- Viele Bäuerinnen und Bauern haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. Ein Grund sind die - bisher - relativ niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland.
- Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat "Ramschpreisen" den Kampf angesagt, doch Verbraucher leiden bereits unter der hohen Inflation.
- Wie kann die Politik der Landwirtschaft helfen, ohne die Verbraucher noch mehr zu belasten? Blick auf eine komplizierte Angelegenheit.
Annegret Langehaneberg hat ihren Job immer gemocht, doch in den vergangenen Jahren hat sie die Perspektive verloren. Sie und ihr Mann haben einen Betrieb im westfälischen Münsterland: Ferkel-Erzeugung und Schweinemast. Die Futter- und Energiekosten sind gestiegen - genau wie die Anforderungen an artgerechte Schweinehaltung.
Gerne würde sie einen neuen Stall bauen. Doch woher kommt das Geld dafür? Lohnt sich der Aufwand finanziell? Und wird ein neuer Stall auch in zehn Jahren noch den Anforderungen entsprechen, die dann an artgerechte Tierhaltung gestellt werden? Ob es den Betrieb dann überhaupt noch gibt? "Das wissen wir nicht", sagt Langehaneberg.
Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich halbiert
Annegret Langehaneberg ist kein Einzelfall. Viele Bäuerinnen und Bauern machen sich Sorgen um ihre Existenz. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland hat sich in den vergangenen 25 Jahren halbiert: Sie ist dem Statistischen Bundesamt zufolge von rund 555.000 auf rund 260.000 gefallen.
Die durchschnittliche Fläche pro Betrieb hat sich im gleichen Zeitraum verdoppelt: Wer auf dem Markt mithalten wollte, musste wachsen und Kosten sparen. Doch auch dieser Strategie sind Grenzen gesetzt.
Die Gründe für das Hofsterben sind vielfältig. Die deutsche Landwirtschaft konkurriert mit Produzenten in anderen Teilen Europas und der Welt, die ihre Produkte zum Teil deutlich billiger anbieten können. Als Landwirtschaftsminister
Ampel-Koalition will verbindliche Tierwohlkennzeichnung einführen
Die für Laien naheliegendste Lösung würde lauten: Der Staat legt Mindestpreise fest, die Landwirte für ihr Fleisch, Gemüse oder Getreide bekommen. Das ist in einer Marktwirtschaft allerdings nicht vorgesehen - und auch nicht der Plan von Özdemir. Eingreifen kann der Staat vor allem, indem er Vorgaben macht: für möglichst artgerechte Haltung, für einen schonenden Umgang mit Böden, für klimagerechtes Wirtschaften.
Die Ampel-Koalition will deshalb unter anderem ein verbindliches staatliches Label einführen, auf dem zu sehen ist, aus welcher Tierhaltungsart das Fleisch eines Produkts stammt. Zudem soll das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt verschwinden.
"Wir brauchen eine Transformation der Landwirtschaft. Die Anpassungen sind längst überfällig und zwar auch unabhängig von gerichtlichen Verfahren, die die Politik und die Landwirte ja auch schon zum Handeln zwingen", sagt die Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag, Sprecherin für Landwirtschaftspolitik der SPD-Fraktion, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Mehr Tierwohl bedeutet auch höhere Kosten für Landwirte
"Längst überfällig" sei eine staatliche Kennzeichnung, findet Schweinehalterin Annegret Langehaneberg. Wichtig sei, dass nicht nur über die Haltungsform informiert werde, sondern auch über die Herkunft der Tiere. Zudem müsse ein Label nicht nur für Frischfleisch gelten, sondern für alle Produkte mit verarbeitetem Fleisch. Nur dann könnten Kundinnen und Kunden wissen, woher ein Tier stammt und wie es gehalten wurde.
"Wenn Politik und Verbraucher sagen: Wir wollen mehr Tierwohl - dann ist das aber auch mit Kosten verbunden", sagt Langehaneberg. Ihr Betrieb ist Mitglied der freiwilligen Initiative Tierwohl. Sie produziert auf der zweiten von vier möglichen Tierwohl-Stufen. Gerne würde sie in Stufe 3 oder 4 produzieren. Doch dazu müsste sie einen neuen Stall bauen. Nötig sei Planungssicherheit, sagt die Landwirtin: Wer jetzt einen neuen Stall baut, der will sichergehen, dass er langfristig den Vorgaben entsprechen wird und durch die Erlöse bezahlt wird. Genau diese Sicherheit sieht sie aber nicht.
Das Geld für einen neuen Stall habe ein Landwirt nicht auf der hohen Kante, sagt auch CDU-Politiker Hermann Färber im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist im Bundestag Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft.
"Einem Automobilbauer würde man auch nicht sagen: Du musst die Autos jetzt ganz anders bauen, aber kosten darf es nichts", sagt Färber. Die Landwirtschaft könne für mehr Tierwohl und Biodiversität sorgen, jedoch müsse die Gesellschaft den Mehraufwand und die Umstellung dann mittragen, also: mitfinanzieren.
