Die Slowakei hat am Samstag gewählt – Sieger ist der linkspopulistische Ex-Premier Robert Fico mit seiner Partei "Richtung – Soziale Demokratie" (Smer). Sie kam auf knapp 23 Prozent der Stimmen, dahinter landet die liberale Kraft "Progressive Slowakei" (PS) mit rund 18 Prozent.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Das ist eine schlechte Nachricht für unser Land, für unsere Demokratie und unser Ansehen im Ausland. Die noch schlechtere Nachricht wäre es, wenn Robert Fico nun eine Regierung bildet", kommentierte der Zweitplatzierte Michal Simecka (PS) das Wahlergebnis.

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Langzeit-Premier Robert Fico, der bereits von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018 regierte, hat in der Tat gute Chancen, die nächste Regierung in Bratislava zu bilden und wieder ins Amt des Ministerpräsidenten zurückzukehren. Dafür muss Fico aber Koalitionspartner finden, mit denen er auf eine ausreichende Mehrheit kommt. Er benötigt dafür mindestens zwei Partner.

Als "Königsmacher" gilt die drittplatzierte Hlas-Partei von Peter Pellegrini. Wie auch Smer spricht sie sich für einen starken Sozialstaat aus, will aber – anders als Fico – an der Militärhilfe für die Ukraine festhalten. Im Wahlkampf hatte Fico nämlich immer wieder gefordert, diese zu beenden. "Keine einzige Patrone mehr" für die Ukraine, lautete eine seiner Forderungen.

Nur noch mit zivilen Gütern wolle man dem Nachbarland helfen, versprach er der Bevölkerung, bei der die Waffenhilfe unbeliebt ist. Bislang war das EU- und Nato-Land Slowakei einer der entschlossensten politischen und militärischen Unterstützer der Ukraine. Fast alle anderen ins Parlament gewählten Parteien sprechen sich für weitere militärische Unterstützung für Kiew aus.

"Richtungswahl" für die Slowakei

Schon vor der Wahl war die Abstimmung als "Richtungswahl" für die Slowakei bezeichnet worden. Beobachter befürchteten, mit einem Sieg des Linksnationalisten Fico könnte sich das Land vom Westen abwenden und den Kurs eines "zweiten Ungarn" einschlagen. Fico gilt als Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und hat immer wieder Sanktionen gegen Russland kritisiert und Ungarn als Vorbild gelobt.

Die Hlas, an der nun viel hängt, hatte sich vor drei Jahren von der Smer abgespalten und trat im Wahlkampf proeuropäisch und deutlich gemäßigter auf. Zusammen mit der kleineren nationalistischen prorussischen SNS – mit der Fico die Vision eines "Slowakei first" teilt – hätten Fico und Pellegrini (Hlas) eine Mehrheit im Parlament. Doch auch die konservative KDH ist eine Option als Regierungspartner. Und für die sozialdemokratische Hlas kommt wiederum auch die liberale PS als Partner in Frage.

Expertin: "Keine guten Nachrichten für die Ukraine und Europa"

"Nach den Wahlen in der Slowakei und der Auszählung der meisten Stimmen ist klar, dass das nächste Parlament mit sieben Parteien zersplittert sein wird", sagt Expertin Maria Skóra. Sie hält eine Koalition von Smer, Hlas und SNS für die wahrscheinlichste Option. "Das wären keine guten Nachrichten für die Ukraine und Europa", meint sie.

Doch auch, wenn Fico die militärische Unterstützung für die Ukraine beenden will, sagt Skóra: "Das Ergebnis deutet nicht auf eine generell sinkende Unterstützung für die Ukraine in der Gesellschaft hin." Eine Änderung der Regierungspolitik sei aber wahrscheinlich.

Das glaubt auch Experte Kai-Olaf Lang. "Wenn die Smer dominante Regierungspartei wird, ist damit zu rechnen, dass Robert Fico viel von Souveränität und nationalen Interessen sprechen wird", ist sich der Experte sicher. Bei innenpolitisch bedeutsamen Fragen wie der Migrationspolitik sei von ihm ein harter Kurs zu erwarten. Wie schon in der Vergangenheit werde Fico jegliche Form von verbindlichen Verteilquoten in der EU ablehnen.

Linie von Orbán würde gestärkt

Skóra glaubt, dass eine Regierung unter Fico vor allem die Linie des benachbarten Ungarn und Viktor Orbán in Bezug auf den Krieg stärken würde. "Obwohl die Slowakei und Ungarn kleine Länder sind, untergraben sie mit ihrer prorussischen Haltung die Einigkeit der Nato und der EU bei der Unterstützung der Ukraine", warnt sie.

