Während sich das Volk im Fußball-Jubelmodus befindet, werden ihm unbequeme Gesetze und Reformen untergejubelt – dieser Vorwurf wird alle zwei Jahre, parallel zu EM oder WM, laut. Zahlreiche Beispiele nähren den Verdacht und auch 2018 macht sich die Bundesregierung mit einer Hauruck-Aktion verdächtig.
Der Bundestag hat am Freitag beschlossen, dass Parteien künftig mehr Geld vom Steuerzahler bekommen - erheblich mehr. Der Beschluss kommt ausgerechnet einen Tag nach Start der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland.
"Dreist" und schädlich für das Ansehen der Politik sei es, den Gesetzesentwurf zum Start der WM vorzulegen, urteilte die Opposition vorab. Hat die Bundesregierung die WM wirklich dazu genutzt, ihr umstrittenes Vorhaben möglichst unbemerkt durchzusetzen?
Der Vorwurf, dass im Windschatten großer Fußballereignisse häufig unpopuläre Gesetze und Reformen auf die Tagesordnung gesetzt werden, ist nicht neu.
Öffentlich zugeben würde das natürlich niemand, doch es gibt ein paar Beispiele, die den Verdacht zumindest nahelegen.
WM 2006: Mehrwertsteuererhöhung trifft auf "Sommermärchen"
Während Deutschland im Sommer 2006 durch das "Sommermärchen" im eigenen Land taumelte, beschlossen Bundestag und Bundesrat die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent anzuheben.
Die Steuererhöhung trat am 1. Januar 2007 in Kraft.
WM 2010: Krankenkassenbeiträge steigen
Am 7. Juli 2010 verlor Deutschland im WM-Halbfinale gegen Spanien. Einen Tag zuvor wurde von der damaligen Bundesregierung aus Union und FDP beschlossen, dass die Krankenkassenbeiträge gesetzlich Versicherter von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen.
EM 2012: Das Meldegesetz wird reformiert
Während die deutsche Nationalmannschaft am 28. Juni 2012 gegen Italien auf dem Platz stand, stand im Bundestag die Reform des Meldegesetzes auf der Tagesordnung.
Fast 30 Millionen Menschen saßen vor den TV-Geräten, darunter auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete. Im Plenum fanden sich zur Verabschiedung des brisanten Gesetzes nur 26 Abgeordnete ein.
Binnen Sekunden brachten sie damals die umstrittene Neuregelung auf den Weg, die es Ämtern künftig erlauben sollte, die Daten von Bürgern ungefragt an Firmen und Adresshändler zu verkaufen, sofern diese nicht ausdrücklich Widerspruch dagegen einlegen.
Später wurde das neue Meldegesetz vom Bundestag kassiert und erst in nachgebesserter Form durchgesetzt.
WM 2014: Reform von Lebensversicherungen
Wenige Stunden bevor das DFB-Team auf Frankreich traf, wurde im Parlament die umstrittene Reform für Lebensversicherungen beschlossen.
Neue und alte Besitzer einer solchen Police werden fortan stärker zur Kasse gebeten. Unter anderem müssen Bestandskunden Einbußen hinnehmen, Neukunden bekommen einen niedrigeren Garantiezins.
EM 2016: Erbschaftssteuer, Anti-Terror-Gesetz und Fracking
Am 24. Juni wurden Vorlagen für gleich drei Gesetze vorgestellt: eine Erbschaftssteuerreform, ein neues Anti-Terror- und ein Fracking-Gesetz.
Ersteres sah eine steuerfreie Vererbung von Betriebsvermögen vor. Die Reform wurde im Parlament zwar mit großer Mehrheit verabschiedet, scheiterte später aber vor dem Bundesrat.
Das Antiterrorpaket, das die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten stark ausweitete, wurde ebenso beschlossen wie das neue Fracking-Gesetz.
Kommerzielles Fracking blieb zwar verboten, erlaubt wurden allerdings wissenschaftliche Tests um auszuloten, in welchen Regionen die umstrittene Erdgas-Förderung überhaupt sinnvoll wäre.
Kritiker befürchteten, dass die Tests einer späteren Genehmigung Tür und Tor öffnen könnten.
WM 2018: Neue Parteienfinanzierung im Eiltempo
Nun, ausgerechnet zur WM 2018, haben Union und SPD im Bundestag also die eine Anhebung der Parteienfinanzierung aus Steuergeldern um rund 15 Prozent beschlossen, von der Höchstgrenze 165 Millionen Euro auf nun 190 Millionen Euro.
Die Linke hatte zuvor mit einer Klage gegen das Gesetz gedroht. "Die Koalition muss den Gesetzentwurf zurückziehen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte.
Korte kritisierte das schnelle Verfahren im Schatten der Fußball-WM. "Die Koalition schiebt etliche gesellschaftliche Themen auf die lange Bank, aber die eigenen Probleme beseitigt sie in neun Werktagen", beklagte er. "Damit beschädigen Union und SPD das Vertrauen in Politik und Demokratie."
Die "peinliche Eile" habe zu handwerklichen Fehlern geführt. Bei der Anhörung im Innenausschuss hätten drei Sachverständige den Entwurf als verfassungswidrig eingestuft.
Allein kann die Linke eine Klage aber nicht anstrengen, hierfür wäre ein Viertel der Mitglieder des Bundestages nötig, sie müsste also weitere Stimmen der Opposition mobilisieren.
Die Höhe der steuerfinanzierten Zuschüsse richtet sich nach den Wahlergebnissen in Bund und Ländern und auch nach den Einnahmen von Mitgliedern und Mandatsträgern.
Aufgrund der Verluste bei der Bundestagswahl bekommen SPD und Union somit auch weniger Geld. Damit begründet die Große Koalition ihr Vorhaben zur Erhöhung der Parteienfinanzierung aber nicht.
Die SPD verweist dagegen auf die Kosten der schwierigen Regierungsbildung mit zwei Sonderparteitagen, Mitgliedervotum und Regionalkonferenzen.
(jwo, mit Material von dpa)
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