Er gilt als Gegenentwurf zu Donald Trump. Doch würde unter einem US-Präsidenten Joe Biden wirklich alles anders werden?

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Dürften die Deutschen den nächsten US-Präsidenten wählen, fiele die Wahl klar aus: Einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zufolge wünschen sich 86 Prozent von ihnen, dass Joe Biden ins Weiße Haus in Washington einzieht. Der Demokrat gilt als erfahren und umgänglich, in jedem Fall als Gegenentwurf zu Donald Trump.

Doch Biden hat auch mit Vorbehalten zu kämpfen. Seine langjährige Erfahrung wird ihm in den USA nicht unbedingt als Vorteil ausgelegt. "Biden ist seit den frühen 70er Jahren in Washington. Er verkörpert das Establishment, gegen das Trump kandidiert", erklärt Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg im Gespräch mit unserer Redaktion.

Was würde eine Präsidentschaft von Joe Biden bedeuten? Für die USA und für Europa? Eine Übersicht zu verschiedenen Themenfeldern:

Innere Sicherheit und gesellschaftliches Zusammenleben

Trump stellt seinen Konkurrenten gerne als "soft on crime" dar, also als zu weich im Umgang mit Straftaten. Dabei war Joe Biden schon in den 90er Jahren für ein Gesetzespaket verantwortlich, das die Befugnisse des Bundes in der Kriminalitätsbekämpfung und sogar den Einsatz der Todesstrafe stark ausdehnte. Der Vorwurf, Biden sei bei dem Thema zu nachlässig, lasse sich klar widerlegen, sagt Christoph Haas, Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Auch von der anderen Seite des politischen Spektrums – vom linken Flügel der eigenen Partei – wurde Biden in der Vergangenheit häufig kritisiert. Sogar von der gemäßigten Kamala Harris, die inzwischen seine Kandidatin für die Vizepräsidentschaft ist.

Sie warf ihm 2019 in einer TV-Debatte vor, in den 70er Jahren mit Senatoren zusammengearbeitet zu haben, die sich für die Rassentrennung aussprachen. Der "New York Times" zufolge war Biden bis in die 80er Jahre ein Gegner des "Bussing": Dabei wurden schwarze Schüler in andere Bezirke transportiert, um die Zusammensetzung der Schulen vielfältiger zu machen.

Doch Joe Biden hat auch andere Seiten. Unter Afroamerikanern ist er seit seiner Vizepräsidentschaft unter Barack Obama sehr beliebt. In der Einwanderungspolitik steht er Haas zufolge zudem für einen liberalen Kurs, der es mehr Menschen ermögliche, die Staatsbürgerschaft auf legale Weise zu erhalten.

Sehr konsistent sei seine Linie auch in der Waffenpolitik, sagt Haas: "Da hat er sich eigentlich immer dafür eingesetzt, Waffenbesitz stärker zu kontrollieren." Insgesamt verortet der USA-Experte Biden bei diesem Gebiet in der Mitte des politischen Spektrums.

Amerikas Rolle in der Welt

Trump hat weltweit viele Verbündete vor den Kopf gestoßen: Er hat die NATO als obsolet bezeichnet, das Pariser Klimaabkommen und das Atomabkommen mit dem Iran gekündigt und einen Handelskrieg mit China vom Zaun gebrochen. Wie würde Biden in der Außenpolitik agieren?

Auf jeden Fall habe der Demokrat auf dem Feld viel Erfahrung gesammelt, sagt Michael Kolkmann: "Er war lange im Auswärtigen Ausschuss des Senats, er war vielfach in der Welt unterwegs. Das war auch während seiner Vizepräsidentschaft sein großer Vorzug."

Über viele Jahrzehnte hin hätte man gesagt, dass ihn diese Erfahrung auch als Präsident qualifiziert, so Kolkmann. "Allerdings hat Trump gezeigt, dass man auch ohne diese Erfahrung Präsident werden kann."

Für Europa wäre Biden wahrscheinlich ein angenehmerer Partner als Trump, glaubt der Politikwissenschaftler. "Aber auch er wäre kein angenehmer Partner. Zurück zu einer Ära der großen transatlantischen Beziehungen wird es wohl auch mit ihm nicht gehen – da bestand schon vor Trump zu großes Konfliktpotenzial." Dass die Europäer mehr Geld für die NATO bereitstellen sollen, war zum Beispiel eine Forderung, die vor Trump auch schon Politiker der Demokraten aufgestellt haben.

Der große Unterschied zu Trump – da sind sich die beiden Politikwissenschaftler einig – würde allerdings im politischen Stil liegen. "Biden ist auch dafür bekannt, mal einen saloppen Spruch zu bringen, aber das ist bei ihm nicht böswillig gemeint", sagt Haas. Außenpolitisch stehe der Demokrat in der Tradition, mit Partnern zusammenzuarbeiten und internationale Organisationen zu nutzen. Dem Pariser Klimaabkommen will Biden wieder beitreten. "Das ist durchaus ein Signal, dass er auf internationale Kooperation setzt", sagt Haas. "Auch ein Truppenabzug aus Deutschland, wie ihn Trump vorhat, wäre mit Biden in dieser Form wahrscheinlich nicht zu machen."

