Heute stimmt der Bundestag über zwei gegensätzliche Anträge zur Organspende ab, die beide die Situation für schwer Erkrankte verbessern sollen. Eine Betroffene, Grünen-Chefin Annalena Baerbock und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach erklären, wie aus ihrer Sicht die Anzahl von lebensrettenden Transplantationen erhöht werden kann.
Bereits seit einem halben Jahr wartet Laura W.* auf ein neues Herz. 2018 bekam sie die Diagnose, sie sei unheilbar erkrankt. Die einzige Überlebenschance: eine Transplantation dieses zentralen Organs.
Laura W. ist kein Einzelfall. Mehr als 9.000 Menschen in Deutschland warten derzeit auf eine Organspende. Für viele ist die Hoffnung vergebens. Sie sterben, bevor sie operiert werden können, da es in der Bundesrepublik viel zu wenig transplantierte Organe gibt. Im vergangenen Jahr gab es nur knapp Tausend Spender, denen etwa 3.000 Organe entnommen wurden.
Zwei Anträge, über die der Bundestag am Donnerstag entscheidet, sollen nun die Situation verbessern, die Zahl von möglichen Spenderorganen erhöhen – doch die vorgeschlagenen Regelungen könnten gegensätzlicher nicht sein.
Der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf einer Abgeordnetengruppe um CDU-Gesundheitsminister
Unsere Redaktion hat Laura W. sowie
Laura W. bekam 2018 die Diagnose für eine unheilbare Herzerkrankung
"Erkrankte wie ich warten im Durchschnitt viele Jahre auf ein Spenderherz. Das Risiko, die Wartezeit auf ein Organ nicht zu überleben, ist hoch. Ich hoffe für Tausende von Menschen, dass sich die Bundestagsabgeordneten für das Leben entscheiden und am Donnerstag für eine Widerspruchsregelung stimmen.
Es gibt eine hohe Zustimmung zur Organspende in der Bevölkerung. Obwohl schon viel getan wurde und die überwiegende Mehrheit einer Transplantation positiv gegenübersteht, hat nur etwa jeder dritte Deutsche einen Organspendeausweis. Auch ich hatte bis zu meiner Erkrankung keinen Bezug zu dem Thema. Ich war einer der vielen Menschen, die gerne gespendet hätten, aber nie darüber aufgeklärt wurden, was dafür nötig ist. Das zeigt, dass die gegenwärtige Lösung nicht funktioniert und wir eine neue Regelung brauchen.
Die Widerspruchslösung würde das ändern, da dann die Menschen einmalig widersprechen müssten, die nach ihrem Tod nicht spenden wollen. Mit der Widerspruchslösung müsste sich jeder einmal im Leben entscheiden, ob er Organspender oder -spenderin sein möchte oder nicht. Vor dem Hintergrund, dass man damit Menschenleben retten kann, ist das meiner Meinung nach zumutbar. Aktuell setzen sich leider noch viel zu wenige Menschen mit dem Thema auseinander.
Denn ein Großteil der Organe, die für Deutsche gespendet werden, kommen aus anderen EU-Ländern. Aus Ländern, die die Widerspruchslösung schon haben! Wir setzen diese Regelung aber selbst nicht um. Ich finde, das muss sich ändern."
Annalena Baerbock, Co-Chefin von Bündnis 90/Die Grünen
"Wir wollen die Lücke zwischen den 84 Prozent der Bevölkerung, die spenden möchten und den 40 Prozent, die tatsächlich einen Spenderausweis besitzen**, schließen. Damit helfen wir den Menschen, die händeringend auf ein neues Organ warten.
Unser Vorschlag sieht daher vor, dass alle 10 Jahre, wenn der Personalausweis neu beantragt wird, sich jeder mit dem Thema beschäftigen muss. Bei Ausweisbeantragung erhält man alle Infos und hat dann Zeit bis zur Abholung, über seine Haltung zur Organspende nachzudenken.
Dann kann man sich entscheiden: Entweder vor Ort selbständig und verschlüsselt an einem PC oder aber online von zu Hause aus mit einem Zugangscode. Die Entscheidung wird zentral in einem Register vermerkt. Unser Vorschlag erhöht die Zahl der potenziellen Organspender. Er achtet aber auch unsere Verfassung und wahrt die höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen.
Dies sehen wir bei der ebenfalls zur Abstimmung stehenden Widerspruchsregelung gefährdet. Wer nicht widerspricht, ist automatisch Organspender. Doch der Vorschlag verkennt, dass nicht jeder in der Lage ist – sei es etwa aus psychischen oder emotionalen Gründen – sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie ist zudem verfassungsrechtlich umstritten. Mit einer Lösung die nicht trägt, wäre niemandem geholfen."
Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker
"Die Widerspruchslösung entspricht mehr dem Willen der Bevölkerung. 85 Prozent der Deutschen stehen einer Organspende positiv gegenüber. Trotzdem haben nur etwa 36 Prozent einen Organspendeausweis**. Das ist das Problem, das die Widerspruchslösung auflösen könnte.
Jeder, der einer Organspende nicht ausdrücklich widerspricht und diese Entscheidung dokumentieren lässt, käme grundsätzlich als Spender infrage. Im Falle eines Hirntodes würde dann geprüft, ob man sich als Nichtspender hat eintragen lassen. Als doppelte Absicherung werden noch Verwandte befragt, ob der oder die Verstorbene ihnen gegenüber eine Spende abgelehnt hat. Ist beides nicht der Fall, ist man automatisch Spender.
Angesichts der dramatischen Zahlen auf der Warteliste, ist es den Menschen zumutbar, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. Dies ist kein Angriff auf die Selbstbestimmung. Es gibt keine Pflicht zur Organspende, aber es gibt eine Pflicht, sich mit der Thematik zu befassen und eine Ablehnung auch zu dokumentieren. Diese Lösung praktizieren bereits die meisten Länder Europas – von denen wir im Übrigen dankbar Organe annehmen.
Die Widerspruchslösung rückt konsequent das Leiden der betroffenen Patienten und Organempfänger in den Vordergrund ohne die Freiheit des Einzelnen zu missachten. Wenn wir die Zahl der Organspender in Deutschland erhöhen wollen, ist die Widerspruchslösung die einzige Chance, tatsächlich etwas zu verändern. In Europa ist das ohne die Widerspruchslösung noch niemandem gelungen.
Der alternative Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung bringt uns dagegen keinen Schritt nach vorne, denn er ändert nichts Grundlegendes. Aufklärung durch Ärzte gibt es schon heute, auch wird ständig für die Organspende durch die Krankenkassen geworben. Bei Behördengängen will sich niemand mit dem Thema Organspende beschäftigen. Solch eine Lösung gibt es in ganz Europa nicht."
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.