Im US-Vorwahlkampf für das Präsidentschaftsamt wird der demokratische Kandidat Bernie Sanders von seinen Gegnern abschätzig als Sozialist und Radikaler gebrandmarkt. Doch der 74-Jährige verdient ein objektiveres Urteil. Schließlich fordert er nichts anderes als ein Gesellschaftsmodell nach westeuropäischem Vorbild.
Wenn sich in Deutschland einer als "demokratischer Sozialist" bezeichnet, denken viele an
Umso überraschender ist es, das ausgerechnet in jenem Land, das über Jahrzehnte massiv den Kommunismus bekämpfte, ein Mann für die Demokraten kandidieren könnte, für den das Wort Sozialismus kein Fremdwort ist. Überraschend zudem, dass diesem Mann die Wählerstimmen zufliegen - trotz übler Schmähungen auch aus den eigenen Reihen.
Bill Clinton attackiert Bernie Sanders
"Heuchlerisch, unehrlich, illusorisch, hermetisch verschlossen gegen die Wirklichkeit" – so beschimpft Ex-Präsident
Die Nerven bei den routinierten Clintons liegen blank. Schon einmal haben sie einen Außenseiter an sich vorbeiziehen sehen, einen, dem erst niemand eine Chance zubilligen wollte - und der dann der erste schwarze Präsident der USA werden sollte.
Jetzt also ein Sozialist. Doch wer ist dieser Bernie Sanders?
Zunächst einmal ist
Bernie Sanders ist 74 Jahre alt, wurde 1941 in New York geboren und verbrachte seine Kindheit nicht als Zögling eines alten Familien-Clans in einem riesigen Anwesen, sondern als Sohn eines jüdischen Einwanderers in Brooklyn.
Später besuchte er nicht eine der teuren Elite-Ausbildungsstätten, sondern die P.S.197 Elementary School, bevor er in New York und dann in Chicago Politikwissenschaft und Psychologie studierte. Dort schloss er sich für einige Jahre der "Jungen Sozialistischen Partei" Amerikas an und engagierte sich gegen den Vietnamkrieg.
Später trat er als Kandidat der Antikriegspartei "Liberty Union Party" (LU) bei einer Reihe von Wahlen an, bevor er 1981 als parteiloser Kandidat Bürgermeister von Burlington wurde - und das Vertrauen der Wähler lange behielt. Dreimal wurde er in dem Amt bestätigt.
Sanders ist kein Parteisoldat
1990 wechselte Sanders aus der Lokalpolitik auf die Bundesebene und wurde erstmals als parteiloses Mitglied in das Repräsentantenhaus gewählt. Dort blieb er mehr als 15 Jahre und trat erst ganz zum Schluss, 2015, der Demokratischen Partei bei. Nein, Sanders ist gewiss kein Parteisoldat.
Der zerknautsche Mann mit dem schütteren grauen Haar wirkt eher wie ein Hochschullehrer im Ruhestand, einer, der sich beharrlich weigert, die staubtrockenen Anforderungen des amerikanischen Politikbetriebs zu bedienen.
Wenn Sanders spricht, dann kommen da keine geschliffenen, politisch korrekten und auf ihre Wirkung vorab überprüften Sätze, sondern der Mann spricht frei - und argumentiert dabei weitaus strukturierter und schlüssiger als Donald Trump in seinen teils wirren Tiraden.
Manchmal etwas umständlich erklärt er seine Vision eines anderen Amerikas, seine Ideen, die viele im Land wenigstens als sozialistisch, wenn nicht gleich als "von Moskau gesteuert" brandmarken.
Zu diesem Bild passt, dass Sanders im Gegensatz zu seiner innerparteilichen Konkurrentin keine großen Spender hinter sich weiß. Im Gegenteil: Der Mann ist stolz darauf, nicht auf Großbanken und Milliardäre, sondern lediglich auf Kleinspender zu setzen, Studenten und Rentner - der Gegenpol des amerikanischen Establishments.
Revolution aus amerikanischer Sicht
Droht den USA also eine linke Revolution, sollte Sanders nicht nur Kandidat, sondern tatsächlich wie durch ein Wunder Präsident werden? Nach US-amerikanischem Verständnis könnte man das so sehen, nach europäischen Maßstäben indes nicht.
Denn entgegen aller Zuschreibungen ist das Programm des pazifistischen Außenseiters ungefähr so links wie die Ideen des rechten Flügels der deutschen Grünen. Damit ist Bernie Sanders das krasse Gegenteil von
Sanders steht im prüden und streng religiösen Amerika für die Legalisierung der Homo-Ehe und gilt nach seinen Erfahrungen als Vietnam-Veteran als überzeugter Kriegsgegner. Zudem bricht Sanders in den USA auch mit einem politischen Tabu und scheut sich nicht vor harscher Kritik an der israelischen Siedlungspolitik von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu.
Ebenso fordert Sanders ein Gesundheits- und Bildungssystem für alle, mehr Arbeitnehmerrechte wie etwa die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, progressive Steuermodelle zu Gunsten des ärmeren Teils der Bevölkerung und einen Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung.
"Ungeheuerlichkeiten" - wie Mutterschutz und kostenlose Hochschulen für alle - stehen auf dem Programm des bekennenden Sozialisten. Nach kommunistischem Moskau und DDR-Sozialismus klingt das alles nicht. Im Gegenteil.
Sanders Programm könnte in weiten Teilen auch Angela Merkel unterzeichnen, SPD-Chef Sigmar Gabriel sowieso. Sanders politische Vision orientiert sich am gesellschaftlichen Grundkonsens Europas. Was in den USA als kommunistisch gebrandmarkt wird, ist hierzulande weitgehend Realität.
Gemeinsam mit seinem authentischen Auftreten, der Absage an geschliffene Wahlkampfreden, aggressive Verbalattacken und gigantische Jubel-Inszenierungen könnte Sanders mit diesem Programm tatsächlich nicht nur Hillary Clinton gefährlich werden.
An der ewigen Präsidentschaftskandidatin zog beim letzten Mal der erste dunkelhäutige Präsident vorbei. Vielleicht folgt Barack Obama ja der erste amerikanische Sozialdemokrat in Weiße Haus.
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