Fico habe im Wahlkampf geschickt zwischen proeuropäischer und antiwestlicher, prorussischer Rhetorik manövriert. "Er stellte Viktor Orbán als ein Beispiel für einen Politiker dar, der die Interessen seines Landes an die erste Stelle setzt", erinnert sie. In dieser Hinsicht drohe die Slowakei zu einem unzuverlässigen, unberechenbaren Partner auf EU-Ebene zu werden, der möglicherweise Bündnisse mit Ungarn oder sogar Polen anstreben könnte.

Näher an Polen und Ungarn

Auch Lang sagt: "Die Slowakei rückt bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit und damit zusammenhängender Konflikte mit EU-Organen im Falle einer Smer-geführten Regierung ein wenig näher an Polen und Ungarn heran." Er vermutet jedoch, dass das Außenministerium in die Hände eines Routiniers gegeben werden dürfte – der für Kontinuität in vielen Bereichen sorgen werde. "Robert Fico war immer auch Pragmatiker. Die Slowakei ist als einziges Land in Ostmitteleuropa in der Eurozone, Fico selbst hat immer betont, dass er sein Land in der EU und auch in der Währungsunion verankert sieht", sagt er.

Auch die Partei Hlas, die Bestandteil der Koalition sein könnte, wolle ihr Image als sozialdemokratische und europafreundliche Partei nicht riskieren und stehe für eine moderate Linie in EU-Fragen. Hlas-Chef Pellegrini habe außerdem ausgeführt, dass seine Partei in einer künftigen Koalition Sicherheit darüber wolle, dass es zu keiner Veränderung in der außenpolitischen Orientierung komme. "Das bestätigt, dass Hlas in diesem Bereich keine grundsätzliche Neuaufstellung mitmachen wird", so Lang.

Ein Lager in der EU würde in einer Fico-Regierung gestärkt

Dennoch dürfe man nicht vergessen, dass eine Koalition, die von Smer geführt wird, nicht besonders harmonisch sein werde, ist Lang sich sicher. Eine Fico-Regierung würde das Lager derjenigen Länder in der EU vergrößern, die eine Kursänderung in der bisherigen Ukraine- und Russlandpolitik fordern, so der Experte.

"Zusammen mit der Regierung in Budapest gäbe es eine weitere Stimme, die die Sanktionen gegen Russland offen hinterfragen würde und bei weiteren Strafmaßnahmen Widerstand üben könnte – oder sich die Zustimmung teuer abkaufen lassen würde", analysiert er.

Nach Ungarn, das eine Art Realpolitik gegenüber der Ukraine betreibe, und Polen, das die Ukraine zwar strategisch unterstütze, aber immer stärker Eigeninteressen verfolge, könnte auch die Slowakei von ihrer aktiven Solidarität mit der Ukraine abrücken, sagt Lang.

Keine 180-Grad-Wende zu erwarten

"Anders als Polen, das auch künftig Russland-skeptisch bleiben wird, geschähe eine Neuausrichtung der Slowakei vor dem Hintergrund beachtlicher antiwestlicher und russlandfreundlicher Stimmungen in Gesellschaft und Politik", kommentiert er. Trotz allem sei von Fico in Bratislava kein kompletter Schwenk in der Russland- und Ukrainepolitik zu erwarten.

Eine Regierung der Smer müsste zwar allein schon aus innenpolitischen Gründen ihrer Wählerschaft demonstrieren, dass sie neue Akzente setzt. "Aber man wird wohl keine 180-Grad-Wende vollziehen", sagt Lang. Fico könne bestehende Vereinbarungen in puncto Militärhilfe nicht ohne Weiteres aufgeben: "Die Rüstungsindustrie im Land möchte auch nicht um wichtige Aufträge kommen."

Bedeutend auch für Deutschland

Auch für Deutschland ist die Wahl in der Slowakei nicht ohne Belang. "Die Slowakei ist, ähnlich wie Ungarn, zu einem Drehkreuz für die deutsche Automobilindustrie geworden", erinnert Skóra. Diese und weitere Wirtschaftsverflechtungen werde man aufrechterhalten wollen.

Auch Lang spricht von zahlreichen Banden zwischen Deutschland und der Slowakei. "Europapolitisch würde die Slowakei nicht auf Konfrontationskurs zu Deutschland gehen, nur bei einigen Themen wie Migration oder eventuellen Mehrheitsentscheidungen in der EU Differenzen zum Ausdruck bringen", schätzt er. Auch in der Sicherheitspolitik würde man sich nicht von Deutschland abwenden – das Engagement der Bundeswehr in der Slowakei, das Fico kritisch kommentiert habe, würde man kaum auf Null setzen wollen.

Über die Gesprächspartner:

  • Dr. Maria Skóra ist leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Projekt "RESILIO – Resilience observatory on the rule of law in Europe" am Institut für Europäische Politik (iep).
  • Dr. Kai-Olaf Lang leitet die Forschungsgruppe "Europa/EU" bei der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP). Zu seinen Forschungsgebieten zählen die baltischen Staaten, Mittel- und Osteuropa, die EU-Erweiterungspolitik und die östliche Partnerschaft.
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