich. Hier ist der Glaube weit verbreitet, dass alle Parteien mehr oder weniger unehrlich sind und mit Geld schlecht umgehen können. ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz musste ebenfalls wegen eines politischen Skandals zurücktreten. Das ist also nicht nur ein FPÖ-Problem.

Inwiefern zeigt das Wahlergebnis die starke Verankerung von rechter Politik in der österreichischen Gesellschaft?

Unser Land ist insgesamt ein eher konservatives Land, das sieht man immer wieder an den Wahlergebnissen. Was wirklich selten vorkommt, ist ein Wahlergebnis, bei dem die Parteien links der Mitte große Gewinne verzeichnen konnten. Das gab es schon seit den 1970er-Jahren nicht mehr. Dass die FPÖ nun Wahlsieger geworden ist, ist trotzdem ein Novum.

FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl war als Innenminister bereits Teil der Regierung und stand schwer in der Kritik. Nun ist er Wahlsieger. Bedeutet das, dass die Rechtspopulisten sich in der Regierung gar nicht selbst entzaubern, wie oft behauptet wird?

Da bin ich zwiespältig in meiner Analyse. Die FPÖ war ja nun schon zweimal in der Bundesregierung, einmal 2000 bis 2005 und einmal von 2017 bis 2019. Beide Male fand eine Entzauberung statt. Bei ihrer ersten Regierungskoalition mit der ÖVP Anfang der 2000er-Jahre verstrickte sich die FPÖ in allerhand Wirtschaftsskandale. Die zweite Regierungszeit endete mit der Ibiza-Affäre.

Und trotzdem ist die Partei jedes Mal zurückgekommen…

Ja und da ist eben die Frage, wie langfristig diese Entzauberung wirkt. Es scheint so, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung trotz der Skandale bereit ist, die FPÖ zu wählen und von deren Agenda überzeugt ist. Und natürlich sorgt eine Regierungsbeteiligung dafür, dass ein Teil des Parteiprogramms umgesetzt wird.

Aktuell weigern sich die anderen Parteien, mit der FPÖ unter Kickl zusammenzuarbeiten. Auch wenn die FPÖ keinen Koalitionspartner finden sollte, welchen Einfluss kann sie trotz allem auf die Politik nehmen als stärkste Kraft im Nationalrat?
Sie hat einen kleinen direkten Einfluss. Die anderen Parteien sind durch das starke Ergebnis beeindruckt und werden sich inhaltlich anpassen, etwa durch eine rigidere Migrationspolitik, so wie es die Ampel-Regierung aktuell hinsichtlich der hohen Umfragewerte der AfD in Deutschland tut. Die anderen Parteien werden versuchen, auf die FPÖ-Wählerinnen und Wähler zuzugehen, um sie zurückzugewinnen.

Welchen Einfluss wird das FPÖ-Ergebnis auf die Beziehungen zu Deutschland und die EU-Politik Österreichs haben?

Hier erwarte ich keine darüberhinausgehenden Änderungen.

Über den Gesprechspartner:

  • Markus Wagner ist Professor für Quantitative Parteien- und Wahlforschung am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.

Verwendete Quellen:

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