Das Duell der kommenden Präsidentschaftswahl in den USA steht so gut wie fest: Amtsinhaber Trump dürfte vom ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden herausgefordert werden. Dafür machte Bernie Sanders mit seinem Ausstieg zuletzt den Weg frei. Was aber bedeutet das Duell für die Demokraten? Amerikaexperte Christof Mauch analysiert die Situation – auch in Hinblick auf die aktuelle Coronakrise.
Es war ein Paukenschlag im Rennen um das Präsidentenamt in den USA: Am vergangenen Mittwoch (8.) gab Bernie Sanders seinen Rückzug aus dem Vorwahlkampf bekannt. Mit den Worten "the path toward victory is virtually impossible" ("Der Weg zum Sieg ist geradezu unmöglich") verkündete der 78-Jährige die Einstellung seiner Kampagne.
Progressiver Flügel schwer enttäuscht
Der Amerikahistoriker Christof Mauch lehrt an der Ludwigs-Maximilian-Universität in München und hat den Vorwahlkampf von Anfang und aus nächster Nähe an beobachtet. Das Duell Trump vs. Biden ist für die Demokraten in seinen Augen ein zweischneidiges Schwert.
"Durch sein Ausscheiden hat Sanders den progressiven Flügel der Demokraten schwer enttäuscht, aber dem Establishment der Demokraten einen Gefallen getan", urteilt der Experte im Gespräch mit unserer Redaktion. Für die Demokraten sei es ein Vorteil, dass zu einem relativ frühen Zeitpunkt nur noch ein Kandidat im Rennen ist. Dadurch gäbe es keine Debatte mehr zwischen Sanders und Biden, die die verschiedenen Lager innerhalb der Partei deutlich sichtbar gemacht und Biden geschadet hätte.
Joe Biden ist "weder zweite noch dritte Wahl"
Doch Mauch unterstreicht: "Eine kürzliche Meinungsumfrage hat gezeigt, dass eine Mehrheit der Demokraten sich einen anderen Kandidaten als Joe Biden wünscht. Wenn die Basis wählen könnte, würde sie Andrew Cuomo nominieren, den Gouverneur von New York, der aber mehrfach abgewunken hat."
Für die meisten Sanders-Anhänger sei Biden daher weder zweite noch dritte Wahl. "Für sie ist die Rückkehr zur 'Normalität' der Obamazeit keine Alternative zur Revolution, zur Bildungs-, Gesundheits- und Sozialrevolution à la Sanders", macht Mauch deutlich. Der Senator aus Vermont bedient das linke Lager, forderte im Wahlkampf höhere Steuern, einen Mindestlohn von 15 Dollar und eine staatliche Krankenversicherung – und konnte auch junge Menschen für sich gewinnen.
Horror-Szenario: Gehen die Sanders-Jünger nicht zur Wahlurne?
"Es ist Biden bisher nicht gelungen, unter Jugendlichen Enthusiasmus zu erzeugen. Was sie an Sanders schätzen - die unbeugsame radikale Oppositionsstimme aus dem Off - kann Biden nicht bieten", so Mauch. Momentan sehe es nicht danach aus, als könne Biden progressive Wähler motivieren und mobilisieren.
Dabei wäre genau das von großer Bedeutung: Horror-Szenario ist für viele Demokraten, dass die Sanders-Anhänger gar nicht erst zur Wahlurne gehen. "Es reicht nicht aus, Anti-Trump-Kandidat zu sein, um die Leute zur Urne zu bringen", stellt auch Experte Mauch klar. Biden sei sich dieses Problems einigermaßen bewusst und wisse, dass er sich bewegen müsse – und zwar nach links.
Sanders stellt sich hinter Biden
Sanders hat sich inzwischen hinter den ehemaligen Vizepräsidenten gestellt – Biden versprach im Gegenzug inhaltliches Entgegenkommen. In einer Video-Botschaft wandte er sich an die Sanders-Jünger: "Ich sehe euch, ich höre euch." Ob Biden damit die Demokraten hinter sich als Präsidentschaftskandidat versammeln kann, bleibt offen.
"Längst arbeitet die politische Biden-Maschine hinter den Kulissen daran, progressive Organisationen und Bewegungen für die eigene Kampagne zu gewinnen", beobachtet Mauch. So seien Bidens Unterstützer mit "Planned Parenthood" und den Klimaaktivisten des "Sunrise Movement" in Kontakt. Gerade die Klimapolitik wird in Mauchs Augen für die Sanders-Anhänger zentral sein.
Doch der Experte malt noch ein weiteres Schreckgespenst für die Demokraten an die Wand: "Eine echte - und fast durchgängig ignorierte - Gefahr für Biden besteht darin, dass unzufriedene Sanders-Anhänger Trump wählen könnten." Immerhin stimmten bereits vor vier Jahren zwölf Prozent der Sanders-Jünger nicht für Hillary Clinton, sondern für Trump.
