Minderheiten-Diskriminierung, komplizierte Wahl-Registrierung, willkürlicher Wahlkreiszuschnitt: Das US-amerikanische Wahlsystem ist an Absurditäten nicht gerade arm. Die größten Auffälligkeiten und wichtigsten Unterschiede zu unserem Wahlsystem im Überblick.
Amtsinhaber
Dass die Abstimmung wirklich fair ablaufen wird, daran gibt allerdings tatsächlich begründete Zweifel. Die basieren allerdings nicht auf Trumps Warnungen, sondern auf den Schwächen und Absurditäten des US-amerikanischen Wahlsystems - und Erfahrungswerten aus den vergangenen Jahren.
US-Wahl: Probleme bei der Registrierung
Schon die Anmeldung für Wahlen ist im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" eine Hürde. Weil kein zentrales Wählerregister existiert, müssen sich die Menschen selbst registrieren lassen. In manchen Bundesstaaten reicht dafür ein Führerschein ohne Foto oder sogar ein Anglerausweis, in anderen muss ein Pass samt Foto vorgelegt werden. Allerding gibt es in den USA keine Pflicht, Ausweispapiere zu besitzen.
Besonders häufig können sich Minderheiten wie schwarze, arme und alte Menschen nicht ausweisen. Die Professorin Cinder Cooper Barnes vom Montgomery College in Maryland sagte "tagesschau.de": "Manchmal muss man eineinhalb Stunden fahren, um seine ID (eine Art Personalausweis der Bundesstaaten, Anm. d. Red.) zu beantragen. Das ist problematisch für alte, aber auch für schwarze Menschen. Es entzieht ihnen das Wahlrecht."
Hinzu kommt: Für die Registrierung sowie Pflege und Aktualisierung der Daten müssen schon einmal zehn Dollar und mehr bezahlt werden – für arme US-Amerikaner ist das keine Kleinigkeit.
Einer Studie des California Institute of Technology zufolge gingen im Wahljahr 2008 2,2 Millionen Stimmen verloren wegen wiederholter Probleme bei der Registrierung. Kein Scherz: 2012 fand das PEW-Forschungszentrum heraus, dass in den USA 1,8 Millionen tote US-Bürger in den Wahlregistern herum geistern. Und 2,8 Millionen Personen waren gleich in zwei Bundesstaaten gelistet.
Umstrittene Briefwahl bei US-Wahl 2020
In Zeiten von Corona erlebt das "mail-in voting" eine Rekordbeteiligung. 2008 stimmten in den USA 1,8 Prozent der Wähler per Briefwahl ab. 2014 waren es 7,2 Prozent. Und bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 3. November dürfte deutlich mehr als ein Drittel der Stimmen per Post ankommen.
Vor allem demokratische Wähler nehmen dieses Mittel war - wohl auch deshalb nimmt Präsident Trump die Briefwahl immer wieder unter Beschuss und wittert angeblichen Wahlbetrug.
Probleme gibt es tatsächlich, aber anders als von Trump dargestellt. Zum einen dürfte sich die Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses einige Tage oder schlimmstenfalls sogar Wochen in die Länge ziehen. Mehr als 20 Bundesstaaten sowie der Hauptstadtbezirk Washington D.C. wollen Briefwahlstimmen zählen, die nach dem Wahltag 3. November eintreffen – solange sie einen Poststempel mit diesem Datum tragen.
Am Ende könnte Supreme Court entscheiden
Allerdings darf mit der Auszählung der per Post eingesendeten Stimmzettel in mehr als der Hälfte der Bundesstaaten erst begonnen werden, wenn alle anderen Stimmen ausgezählt sind.
Kritiker befürchten bei einem knappen Ergebnis ein Eingreifen des konservativ dominierten Supreme Courts – zu Gunsten Trumps.
Pannen gab es bereits im Vorfeld: Im New Yorker Stadtteil Brooklyn wurden 100.000 Wählern Briefwahlunterlagen mit fehlerhaften Angaben zugeschickt. Das könnte dazu führen, dass die darin verschickten Stimmen nicht mitgezählt werden dürfen.
Nach einem Bericht der "Washington Post" hatten die Behörden bei den Vorwahlen in 23 Staaten insgesamt 500.000 Briefwahlunterlagen nicht akzeptiert. Wegen Formfehlern, verpassten Fristen oder fehlenden Unterschriften. Zum Teil hatten die Wähler aber auch Schwierigkeiten, die besonderen Auflagen der Briefwahl zu erfüllen
Diskriminierung von Minderheiten
2016 gaben ungefähr 126 Millionen US-Bürger ihre Stimme ab, rund 55 Prozent der Wahlberechtigten. Die geringe Beteiligung lag laut "Tagesschau" auch daran, dass vielen Menschen Steine in den Weg gelegt werden, um sie am Wählen zu hindern.
"Es gibt viele Arten von Wählerunterdrückung. Deswegen gibt es auch so viele Klagen", sagte der Politikwissenschaftler Clarence Lusane von der Howard University in Washington "tagesschau.de". "Zum Beispiel wird oft einfach die Anzahl der Wahllokale reduziert, es wird das frühzeitige Wählen erschwert und es gibt plötzlich gesetzliche Veränderungen bei der Registrierung."
