Österreich ist weiter nach rechts gerückt am Sonntag. Gewonnen hat der 31-jährige Sebastian Kurz mit einer Strategie, die sich die CSU genau anschauen dürfte. Zum Problem für Merkel wird er aber voraussichtlich nicht werden.

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Der klare Gewinner der Wahlen in Österreich heißt Sebastian Kurz (ÖVP). Auch wenn noch schwierige Koalitionsverhandlungen vor dem "Wunderwuzzi" stehen - es deutet alles darauf hin, dass der 31-Jährige der jüngste Kanzler in der Geschichte des Landes wird.

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Hier lesen Sie fünf Lehren, die man aus dieser historischen Wahl ziehen kann.

1. Es kommt nicht aufs Alter an ...

Als Sebastian Kurz 2011 den ersten richtig großen Schritt auf der Karriereleiter machte, hagelte es Spott.

Ein 24-Jähriger, der bis dato nur mit seinem "Schwarz macht geil"-Wahlkampf in Wien aufgefallen war, und der nun Staatssekretär für Integration werden sollte?

Eine "Verarschung", schrieb der linksliberale "Standard" damals. Kurz nahm eine Sprosse nach der anderen, in atemberaubendem Tempo, am Sonntag stand er als Wahlsieger auf der Bühne im Wiener Kursalon Hübner, als designierter Kanzler, mit nur 31 Jahren.

Spätestens jetzt sollte das Etikett "Ausnahmetalent", das ihm seit Jahren anheftet, überklebt werden - er hat bei dieser Wahl sein Meisterstück in politischer Kommunikation vollbracht: Der altersschlaffen konservativen Volkspartei verpasste er einen Facelift von schwarz zu türkis, von Honoratiorenpartei zu Bewegung, vom Symbol des Stillstands zur Hoffnungsträgerin der Erneuerung.

2. … und auch nicht auf konkrete Inhalte

Die Kernbotschaften von Sebastian Kurz passten auf einen halben Bierdeckel: Es ist Zeit für Neues, und die Zuwanderung sorgt für Probleme in allen Bereichen der Gesellschaft - Bildung, Sozialsysteme, Sicherheit.

Sein Wahlprogramm präsentierte der ÖVP-Spitzenkandidat in drei Teilen, lange blieb er vage, vermied klare Ansagen. Eine "Strategie der Glätte" nannte das der Doyen der österreichischen Politikwissenschaft, Anton Pelinka, in einem Kommentar für die "Tiroler Tageszeitung" vor der Wahl.

Für einen Erfolg könne das reichen, orakelte Pelinka damals, und er sollte Recht behalten. Ganze 15 Prozent der ÖVP-Wähler gaben an, das entscheidende Motiv für ihre Entscheidung seien die Inhalte gewesen. Für 45 Prozent war es schlicht: der Spitzenkandidat.

Pelinka wies übrigens auch noch auf eine Gefahr der "Strategie der Glätte" hin, der Kurz nun begegnen muss: "Ein Rezept für die Regierungsarbeit ist es nicht".

3. Die Wähler gehen doch zum Schmiedl

So vage die Inhalte, so klar die Themensetzung des Sebastian Kurz. Nachzulesen war sie im internen Strategiepapier "Projekt Ballhausplatz", ein Chiffre für den Sitz des Kanzleramts, das im September durch ein Leak über die Medien an die Öffentlichkeit geriet. Die ÖVP hatte sich nie offiziell zu dem Papier bekannt. Zur Ausrichtung hieß es darin: "FPÖ-Themen, aber in die Zukunft gewendet".

Auch deswegen wird CSU-Chef Horst Seehofer die Entwicklungen in Österreich mit besonderem Interesse verfolgt haben. Zwar betonte er am Tag nach der Wahl im Nachbarland: "Wir müssen jetzt nicht alles neu erfinden." Doch entgeht ihm freilich nicht, dass Kurz erfolgreich die ominöse rechte Flanke geschlossen hat - mit einem FPÖ-blauen Wunder.

Noch im April dümpelte die ÖVP in der Sonntagsfrage bei 22 Prozent herum, die FPÖ thronte bei 32 Prozent.

Im Mai drehte Kurz die Partei auf rechts und die Umfragen zu seinen Gunsten - und widerlegte nebenbei die Schmied/Schmiedl-These, die seit Jahren in Österreich für den Umgang mit den Rechtspopulisten galt: Wenn eine Partei die Themen der FPÖ und auch die Sprache übernimmt, in der sie darüber redet, wählen die Menschen lieber das Original, also den Schmied statt den Schmiedl.

Die Konservativen holten aber am Sonntag ihre größten Zugewinne von den Rechtspopulisten nicht nur der FPÖ, sondern auch des Teams Stronach, der 2012 vom Industriellen Frank Stronach gegründeten Partei, die dieses Jahr ihre Selbstauflösung verkündete.

