Wer hat den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf seiner Terrasse erschossen? Aktuell deutet alles auf einen rechtsextremen Täter hin. Was über den festgenommenen Mann bislang bekannt ist.
Die Bundesanwaltschaft geht beim Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke von einem rechtsextremistischen Motiv aus. Die Ermittlungen richteten sich gegen einen 45-Jährigen, erklärte ein Sprecher der Karlsruher Behörde am Montag. Der in Untersuchungshaft sitzende Stephan E. sei dringend verdächtig, Lübcke heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet zu haben. Die Bundesanwaltschaft spricht von einem "politischen Attentat". Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk gebe es bisher nicht.
Bereits 1993 Anschlag verübt?
Bei dem tatverdächtigen Deutschen handelt es sich um einen mehrfach vorbestraften Mann, der nach Angaben aus Sicherheitskreisen zumindest in der Vergangenheit Verbindungen in die rechtsextreme Szene hatte. Unter anderen soll er laut "Zeit Online" 1993 einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth verübt haben. Spezialeinheiten hatten ihn am Samstag in Kassel gefasst, seit Sonntag sitzt er unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt hatte das Verfahren am Montag an sich gezogen.
Täter offenbar aus rechtsextremer Szene
"Wir gehen aufgrund des aktuellen Ermittlungsstandes davon aus, dass es sich um einen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat handelt", sagte der Sprecher der Bundesanwaltschaft. Dafür sprächen insbesondere das Vorleben des Tatverdächtigen und seine öffentlich wiedergegebenen Meinungen und Ansichten. "Wir gehen natürlich auch der Frage nach, ob und inwieweit bislang unbekannte Hintermänner oder Tatbeteiligte in die Tat eingebunden waren."
Bei einer Durchsuchung sei umfangreiches Beweismaterial sichergestellt worden, sagte der Sprecher. Das hessische Landeskriminalamt ermittle und werde dabei vom Bundeskriminalamt unterstützt.
Der 65-jährige Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha bei Kassel entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb wenig später im Krankenhaus.
Mord wegen Haltung in der Flüchtlingskrise?
Der Regierungspräsident war in der Vergangenheit wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen bedroht worden. Er hatte sich 2015 auf einer Informationsveranstaltung gegen Schmährufe gewehrt und gesagt, wer gewisse Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne das Land verlassen.
Die "Süddeutsche Zeitung" zitierte einen Ermittler mit den Worten: "Wir haben aus den Fällen NSU und Amri gelernt." Da man nicht ausschließen könne, dass eine rechtsextreme Bande am Werk sei, sei Karlsruhe der richtige Ort, schrieb die SZ weiter unter Berufung auf Ermittlerkreise. Im Fall der Terrorzelle NSU war der rechtsextreme Hintergrund der Morde erst spät erkannt worden, im Fall des islamistischen Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, hatte es keine reibungslose Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gegeben.
DNA-Spuren führen zum mutmaßlichen Täter
Die Festnahme des Verdächtigen in Kassel geht nach Angaben der hessischen Ermittler auf eine DNA-Spur zurück, die zu einem Treffer in einer Datenbank führte. Laut "Süddeutscher Zeitung" liegen über den 45-Jährigen polizeiliche Erkenntnisse über Landfriedensbruch, Körperverletzung und Waffenbesitz vor.
Nach Informationen des "Spiegels" soll er zumindest in der Vergangenheit auch im Umfeld der hessischen NPD aktiv gewesen sein. Vor zehn Jahren sei er auch an Angriffen von Rechtsradikalen auf eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 2009 in Dortmund beteiligt gewesen. Er sei damals wegen Landfriedensbruchs zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Seither sei er nicht mehr als extremistisch aufgefallen, berichtete der "Spiegel" unter Berufung auf Sicherheitskreise.
Aussschuss gefordert
Grüne, FDP, Linke und AfD im Bundestag forderten eine Sondersitzung des Innenausschusses. Die CDU/CSU zeigte sich dazu bereit. "Der Fall Lübcke ist sehr ernst", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" (Dienstag). "Einer Erörterung des Falles im Innenausschuss stehen wir aufgeschlossen gegenüber - auch schon in der kommenden Woche."
Die Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), erklärte am späten Montagnachmittag, bislang habe keine Fraktion offiziell eine Sondersitzung beantragt. "Seriöser Parlamentarismus bedeutet, dass Sacharbeit vor Öffentlichkeitsarbeit geht", merkte sie an. "Der Generalbundesanwalt sollte ausreichend Zeit erhalten, um einen soliden Ermittlungsstand aufzubauen, bevor er den Abgeordneten berichtet."
Merkel: "Bedrückende Nachrichten"
Inzwischen hat sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Fall Lübcke geäußert und von "bedrückenden Nachrichten" gesprochen. Nach Gesprächen mit Gewerkschafts- und Arbeitnehmervertretern auf Schloss Meseberg in Brandenburg sagte Merkel, allen Verdachtsmomenten müsse jetzt intensiv nachgegangen werden. "Deshalb ist es sehr richtig und wichtig, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hat, dass alle Hintergründe aufgeklärt werden und zwar schnellstmöglich." Sie hoffe, dass man bald umfassende Klarheit habe und dann die abschließenden Bewertungen vornehmen könne. "Heute ist ein Tag, an dem wir alle in Gedanken bei der Familie und den Freunden von Walter Lübcke sind", sagte Merkel. (mgb/mss/dpa)
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