• Die Wahl zur neuen Staatsduma in Russland gilt für Präsident Putin als ein wichtiger Stimmungstest.
  • Derzeit liegt die Kremlpartei Geeintes Russland deutlich vorne.
  • Doch es gibt massive Vorwürfe und auch Hinweise, dass bei der Abstimmung betrogen wurde.

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Die Parlaments- und Regionalwahlen in Russland werden von massiven Fälschungsvorwürfen überschattet. Mithilfe von Überwachungskameras wurden einige Fälle dokumentiert - und in den Sozialen Medien verbreitet.

Ein Video zeigt eine Helferin in einem Wahllokal in der Stadt Kemerowo im Westen Sibiriens. Sie stellte sich demonstrativ vor eine Wahlurne. Hinter ihr ist eine Hand zu sehen, die neben einer russischen Fahne immer wieder vermutlich Stimmzettel in die Urne steckt. Die Frau schaut verlegen in den Raum.

Eine andere Aufnahme zeigt, wie ein Wischmopp vor eine Überwachungskamera gehalten wird, die eigentlich eine Wahlurne im Blick haben soll. Die Wahlkommission hatte im Vorfeld versprochen, dass die Videoübertragungen auch in Internet zu sehen sein sollten.

Bereits ausgefüllte Stimmzettel an Wähler ausgehändigt

Die unabhängigen Wahlbeobachter der Organisation Golos haben Tausende Verstöße landesweit aufgelistet. Sie berichteten demnach etwa, dass Wählern Stimmzettel ausgehändigt worden seien, auf dem bereits das Kreuzchen bei der Kremlpartei Geeintes Russland gesetzt worden waren. In einem anderen Wahllokal soll angeblich der Kugelschreiber nicht funktioniert haben - es sei nur ein Bleistift griffbereit gewesen.

In der Region Tscheljabinsk am Ural berichtete eine Frau Golos zufolge, dass sie mit ihrem Mann wählen gehen wollte. Laut Protokoll hatte sie aber schon abgestimmt. Vermutlich hatte jemand anderes für sie abgestimmt.

In anderen Regionen des flächenmäßig größten Landes der Erde gab es Golos zufolge ähnliche Beispiele - zum Beispiel in St. Petersburg. Eine in Israel lebende Russin sagte, sie habe zweimal abstimmen können - online und in einem Wahllokal.

"Geeintes Russland ist nicht mehr die Partei der Macht"

Auch die Opposition um den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny sprach von Wahlbetrug, den niemand hinnehmen sollte.

"Wir sind überzeugt, dass die Stimmen der elektronischen Abstimmung noch nicht veröffentlicht sind, weil sie so die Wahlen fälschen wollen", teilte der parteilose Kandidat Michail Lobanow mit. Der Hochschullehrer und sein Stab kündigten an, um jede Stimme zu kämpfen.

Lobanow hatte sich von den Kommunisten aufstellen lassen und wurde auch von der zur Wahl nicht zugelassenen Opposition unterstützt. Diese hatte zu einer Protestwahl gegen Geeintes Russland aufgerufen, um so ihr Machtmonopol zu brechen.

Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow meinte, diese Methode habe in einzelnen Regionen Erfolge erzielt - konkret lässt sich das allerdings erst nach Vorlage der vorläufigen Endergebnisse sagen.
Wolkow kritisierte im Kurznachrichtendienst Twitter: "Diese Wahlen sind schmutziger als die von 2011 - viel schmutziger."

Der Politikwissenschaftler Gleb Pawlowski erwartete, dass beim Auszählen der Stimmzettel das Ergebnis zugunsten der Kremlpartei nachgebessert werde. "Geeintes Russland ist nicht mehr die Partei der Macht", sagte er dem unabhängigen Internet-Fernsehkanal Doschd.

FDP-Politiker kritisieren Wahl in Russland

Der Parteichef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, glaubt, dass Geeintes Russland bei "objektiver Betrachtung" nicht mehr die absolute Mehrheit erreicht habe. Er warnte nach Angaben der Agentur Interfax einmal mehr vor Wahlbetrug.

Kritik am Wahlverlauf kam auch aus Deutschland. FDP-Politikerin Renata Alt sprach in Berlin von einer "schlechten Inszenierung". Die Manipulationsvorwürfe "erlauben massive Zweifel an der Legitimität der Wahlergebnisse", sagte sie. "Tatsache ist: Den wahren Willen des russischen Volkes werden wir heute nicht erfahren haben."

Der FDP-Außenexperte Michael Link sagte der "Heilbronner Stimme", Putin versuche in "fast schon paranoider Manier, die Stimmung in der russischen Bevölkerung in seinem Sinne zu kontrollieren".

Auch Medien in der Hauptstadt wunderten sich, dass Stimmzettel von Hand schneller ausgezählt wurden als die der Online-Abstimmung. Die Wahllokale hatten am Sonntag um 20.00 Uhr (19.00 Uhr MESZ) geschlossen. Aus anderen Teilen des Landes waren die Ergebnisse der Online-Abstimmung wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale veröffentlicht worden.

Putin-Partei feiert Sieg bereits kurz nach der Wahl

Ein endgültiges Ergebnis für die Parlamentswahl in Russland lag am Montagmorgen noch nicht vor. Nach Auszählung von mehr als 70 Prozent der Stimmzettel liegt die Kremlpartei Geeintes Russland mit mehr als 48 Prozent derzeit aber klar in Führung.

Die Kommunisten landeten demnach bei mehr als 20 Prozent, die Rechtspopulisten der LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski bei knapp 8 Prozent und die Partei Gerechtes Russland bei etwas mehr als 7 Prozent. Knapp über der Fünf-Prozent-Hürde lag auch die neue Partei Nowyje Ljudi (Deutsch: Neue Leute). Alle Parteien gelten als kremlnah.

Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützte Partei Geeintes Russland hatte bereits am Sonntagabend, als noch wenige Stimmen ausgezählt waren, ihren Sieg gefeiert. Sie machte sich Hoffnung auf eine neue Mehrheit von 300 der 450 Sitze im Parlament dank vieler Direktmandate. 225 Sitze werden über Direktmandate vergeben.

Im Vergleich zur Duma-Wahl 2016 muss die Kremlpartei aber offenbar Verluste hinnehmen. Damals kam sie auf 54,20 Prozent der Stimmen. Die Wahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für den Kremlchef und seine Politik. Wegen steigender Preise bei gleichzeitig sinkender Löhne war der Unmut zuletzt gewachsen.

Die Kommunisten legten hingegen deutlich zu - sie waren vor fünf Jahren auf 13,35 Prozent gekommen. Umfragen hatten Geeintes Russland angesichts der großen Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und soziale Lage vor der Wahl bei weniger als 30 Prozent gesehen. (dpa/thp)



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