SPD-Politikerin Susanne Mittag äußert sich ähnlich: "Ich sehe unter den Landwirtinnen und Landwirten eine hohe Bereitschaft, sich umzustellen. Für diese Umstellung muss es aber auch Planungssicherheit geben und es muss ein ausreichendes Einkommen möglich sein."
Höhere Preise? Oder Geld vom Staat?
Die nächste Frage drängt sich auf: Woher soll das Geld dafür kommen? Klar ist, dass für mehr Tierwohl die Preise für Lebensmittel zumindest zum Teil steigen müssten. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssten also bereit sein, mehr für Milch oder Steak zu bezahlen.
Die SPD-Abgeordnete Susanne Mittag glaubt, dass das gelingen kann. "Menschen sind durchaus bereit, ein bisschen mehr für das Tierwohl zu bezahlen. Sicher nicht viel - aber ein bisschen schon. Es geht hier um Centbeträge pro Kilogramm, die für den Landwirt den Unterschied machen. Das ist durchaus ein Marktsegment."
CDU-Politiker Hermann Färber glaubt nicht, dass sich der Aufpreis allein "über die Ladentheke" regeln lässt. Nötig sei eine Art Vertrag zwischen Staat und Landwirt: Der Staat gibt vor, unter welchen Bedingungen produziert werden soll - und kommt im Gegenzug für die Mehrkosten auf.
Färber verweist auf die Ergebnisse der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft: zwei Gremien, deren Mitglieder sich in den vergangenen Jahren Gedanken darüber gemacht haben, wie sich mehr Tierwohl und mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft umsetzen lassen. Färber findet, dass die Empfehlungen ein Mittelpunkt der Agrarpolitik sein sollten. "Dann haben wir eine Chance für alle Beteiligten."
Färber: "Wir haben einen zu leichtfertigen Umgang mit Lebensmitteln"
Das führt jedoch zur nächsten Frage: Wie soll der Staat diese Mehrausgaben finanzieren? Eine immer wieder diskutierte Möglichkeit, die auch die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat: Er könnte den derzeit für tierische Produkte geltenden ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent auf 19 Prozent erhöhen. Die Mehreinnahmen müssten dann in die Landwirtschaft fließen.
Dieser Schritt könnte dazu führen, die Wertschätzung für Lebensmittel zu erhöhen. "Wir haben in der Gesellschaft einen zu leichtfertigen Umgang mit Lebensmitteln. Wenn ein Drittel der Lebensmittel in Deutschland weggeworfen werden, scheinen sie vom Preis her ja nicht besonders teuer zu sein", sagt Hermann Färber.
Trotzdem wäre die Maßnahme heikel. Die mitregierende FDP hat versprochen, keine Steuern zu erhöhen. Zudem würden wahrscheinlich vor allem Geringverdiener unter teureren Lebensmitteln leiden. Das ist schon jetzt der Fall, weil sich durch den Krieg in der Ukraine vieles verteuert hat.
"Die Preise können aber nicht das Argument sein, alles so zu lassen, wie es ist", betont Susanne Mittag. "Wir müssen dann schauen: Wie gleichen wir den Preisanstieg aus? Dazu brauchen wir einen höheren Mindestlohn und einen angepassten Warenkorb für den Hartz-IV-Regelsatz."
Vier große Handelsketten bestimmen den Markt
Bleibt noch ein weiteres Problem: die große Macht der Lebensmittelhändler in Deutschland. Den rund 260.000 landwirtschaftlichen Betrieben stehen vier große Handelsunternehmen gegenüber, die den Markt bestimmen. Sie drücken immer wieder die Preise, für die sie den Bauern ihre Produkte abnehmen. Nur ein Bruchteil der Verbraucherausgaben kommt bei den Landwirten an. Bei Milch waren es 2020 dem Thünen-Institut zufolge 35 Prozent, bei Fleisch sogar nur 21 Prozent.
Die Ampel-Koalition will prüfen, ob sie den Verkauf unterhalb des Produktionspreises unterbinden kann. Das klingt logisch und angebracht - aber auch einfacher, als es ist. Denn wo genau der Produktionspreis liegt, lässt sich häufig nur schwer festlegen. Zudem produziert ein großer Milchviehbetrieb auf dem flachen Land günstiger als ein kleiner Hof an den Hängen des Schwarzwalds.
Schweinebäuerin Langehaneberg: "Wir brauchen jetzt dringend Entscheidungen"
Agrarminister Cem Özdemir hat also eine große Herausforderung vor sich, wenn er Ramschpreise abschaffen und Verbraucherinnen und Verbraucher, Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig gerecht werden will.
Schweinehalterin Annegret Langehaneberg drückt aufs Tempo: "Wir brauchen jetzt dringend Entscheidungen. Man hört, dass Herr Özdemir bis Ende des Jahres etwas machen will. Das ist für uns zu spät." Sie ist sicher: Wenn die Tierhalter keine Perspektive bekommen, wird der Lebensmitteleinzelhandel das Fleisch im Ausland kaufen - oder die Produktion wird ganz abwandern. Mit fragwürdigen Folgen für das Tierwohl.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Annegret Langehaneberg
- Gespräch mit Susanne Mittag (SPD) und Hermann Färber (CDU)
- Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: Infografiken
- Thünen-Institut: Die Landwirtschaft in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette
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