TV-Duell Christian Kern gegen Heinz-Christian Strache: Stefan Verra analysiert, wer besser abschnitt. Der Körpersprache-Experte im Interview über das beständige Lächeln des Kanzlers, Jörg Haiders Schmäh und die dünne Oberfläche des FPÖ-Chefs.

Ein Interview

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Herr Verra, wie haben sich Christian Kern und Heinz-Christian Strache gestern in den ersten Minuten körpersprachlich präsentiert?

Stefan Verra: Gleich zu Beginn hat mich positiv überrascht, wie beständig und konsequent der Bundeskanzler seinem Gegenüber in die Augen geschaut hat. Beinahe so, als ob er meine Analysen der letzten Tage gesehen und darauf reagiert hätte.

Kerns Kopf hat – anders als den letzten Debatten – auch überhaupt nicht gependelt; seine Augen waren weit aufgerissen. Vielleicht hat er damit sogar fast ein wenig übertrieben damit.

Derartig lange fixieren wir mit weit aufgerissenen Augen eigentlich nur dann eine Person, wenn uns etwas extrem überrascht. Das war gestern zu Beginn eigentlich nicht der Fall, denn Strache hat ja im Grunde nur "normal geplaudert".

Sein ruhiges Auftreten transportierte aber sehr wohl die Position des Alphas. Auch Kerns beständiges Lächeln war nicht schlecht, hätte aber durchaus ein wenig lockerer sein können.

Vor dem Hintergrund der Turbulenzen in seinem Wahlkampf ist es aber natürlich wahnsinnig schwer, hier vollends souverän und locker zu sein.

Also war dem Kanzler die Silberstein-Causa in seinen Gesten anzumerken?

Interessanterweise hat Kern das Thema selbst einmal aufgegriffen, dabei vor dem Hintergrund des Rücktritts des SPÖ-Geschäftsführers von "Verantwortungskultur" gesprochen und im Zuge dessen immer mit dem Kopf zugenickt.

Das tun wir dann, wenn wir uns selbst zustimmen, manchmal auch, wenn wir Worte aus uns regelrecht "rausbeuteln" wollen.

Im gestrigen Fall war das nicht die schlechteste Haltung, aber vielleicht etwas zu stark und daher nicht ganz souverän. Generell war Christian Kern am gestrigen Abend aber viel ruhiger als zuletzt bei den "Puls 4"-Runden.

Kommen wir zu Heinz-Christian Strache…

Auch der FPÖ-Chef war zu Beginn sehr ruhig, hat mit einer tiefen, sonoren Stimme gesprochen und mit einer aufrechten Kopfhaltung beeindruckt.

Das Ruhige und, wenn Sie so wollen, Staatsmännische ist aber dennoch nicht so wirklich seine Domäne. Diese Oberfläche ist sehr dünn. Ging Christian Kern gestern in die Offensive, ist Heinz-Christian Strache umgehend in seine angestammte Rolle, in seine aggressive Art zurückverfallen.

Straches Oppositionskörpersprache ist einfach besser als seine staatstragende. Generell muss man aber schon sagen, dass der FPÖ-Chef dennoch eine hohe Variabilität in seiner Kommunikation hat.

Obwohl er in seiner Gestik oft sehr laut und groß ist, hat er gestern zum Beispiel auch in einer Situation seine Entrüstung geflüstert. Ich schätze das körpersprachlich, wenn jemand eine Emotion auf mehrere Arten transportieren kann.

In der Körpersprache nennt man das "Das Gesetz der erforderlichen Vielfalt": Je mehr Verhaltensmöglichkeiten jemandem zur Verfügung stehen, umso mehr Zielgruppen kann er damit körpersprachlich abdecken.

Wer immer laut ist und auf den Tisch haut, holt die Frustrierten und Alleingelassenen ab. Andere wiederum schreckt das total ab. Jörg Haider war hier körpersprachlich ein Ausnahmetalent. Der konnte seine – körpersprachliche – Vielfalt darüber hinaus auch noch mit Schmäh versehen.

Gab es für Sie ganz besondere Momente im Zuge der gestrigen ORF-Diskussion?

Gab es, ja. Als es um die Mitgliedschaften in den Kammern ging, hat der Bundeskanzler absolut die Führung übernommen.

Da wurde auch er plötzlich in seinen Gesten laut und groß, was körpersprachlich richtig gut war. Denn: Wenn man ein Thema vorgibt, muss das auch mit einer gewissen Verve passieren.

Es war dann auch gut zu sehen, wie schwer sich Strache getan hat, dagegen vorzugehen. Er ist sofort in sein altes, aggressives Muster verfallen. Auch hier hat sich gezeigt, dass seine "staatsmännische" Oberfläche eine dünne ist.

Kern wiederum hat gestern das eine oder andere Mal asymmetrisch gelächelt, also mit einem Mundwinkel mehr als mit dem anderen. Körpersprachlich ist das suboptimal und ein Zeichen für Unentschlossenheit.

Grosso modo muss man aber sagen, dass sich beide Herren gestern gut wacker haben, weshalb ich denke, dass die Diskussion keine großen Wählerverschiebungen nach sich ziehen wird.

Stefan Verra, 44, stammt aus Lienz, wo er in einer Künstlerfamilie aufwuchs. Seit 1999 beschäftigt er sich mit dem Thema Körpersprache. Er ist Dozent, Coach und Autor ('Hey, dein Körper spricht', 'Hey dein Körper flirtet', 'Die Macht der Körpersprache im Verkauf'). Darüber hinaus hält er weltweit Vorträge zur Körpersprache für Unternehmen und Ärztekongresse und macht im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen das Thema für jedermann zugänglich.
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