Mauch erklärt: "Der demokratische Sozialismus von Sanders und der Trumpismus tragen beide populistische Züge. Sanders und Trump stacheln mit ihren Botschaften unter anderem Fabrikarbeiter an, die ihre Jobs verloren haben, und denen Biden zu konform und zu bürgerlich ist."
Trump hätte sich Sanders gewünscht
Der aktuelle Amtsinhaber hätte sich wohl eher Sanders als Konkurrenten gewünscht. "Trump fürchtet sich mehr vor Biden als vor Sanders, den er als kommunistischen Kameraden leicht denunzieren hätte können", so Mauch. So oder so: Die nächste Präsidentschaftswahl wird ein Duell zwischen Greisen. Mit 70 Jahren war Trump bei seinem Amtsantritt der älteste Präsident in der US-Geschichte – im Schnitt traten Präsidenten das Amt mit 55 Jahren an. Biden ist schon heute 77.
"Beide Anwärter auf das Präsidentenamt haben ihre stärkste Zeit hinter sich und zeigen Schwächen in einer Zeit, in der die USA moralische und politische Führung dringend nötig hätten", sagt Mauch. Während Trump ein notorischer Lügner ohne Herz und ohne Fähigkeit zur Anteilnahme sei, präsentiere sich Biden zwar emotional und liebenswert, verliere aber seine Gedanken mitten im Satz. Für Trump heißt der 77-Jährige bereits "sleepy Joe".
Macht die Coronakrise den Präsidenten?
Mit der aktuellen Coronakrise hat sich aber auch für Biden eine Angriffsfläche aufgetan. Die USA sind weltweit am stärksten betroffen, mehr als 23.000 Menschen haben bereits ihr Leben verloren. Besonders in New York sind die Fallzahlen hoch.
"Biden wird Trump dafür angehen, dass er die Signale in der Coronakrise nicht erkannt und den Rat der Wissenschaftler in den Wind geschlagen hat", vermutet Mauch. Die Wahl sei mehr als je zuvor ein Referendum über den Amtsinhaber - eine Abstimmung über das Krisenmanagement von Trump. Zugleich gelte: "Durch Corona ist die breite politische Diskussion derzeit eingefroren und zu einem Ein-Thema-Wahlkampf geworden. Der Opponent spielt eine geringere Rolle als in anderen Wahlen", analysiert der Experte.
Ausnahmesituation könnte Biden helfen
Von den konservativen Medien wird Trump jedoch Tag für Tag als Krisenheld gefeiert. "Der Präsident wird nicht müde, die Schuld für die Krise bei Ausländern - China und Europa -, bei Wissenschaftlern und bei demokratischen Gouverneuren und selbst bei seinem Amtsvorgänger Obama zu suchen", ist sich Mauch sicher.
Aber auch Biden könnte die Ausnahmesituation helfen: "Je verheerender die Krise ausfällt, desto mehr verliert die Bevölkerung das Vertrauen in den sich ständig selbstbeweihräuchernden Trump", glaubt Mauch. Außerdem könne der aktuell keine großen Rallies abhalten – und Biden gleichzeitig nicht in politische Fettnäpfchen treten. "Vieles wird sich darin entscheiden, wie es im Herbst den Familien geht, die jetzt in Selbstisolation sitzen oder ihre Arbeit verlieren", meint Mauch.
Vizepräsident spielt wichtige Rolle
Wie also heißt der nächste Präsident der Vereinigten Staaten? "Sicher ist 2020 nichts", unterstreicht Mauch. Zwar habe er keinen Zweifel daran, dass die Mehrheit der US-Amerikaner Biden den Vorzug geben würde - was aber zählt, sind im amerikanischen Wahlsystem die Wahlmännerstimmen. "Als Deutsche schauen wir viel zu sehr auf die USA als Ganzes. In Wirklichkeit wird sich die Wahl in wenigen 'swing states' entscheiden - in Wisconsin zuvorderst, aber auch in Ohio, Pennsylvania und Michigan", sagt der Historiker.
Mauch gibt noch einen weiteren Hinweis für die Zukunft: "Wichtiger denn je ist die Frage, wen Trump und Biden für die Vizepräsidentschaft vorschlagen." Denn der- oder diejenige könne sich Hoffnungen auf die nächste Präsidentschaftskandidatur machen - Amy Klobuchar aus Minnesota und Gretchen Whitmer aus Michigan sind unter anderem im Gespräch.
Verwendete Quelle:
- CNN: Bernie Sanders drops out of the 2020 race, clearing Joe Biden's path to the Democratic nomination
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