Handel mit dem Ausland

"Buy American" – kauft Amerikanisch: Dieser Slogan stammt nicht etwa von Trump, sondern von seinem Konkurrenten. Auch Biden setzt inzwischen auf einen wirtschaftspolitischen Kurs, der die US-Produktion stärkt und Importe aus dem Ausland erschwert. Im Rennen um das Weiße Haus stünden sich zwei Protektionisten gegenüber, schrieb der konservative Autor Jeff Jacoby vor kurzem in der Zeitung "Boston Globe".

Dass Biden als ehemaliger Anhänger des Freihandels jetzt mit Abschottung liebäugelt, kommt nicht von ungefähr: Trumps Wahlsieg vor vier Jahren kam vor allem zustande, weil er in den Staaten des sogenannten Rostgürtels gewann.

Um sie buhlt jetzt auch Biden. "Er kommt ursprünglich aus dem ländlichen Pennsylvania – aus einer Region, die in der vergangenen Zeit viele Arbeitsplätze verloren hat, zum Beispiel in der Stahlindustrie. Er kennt daher die Nöte der Menschen", sagt Michael Kolkmann.

Auch hier gelte aber: Selbst wenn die Konflikte unter einem Präsidenten Biden die gleichen bleiben, würde er sie wahrscheinlich anders artikulieren. Haas würde Biden auch nicht als Protektionisten bezeichnen: "Bei der Erhebung von Zöllen würde er sicherlich anders agieren als Trump. Zölle können für die eigene Wirtschaft auch kritisch werden, wenn Unternehmen zum Beispiel auf Zulieferer aus China angewiesen sind."

Dauerthema Gesundheitspolitik

Die Krankenversicherung ist seit Jahrzehnten ein zentrales Streitthema in den USA. Unter der Präsidentschaft von Barack Obama – und dem Vizepräsidenten Biden – wurde 2010 die sogenannte Obamacare-Reform beschlossen. Sie senkte die Zahl der unversicherten Amerikaner von mehr als 45 Millionen auf unter 30 Millionen.

Trumps Republikaner sehen eine Versicherungspflicht allerdings als Eingriff in die individuelle Freiheit und würden Obamacare am liebsten abschaffen. Der linke Flügel der Demokraten fordert dagegen eine öffentliche und staatliche bezahlte Krankenversicherung für alle. Biden steht – wie so häufig – etwa in der Mitte.

Die Reform wird wahrscheinlich bald wieder vor dem Supreme Court landen, erklärt Kolkmann. "Biden sieht sich ein Stück weit als Nachlassverwalter der Präsidentschaft von Obama und steht absolut hinter dieser Reform. Er wird mit allen rechtlichen Mitteln versuchen, sie zu verteidigen."

Ob der Demokrat aber auch dem linken Parteiflügel entgegenkäme und die Versicherung ausweiten würde, ist offen. So ein Schritt wäre schwer umzusetzen, gibt Haas zu bedenken.

Biden und die Demokraten

In Umfragen vor der US-Wahl liegt Biden seit Wochen in Führung. Doch eine Schwachstelle bleibt seine Stellung innerhalb der demokratischen Partei. Der linke Flügel hatte sich im Vorwahlkampf hinter seinen Gegenkandidaten Bernie Sanders gestellt. Sanders hat Biden zwar inzwischen seine Unterstützung versichert – doch gerade bei den jungen Demokraten löst er nicht gerade Begeisterungsstürme aus.

Dass ihre Wählerschaft deutlich vielfältiger zusammengesetzt ist als die der Republikaner, ist andererseits auch eine Stärke der Demokraten. Die Frage wird daher sein, in welchem Maß der 77-Jährige die eigene Anhängerschaft mobilisieren kann.

"Biden war immer ein moderater Demokrat und muss jetzt den Fehler vermeiden, den Hillary Clinton vor vier Jahren gemacht hat: Ihr ist es nicht gelungen, die Partei hinter sich zu vereinigen", sagt Kolkmann. "Die Frage ist, ob es Biden nun gelingt, die alte Obama-Koalition in alter Stärke wieder aufzubauen: Afroamerikaner, Frauen, Jungwähler, Hispanics."

Über die Experten:
Dr. Christoph Haas ist Akademischer Rat am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg. Er beschäftigt sich unter anderem mit Haushaltspolitik und dem politischen System der USA und ist Mitherausgeber des Buchs "Donald Trump und die Politik in den USA – eine Zwischenbilanz".
Dr. Michael Kolkmann ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle-Wittenberg. Seine Schwerpunkte sind die politischen Systeme Deutschlands und der USA. 2005 veröffentlichte er ein Buch zur Handelspolitik im US-Kongress.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Christoph Haas, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
  • Gespräch mit Michael Kolkmann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • Bostonglobe.com: In the race for White House it's protectionist vs. protectionist
  • New York Times: When Kamala Harris and Joe Biden Clashed on Bussing and Segregation
  • Süddeutsche Zeitung, 18. September 2020: Wo Biden wie Trump ist
  • ZDF.de: ZDF-Politbarometer – Mehrheit für stärkere Corona-Kontrollen
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