- Aus der Zeit gefallene Funkgeräte, zu wenig Personal und sogar nicht genügend Kleidung.
- Der Bundeswehr mangelt es laut der Wehrbeauftragten Eva Högl nahezu an allem.
- Auch das Sondervermögen wird daran erst mal nichts ändern.
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), sieht die Bundeswehr im internationalen Vergleich in einem äußerst schlechten Zustand. "Das ist unangenehm, aber leider wahr", sagte Högl im Interview mit der "Zeit", darauf angesprochen, dass Deutschlands Truppen in Osteuropa bei verbündeten Staaten als schwächste Kraft gelten würden.
Wie Högl erklärte, fehle es der Truppe vor allem massiv an Material. Als Beispiel nannte sie die Funkgeräte der Bundeswehr. Diese seien alt und noch analog, was eine Kommunikation mit internationalen Partnern unmöglich mache. "Die deutschen Soldaten haben noch Sprechtafeln, manchmal muss auch jemand aus dem Panzer herausschauen und winken oder etwas zurufen", sagte Högl. "Das ist kein Witz. Das ist Einsatzrealität der Bundeswehr im Jahr 2022. Und gegenüber unseren Verbündeten peinlich."
Selbst bei simplen Ausrüstungsgegenständen gebe es eine Mangellage in der Truppe. So fehle es vielen sogar an der richtigen Einsatzkleidung. Högl berichtete in dem Gespräch etwa von einem Jägerbataillon, das derzeit auf seine Verlegung nach Mali vorbereitet würde. Diesem fehle "unmittelbar vor dem Abflug noch Hosen, Hemden und Schutzwesten in der richtigen Größe. Sie konnten nicht mal in Schutzausrüstung trainieren." Solche Berichte seien dabei kein Einzelfall.
Bundeswehr-Sondervermögen löst Problem nicht unmittelbar
"Das größte Problem der Bundeswehr ist, dass wir von fast allem zu wenig haben." Durch die Waffenlieferungen an die Ukraine habe sich dieser Umstand laut Högl sogar noch verschlechtert. "Es gab vor dem 24. Februar bereits zu wenig, nun ist es noch schlechter geworden, weil Systeme an die Ukraine abgegeben wurden und nichts Neues gekommen ist", erklärte die Wehrbeauftragte.
Högl zog deshalb in dem Gespräch eine rote Linie, insofern die Abgabe von Ausrüstung die Einsatzbereitschaft der Truppe gefährde. "Die Bundeswehr muss in der Lage sein, ihren Auftrag zu erfüllen". Bereits jetzt sei sie unter anderem aufgrund der fehlenden Ausrüstung "nicht vollständig einsatzfähig".
Unmittelbar werde auch das vom Bundestag beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro an dem Mangel an Ausrüstung nichts ändern. Laut Högl werde es noch Jahre dauern, bis das mit dem Geld bestellte Material bei den Soldatinnen und Soldaten ankommen werde. "Gerade bei schweren Waffensystemen dauert es einfach, bis Systeme bestellt, gebaut, geliefert und eingeführt sind".
Aber auch Schutzwesten und Rücksäcke, die für die Truppe bereits bestellt worden seien, sollen erst bis 2025 zur Verfügung stehen. "Für die Bundeswehr ist das schon richtig schnell", sagte Högl. "2,4 Milliarden Euro hat das Parlament für die persönliche Ausstattung bewilligt. Aber bislang haben sie fast nichts bekommen. Das Geld muss jetzt in der Truppe ankommen".
Bürokratie bremst Beschaffung neuer Ausrüstung
Als Ursache für die langen Verzögerungen, bis das Material bei der Bundeswehr ankommt, sieht Högl vor allem die Bürokratie. "Wir müssen die Beschaffung beschleunigen und Bürokratie abbauen." Verteidigungsministerin Lambrecht habe diesbezüglich schon Verbesserungen veranlasst.
So müsse "nicht mehr jede Ausschreibung europaweit erfolgen, wenn der Kauf für die nationale Sicherheit elementar ist", wie Högl erklärte. Weil dadurch auch Kapazitäten bei der Beschaffungsbehörde frei würden, könnte das Personal dann für andere Projekte eingesetzt werden.
Aber auch bei den für die Beschaffung zuständigen Beamten sieht Högl Probleme, die Gleichgültigkeit und Desinteresse in diesem Zusammenhang bemängelte. "Haben wir nicht, geduldet euch, wird schon nicht so wichtig sein, schicken wir hinterher, so etwas hören die Soldaten ständig".
Einige würden sich deshalb ihre Ausrüstung sogar selbst kaufen. Gegenüber einer tiefgreifenden Reform des Beschaffungswesens für das deutsche Militär äußerte sich Högl allerdings kritisch. "Vorsichtige Reformen finde ich sinnvoll, eine großangelegte Strukturreform würde die Truppe für vier, fünf Jahre bremsen."
Personalmangel bei der Bundeswehr: Högl will über Form der Wehrpflicht diskutieren
Der Bundeswehr fehle es laut Högl aber nicht nur an Material, sondern auch an Personal. Schon jetzt seien 20.000 Posten innerhalb der Bundeswehr nicht besetzt. Einigen Einheiten stehen etwa "nur 60 Prozent des benötigten Personals" zur Verfügung. Das Verteidigungsministerium wolle zwar die Zahl der Soldaten bis 2031 aufstocken, doch lösen lasse sich das Personalproblem mit den aktuellen Plänen nicht.
Vor diesem Hintergrund sprach sie sich auch für eine Debatte über eine mögliche Form von Wehrpflicht aus. Den freiwilligen Wehrdienst bezeichnete Högl als gutes Instrument, er reiche aber nicht aus, um die Nachwuchsprobleme der Truppe zu lösen.
Högl begrüße, dass Bundespräsident Steinmeier eine Diskussion über einen allgemeinen Dienst angestoßen habe. Zur alten Form der Wehrpflicht, bei der nur Männer eingezogen würden, werde man aber laut Högl nicht wieder zurückkehren. "Das müsste dann für alle Geschlechter gelten."
Gleichzeitig betonte sie, dass es "zwischen Freiwilligkeit und Verpflichtung" viele Optionen gebe. Steinmeier hatte im Sommer eine Debatte über ein soziales Pflichtjahr angestoßen. Trotz teils massiver Kritik, sprach er sich erst Anfang November erneut für die Idee aus.
Verwendete Quellen:
- zeit.de: Wehrbeauftragte Eva Högl: "Bei einigen Soldaten kommen zumindest warme Socken an"
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