Vor allem in republikanisch dominierten Bezirken oder Staaten haben solche Schikanen eine unliebsame Tradition. So erließ der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, einen Erlass, wonach es in jedem County nur einen Briefkasten für Briefwahlstimmen geben darf - ein Briefkasten für teilweise mehrere Millionen Stimmberechtigte.
Nicht nur in Texas nimmt die Zahl von Latino-Wählern und anderen Minderheiten, die eher den Demokraten zugeneigt sind, seit Jahren stark zu. Ähnliche Wahl-Behinderungsversuche gab es in Pennsylvania, Ohio und Florida, wichtige Swing States.
Der britische "Guardian" kommentierte besorgt: "Warum diese Wahl in Frage stellt, ob Amerika eine Demokratie ist."
"Zieh mir die Grenze, wie sie mir gefällt"
Hinter Gerrymandering, einem Begriff, der auf den Politiker Elbridge Gerry aus dem 18. Jahrhundert zurückgeht, verbirgt sich die willkürliche Zuschneidung von Wahlbezirken.
Ziel ist es, der eigenen politischen Partei einen Vorteil zu verschaffen. Laut der "Frankfurter Rundschau" eine "beliebte Art der Manipulation" mit "manchmal absurden Folgen". Ein Beispiel war der 5. Wahlbezirk im Bundesstaat Florida in den Jahren 2011 und 2015.
Auf Darstellungen kann man gut erkennen, dass nur ein sehr schmaler Streifen die vorwiegend afro-amerikanischen Stadtteile von Jacksonville und Orlando verbindet. Das Kalkül: Die republikanische Partei wollte die Bezirke mit einem hohen Anteil von Menschen, die traditionell eher für die Demokraten stimmen, abgrenzen, um sich damit das restlichen Gebiet im Großraum zu sichern.
Gerrymandering hat zur Folge, dass in einigen Bundesstaaten die Sitzverteilung im Parlament erheblich von der tatsächlichen Stimmenverteilung abweicht, oft zu Gunsten der Republikaner, die den Bevölkerungsrückgang ihrer mehrheitlich weißen Stammwählerschaft mit solchen Tricks ausgleichen wollen.
Begünstigt wird diese Praxis durch das absolute Mehrheitswahlrecht in den USA ("The winner takes it all"-Prinzip). Hierzulande wird hingegen nach dem personalisierten Verhältniswahlrecht abgestimmt.
Wahlautomaten ohne Papierbelege
Eine ganze Reihe von US-Bundesstaaten setzt völlig papierlose Wahlcomputer ein, die anfällig für Angriffe und Manipulationen sind, wie "Netzpolitik.org" aufdeckte. Millionen von Wählern – die meisten in den Südstaaten – sind davon potenziell betroffen. Manuelles Nachzählen auf Papier ausgedruckter Bestätigungen ist nicht möglich. Zumindest dürfte laut Brennan Center for Justice im Vergleich zur letzten Präsidentschaftswahl der Anteil solcher Stimmen 2020 zurückgehen.
Übrigens: Auf einer IT-Sicherheitskonferenz gelang es vor einigen Jahren einer elfjährigen Nachwuchs-Hackerin in weniger als zehn Minuten das amtliche Endergebnis einer simulierten Wahl auf einem Wahlcomputer zu verfälschen.
Mit dem Flugzeug ins Wahllokal
Pannen und Verzögerungen im Vorfeld der Wahl hatten kurioses Abstimmungsverhalten zur Folge. Die "Washington Post" berichtete von einer Studentin aus Baltimore, die vergeblich auf ihre Briefwahlunterlagen wartete.
Kaela Bynoe (23) entschloss sich schließlich, 1.500 Kilometer nach Florida zu fliegen, wo sie als Wählerin registriert war. Kostenpunkt: 600 Dollar. Ein anderer junger Wähler flog von Kalifornien nach Texas - für schlappe 400 Dollar.
Stimmabgabe im Football-Stadion
Um dem Gedränge am Wahltag am 3. November Herr zu werden und die Abstandsregeln zu gewährleisten, haben viele Bundesstaaten und Bezirke vorgesorgt. In Kansas City können Bürger im Arrowhead Stadium wählen. Das Football-Stadion fasst gut 76.000 Menschen.
Eine Woche vor der Wahl hatten bereits 70 Millionen Amerikaner ihre Stimme abgegeben – per Briefwahl oder "Early Vote" direkt im Wahllokal. Der Politikwissenschaftler Michael McDonald von der Universität Florida erwartet die höchste Wahlbeteiligung seit über hundert Jahren.
Erstmals könnten mehr als 150 Millionen Bürger ihre Stimme abgeben. Trotz aller Pannen, Unregelmäßigkeiten und Versuche der Wahlbehinderung.
Verwendete Quellen:
- Frankfurter Rundschau: Ich zieh mir die Grenze, wie sie mir gefällt …
- WiWo: 1,8 Millionen Tote sollen wählen
- Tagesschau.de: Wie bestimmte US-Wähler benachteiligt werden
- Spiegel Online: Mehr als 70 Millionen US-Bürger haben schon gewählt
- Washington Post: Desperate voters book last-minute flights to the polls: ‘Five hours of flying is more than worth it’
- Netzpolitik.org: Wahlcomputer, Hacks und Pannen: So unsicher sind die US-Wahlen
- Guardian: Why this election calls into question whether America is a democracy
- web.de: Wahl 2020 – Droht den USA ein Briefwahl-Debakel?
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