Allerdings sollte Horst Seehofer einen zweiten Blick riskieren: Die FPÖ darf für sich reklamieren, die anderen Parteien vor sich hergetrieben zu haben. "Sie hat den Wahlkampf dominiert", urteilte Politologe Anton Pelinka. Und sie hat sich vom Status als Protestpartei gelöst und eine stabile Wählerbasis gewonnen - drei von vier Menschen, die 2013 FPÖ gewählt haben, haben das auch am Sonntag getan.

4. Die Linke muss sich Gedanken machen

Ein Parlament ohne Grüne hat es in Österreich zuletzt vor über zwanzig Jahren gegeben. Nun sieht es so aus, als würde die einstige Avantgarde-Partei auch nach Auszählung der Wahlkarten aus dem Nationalrat fliegen - die derzeitige Prognose sagt 3,9 Prozent voraus, die 4-Prozent-Hürde knapp gerissen, ein Desaster.

Zu allem Überfluss belasten die Kosten des Wahlkampfes für Bundespräsident Alexander van der Bellen die Partei schwer, es droht die Insolvenz.

Die Gründe liegen in einem schwachen Wahlkampf und zwei Spaltungen: Erst verließen viele Junge Grüne die Partei, dann trat auch noch Veteran Peter Pilz im Streit aus, eine Art Hans-Christian Ströbele der Partei.

Seine Liste wird es in den Nationalrat schaffen, eine böse Pointe für die Grünen. Ganz in die Bedeutungslosigkeit wird die Partei nicht abrutschen, immerhin regiert sie in sechs Bundesländern mit.

Aber zu einer starken Opposition gegen die rechte Mehrheit im Parlament kann sie nichts beitragen - anders als die SPÖ, die trotz eines Chaos-Wahlkampfes ihr Ergebnis halten konnte, auch auf Kosten der Grünen.

Der Politikexperte Peter Hajek empfahl den Sozialdemokraten in der "Krone" eine "Neuaufstellung in der Opposition", ganz so, wie es die Genossen in Deutschland planen.

Der geschlagene Kanzler Christian Kern diagnostizierte in der "Elefantenrunde" einen "Rechtsruck", dem er etwas entgegensetzen wolle.

Der Weg zu einer linken Mehrheit ist aber weit: SPÖ und Grüne kommen zusammen auf gerade einmal 31 Prozent Stimmanteil, eine Linkspartei wie in Deutschland gibt es nicht.

5. Kurz ist alles, aber kein "Problem-Ösi"

Ja, Sebastian Kurz hat sich seit 2015 als eine Art Anti-Merkel positioniert. Ja, er rühmt sich gerne seiner guten Kontakte zu Ungarns Grenzen-dicht-Marktschreier Viktor Orbán.

Ja, er könnte eine Koalition mit der EU-feindlichen FPÖ eingehen. Aber die "Bild"-Frage, ob der "Wunderwuzzi" als Kanzler für Angela Merkel zum "Problem-Ösi" werden kann, sie scheint doch etwas überspannt.

Allein schon wegen der Größenordnung: In Österreich wählten am Sonntag ungefähr so viele Menschen wie in Niedersachsen.

Das Gewicht Wiens in Brüssel ist überschaubar, als Sebastian Kurz als Außenminister im April das Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei forderte, blieb er isoliert.

Auch eine forcierte Annäherung an Ungarn und die Visegrad-Staaten ändert daran nichts Substantielles - zumal Kurz sich klar zur Europäischen Union bekannt hat.

Bei seinem Wahlkampfauftakt sprach Manfred Weber von der CSU als Chef der Europäischen Konservativen ein äußerst freundliches Grußwort, in dem er klar Stellung bezog gegen die Rechtspopulisten und ihr EU-Bashing.

Inhaltlich trennt Merkel und Kurz auch nicht so viel, wie es auf den ersten Blick scheint: Spätestens mit dem Asylpaket II hat sich die deutsche Regierung einer Politik der Härte verschrieben, für die auch Sebastian Kurz gewählt wurde.

Beide wollen die Zuwanderung schon an Europas Grenzen stoppen, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln. Ein Dissens, der sich ausräumen lässt. Genauso wie die Maut-Streitigkeiten, die noch vor der Wahl in eine Klage gemündet waren.

Die große Unbekannte im deutsch-österreichischen Verhältnis wird nicht Kurz sein, sondern die FPÖ, falls es zu einer Koalition kommt.

Eine komplette Absage an die EU ist aber unter einem Kanzler Kurz genauso wenig vorstellbar wie eine ernsthafte Konfrontation mit Merkel.

Übrigens: Gefragt, wer denn als Erster zum Wahlsieg gratuliert habe, antwortete Kurz, er habe sich gefreut, dass die deutsche Bundeskanzlerin schon angerufen habe.


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