Die "brats" sind unter uns – und eine von ihnen ist laut Social Media die US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Aber was genau bedeutet das?

Ein Interview

Am 22. Juli postete die britische Sängerin Charli XCX auf X den Satz "kamala IS brat" - und machte Kamala Harris damit zu einem Social-Media-Phänomen. Der Post wurde bis heute von über 53 Millionen Menschen gesehen.

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"Brat" bedeutet auf Deutsch so viel wie "Göre". Es geht gegen alle gängigen Social-Media-Trends, bei denen perfekt aussehende Menschen sich in ihren perfekten Häusern ihrer Skincare-Routine und dem Vertilgen von ausschließlich gesundem Essen hingeben.

Dr. Katja Muñoz
Dr. Katja Muñoz forscht zum Zusammenspiel von Social Media und Politik. © DGAP

"Brat", das ist die Farbe Knallgrün, das ist ein bisschen schmuddelig sein, rotzig, "eine Packung Zigaretten, ein BIC-Feuerzeug und ein weißes Tanktop ohne BH" - so definiert es Charli XCX laut "BBC" selbst. In erster Linie geht es darum, man selbst zu sein.

Katja Muñoz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erklärt, was der Trend für den Wahlkampf bedeutet, welche Macht die GenZ hat und wie die Demokraten diesen Moment jetzt für sich nutzen können.

Frau Muñoz, wird Social Media den US-Wahlkampf entscheiden?

Katja Muñoz: Mitentscheiden werden die Plattformen in jedem Fall. Ob sie ausschlaggebend für die finale Entscheidung sein werden, das hängt von der Demografie ab. Memes und die Online-Welt können eine Menge bewirken. Mit dem "kamala IS brat"-Trend, hat es ziemlich stark angefangen.

Solche Social-Media-Phänomene werden vor allem mit der jüngeren Generation, der sogenannten Gen Z, in Verbindung gebracht. Haben junge Menschen die Macht, die Wahl zu entscheiden?

In den USA definitiv. Social Media schafft es, Millionen junger Menschen gleichzeitig zu erreichen. Trends wie "brat" können sehr schnell groß werden. Solche Hypes werden nicht von oben gesteuert, sondern sehr stark von unten, man nennt das auch "Grassroot"-Bewegung.

Die letzten Tage waren eine Katastrophe für die Republikaner und für Trump.

Können Sie diesen Begriff genauer erklären?

Man könnte es auch politische oder gesellschaftliche Initiative aus der Basis der Bevölkerung nennen. Im Fall von Harris haben sehr viele Menschen sofort originale Inhalte erstellt und gepostet. Die Memes von Charli XCX haben unglaublich viel dazu beigetragen – so wurde es für viele noch leichter, die Inhalte zu teilen.

Sie meinen Menschen, die normalerweise nicht über Politisches sprechen, sich aber durch die Verbindungen von Popkultur und Politik doch dazu äußern.

Es sind Influencer, die sich mitreißen lassen und deswegen zu dieser Welle beitragen. Und dadurch kann der Algorithmus ja nichts anderes machen, als zu reagieren und diese Inhalte zu pushen. Das sind Menschen, die seit Jahren eine Beziehung zu ihrer Community haben, da ist Vertrauen da, eine emotionale Bindung. Das heißt, wenn diese Person sich politisch äußert, dann höre ich zu. Und zwar so, wie wenn ich meiner Mutter oder einer Freundin zuhören würde.

Können Social Media Trends einen direkten Einfluss auf die Politik haben?

Mit Donald Trump haben wir gesehen, wie man Social Media wirklich für politische Zwecke nutzen kann, er hat dort sehr stark mobilisiert. Ob man jetzt positiv oder negativ über ihn gesprochen hat, ist egal. Wichtig ist, es wurde über ihn gesprochen. Und diesen Raum nimmt grade Kamala Harris ein.

Und was ist derzeit mit Donald Trump?

