Vor vier Jahren gelang Donald Trump ein Überraschungssieg in Michigan und Wisconsin. Seine Erfolge im sogenannten "Rostgürtel" waren damals wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Präsidentschaft. Dieses Mal kam es anders: Joe Biden holte sich die Wahlmänner beider Staaten - und das hat gute Gründe.

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Bei der Präsidentenwahl vor vier Jahren siegte Donald Trump in Michigan zur großen Überraschung seiner Konkurrentin Hillary Clinton mit vier Prozent Stimmenvorsprung – das brachte ihm die 16 Wahlmännerstimmen des US-Bundesstaates. Diesmal kam es anders: Die Zahl der republikanischen Wähler im "Rostgürtel" ist wieder geschrumpft – nun ist der noch amtierende US-Präsident der Überraschte.

Auch das jenseits des Lake Michigan gelegene, teilweise an Michigan grenzende Wisconsin gehört zum "Rust Belt" im Nordosten der USA. Und auch dort hat Joe Biden die demokratische Mehrheit zurückgeholt. Das bringt zehn weitere Wahlmänner, die ihm dabei helfen, auf die notwendigen 270 Stimmen für seine Wahl zum neuen US-Präsident zu kommen.

"America First" kam bei den Menschen vor vier Jahren an

30 Jahre lang, bis Donald Trump kam, waren Michigan und Wisconsin für die amerikanischen Demokraten eine "sichere Bank" gewesen. Die Arbeiterschaft im "Rust Belt", der lang als das "industrielle Herz" der USA galt, war gewerkschaftlich orientiert und wählte demokratisch. Doch im Wahlkampf des Jahres 2016 wusste Donald Trump geschickt, den Niedergang der amerikanischen Stahlindustrie auszunutzen. Seine Devise "Make America Great Again" versprach, die Macht der ausländischen Konkurrenz zu drosseln und so für die heruntergekommenen Stahlstandorte eine Renaissance einzuleiten.

Trump, erklärt der US-Experte Henning Riecke, habe die Ängste der Bevölkerung bestätigt, indem er ein düsteres Bild des wirtschaftlichen Niedergangs zeichnete – die Fotos etwa von zerfallenden Industriegebieten in der einstigen Autometropole Detroit kennt jeder Amerikaner.

Gleichzeitig habe Trump aber ein leicht verständliches Rezept aus nationalistisch-protektionistischen Zutaten angeboten – "America First" als zentrale Botschaft, unter anderem mit drastischen Einfuhrzöllen auf ausländischen Stahl. "Seine Rhetorik und das Versprechen staatlicher Investitionshilfen haben erst einmal verfangen", sagt Riecke. Außerdem habe Trump einzelne Unternehmen im "Rostgürtel" unterstützen können, so dass Jobs in den USA erhalten blieben.

Der Aufschwung war da – doch dann kam Corona

"Ein Aufschwung hatte schon unter Obama begonnen, die Börsen reagierten positiv auf Trumps Versprechen und seine Steuersenkungen", konstatiert Riecke. "Trump konnte dies als Erfolg vermarkten. Die Menschen in den Industrieregionen haben auch daran geglaubt". Allerdings seien mehr produzierende Jobs aus den USA abgewandert als Trump habe zurückholen können.

Der Handelskrieg mit China habe Gegenzölle auf landwirtschaftliche Produkte gebracht – schlecht für die amerikanischen Farmer. Zudem habe das Coronavirus dem Präsidenten einen Strich durch die Rechnung gemacht: Die Pandemie wirkte sich negativ auf die Umsatzkurven aus, im ganzen Land stieg die Zahl der Arbeitslosenzahlen sprunghaft an. Trotz dieser Entwicklung dürfte auch diesmal ein großer Teil der Arbeiterschaft und der eher schlecht ausgebildeten weißen Landbevölkerung dem republikanischen Kandidaten die Stimme gegeben haben.

Umfragen zeigen, dass auf der Prioritätenliste dieser Wählergruppe die wirtschaftliche Entwicklung ganz oben steht. Die Angst vor Corona dagegen rangiert viel weiter unten – ebenso wie andere Anliegen der Demokraten, etwa die Gesundheitsfürsorge. Zudem, meint Riecke, verkehre dieser Bevölkerungsteil zum großen Teil "im selben Orbit wie der Präsident". Dort nehme man die Welt aus der Perspektive des Präsidenten wahr, glaube den tendenziösen Nachrichten von Fox News ebenso wie den Behauptungen von Donald Trump auf Twitter.

Die Wechselwähler wechselten zurück

Aber so sehen und empfinden nicht alle. Mit einem anderen Teil der Wählerschaft hat Trump es sich mittlerweile wohl verscherzt: Die städtische Bevölkerung, meint Riecke, mache den Großteil jener Wechselwähler aus, die 2020 wieder zurück zu den Demokraten schwenkten: Wähler, die nichts mit seinem populistischen Verhalten anfangen können, habe der Präsident 2020 "nicht mehr erreicht."

Trumps Unzuverlässigkeit, seine Lügen, sein angeberischer Habitus habe diese wieder aus seinem Lager vertrieben. Und auch sein "ständiges Dazwischenreden wie ein sechsjähriges Kind" beim TV-Duell mit Joe Biden sei wohl vielen von ihnen "sehr negativ aufgefallen". Auch Trumps Umgang mit der Corona-Epidemie kam bei dieser Wählerschicht wohl nicht gut an – sie hätte wohl eher zum bedächtigeren, vorsichtigeren Umgang mit dem Virus geneigt, wie ihn Joe Biden vertrat.

Von den Ängsten der Zukunft profitierten diesmal die Demokraten

Trump habe bei diesem Thema in den Augen des städtischen Mittelstandes "gestümpert" und so wiederum Zukunftsängste bestätigt, meint Experte Riecke. Betroffen davon seien "nicht nur Menschen am Rande der Armut und des Prekariats, sondern auch der Mittelstand, der sein ganzes Lebensmodell in Gefahr sieht." Ganze Bevölkerungsgruppen hätten nun wieder Angst vor der Zukunft: "Die Vorstellung von einem eigenen Haus, von einem oder zwei Autos und einer gesicherten Ausbildung für den Nachwuchst gerät in Gefahr."

Dabei handle es sich längst nicht mehr um "individuelle Befürchtungen", sondern um ein "ganzes Lebensmodell", das auf wackeligen Beinen stehe. Wer solche Ängste hegt, ist für andere Bilder empfänglich, meint Riecke, etwa für die Fotos von Menschenschlangen, die sich vor den öffentlichen Suppenküchen in den Städten bilden.

Auch diese Bilder hätten zu einer zusätzlichen Mobilisierung der Demokraten geführt und viel mehr Menschen als üblich an die Wahlurnen getrieben. Bemerkenswert an dieser Interpretation der Vorgänge ist aber ein weiterer Aspekt: Trumps Niederlage erscheint weniger als Erfolg von Joe Biden, sondern eher als Folge seiner eigenen Fehler.

Über den Experten: Dr. Henning Riecke ist Experte für internationale Sicherheit und transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin.
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