Im Moment schafft er es nicht mehr, in den sozialen Medien zu dominieren. Die letzten Tage waren eine Katastrophe für die Republikaner und für Trump. Fox News versuchte das zu kitten, indem gesagt wurde, der jetzige Harris-Hype wäre nur vorübergehend, eine "honeymoon phase". Aber das wissen die Leute auch. Sie wissen, dass sie das Momentum bewahren müssen, damit es sich weiterverbreitet.

Auf einmal kommt Kamala Harris und auf einmal ist für viele da wieder diese Hoffnung, dass es okay ist, gleichzeitig ehrgeizig, unsicher, stark und verletzlich zu sein.

Wie wurde Kamala Harris überhaupt "brat"?

Sie folgt nicht nur einer Linie. Sie ist eine schwarze Frau, die Präsidentin werden will, neuerdings scheint sie einige Menschen mit Ihrem lauten Lachen zu provozieren und ist gleichzeitig auch verletzlich – das alles ist eine Rebellion, ein Widerspruch, genau das ist "brat". Diese Komplexität, die sie widerspiegelt: Ich nehme an, dass es das ist, was Charli XCX gemeint hat, als sie geschrieben hat: "kamala IS brat".

Was genau meinen Sie mit diesen Widersprüchen?

Eine Frau, eine Politikerin, die für das mächtigste Amt im Land kandidiert, sollte sich nicht in ihrer Art anpassen müssen, nur um das zu erfüllen, was von ihr erwartet wird. Man darf Widersprüche in sich tragen.

Wieso funktioniert dieses Konzept so gut, vor allem bei jungen Leuten?

"Brat" und der damit verbundene "Brat girl summer" – das ist eine Philosophie. Eine Rebellion und auch ein Eingeständnis der Generation Z. Die "brat"-Bewegung ist ein Kind unserer Zeit: Es ist in Ordnung, erfolgreich zu sein und sich trotzdem zu fragen, wie die Karriere zum Beispiel mit einem Kinderwunsch vereinbar ist. Vielleicht ist es grade dieses rebellische und auch gleichzeitig verletzliche, was bei der GenZ sehr gut ankommt. Viele junge Menschen haben keine Lust mehr auf diese typische perfekte Ästhetik, die auf sozialen Medien vorherrscht. Auf einmal kommt Kamala Harris und auf einmal ist für viele da wieder diese Hoffnung, dass es okay ist, gleichzeitig ehrgeizig, unsicher, stark und verletzlich zu sein.

Bis zur Wahl sind es noch einige Wochen, das Blatt könnte sich also jederzeit wieder wenden. Wie können die Demokraten es jetzt schaffen, den Trend bis November aufrechtzuerhalten?

Die "Grassroots"-Bewegung ist wesentlich stärker als alles, was Kamala Harris oder ihr Social-Media-Team posten könnte. Es wurde von unten geliefert, aufgenommen und Harris und ihr Team haben mitgemacht. Das heißt, man wird auch weiterhin versuchen, so viel wie möglich aus dieser Bewegung mitzunehmen. Es geht nicht darum, selbst Inhalte zu erstellen, sondern Steilvorlagen zu bieten, welche die Menschen online nutzen können, um den Trend zu erhalten.

Ist Kamala Harris die Antwort auf Donald Trump?

Es scheint so. Wenn dieses Momentum beibehalten wird, dann wird es sehr schwer für Trump wiedergewählt zu werden.

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Katja Muñoz ist seit Juni 2022 Research Fellow im Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie erforscht im Rahmen ihrer Tätigkeit das Zusammenspiel zwischen sozialen Medien und Politik. Ihr Fokus liegt unter anderem auf dem Mobilisierungspotenzial von Influencerinnen und Influencern in den sozialen Medien.

Verwendete Quellen

Kamala Harris hält eine Rede.

Kamala Harris ist jetzt auf TikTok

Kamala Harris ist jetzt auf TikTok. In ihrem ersten Video begründet sie diesen Schritt. Ihr republikanischer Konkurrent Donald Trump ist schon länger auf der Plattform aktiv.
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Teaserbild: © dpa / Elizabeth Conley/Houston Chronicle/AP