Gua Sha wird seit einigen Jahren als effektive Behandlung gegen Falten und schlaffe Haut angepriesen. Unabhängige Studien zur Wirkung gibt es nicht. Die Hautärztin Yael Adler erklärt, ob es Risiken bei der Anwendung gibt und welche Heilsversprechen Gua Sha wirklich halten kann.

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Wer auf Instagram zu seinen Falten oder grauen Haaren steht, wird heute gefeiert. In Würde altern liegt voll im Trend – was immer man darunter genau verstehen mag. Wahr ist nämlich auch, dass die Zahl der kosmetischen Schönheitseingriffe im Gesicht während der Pandemie deutlich angestiegen ist, wie das "Ärzteblatt" berichtet. Der Kampf gegen das Altern ist aussichtslos, doch aufgegeben haben wir ihn nicht.

Vergleichsweise neu im bunten Anti-Aging-Reigen – und dabei gleichzeitig steinalt – ist die Massagetechnik Gua Sha. Die Methode, bei der mit einem flachen Stein über die Gesichtshaut gestrichen wird, soll ihre Wurzeln in der Traditionellen Chinesischen Medizin haben und wahre Wunder vollbringen. Weniger Falten, rosige und straffe Haut - ganz ohne Hyaluronsäure, Botox und Skalpell. Das versprechen zumindest Beauty-Influencer, unter ihnen auch Prominente wie Gwyneth Paltrow.

Gua Sha: Jahrtausende alte Tradition ist nur ein Label

Tatsächlich handelt es sich bei Gua Sha um eine Jahrtausende alte volksheilkundliche Tradition, die in vielen Teilen Asiens angewendet wird. Der Begriff setzt sich aus den chinesischen Begriffen "Gua", was so viel bedeutet wie "reiben" oder "schaben", und "Sha" zusammen, was für "Rötung" oder eine akute Krankheit steht.

Traditionelle Chinesische Medizin, Jahrtausende alte Tradition - das klingt gut. Allerdings ist das wohl nicht viel mehr als ein Label, das sich die Kosmetikindustrie zunutze macht. Denn die Beauty-Methode hat kaum etwas mit der ursprünglichen Anwendung gemein. Traditionell wird die Schabetechnik unter anderem zur Behandlung von Erkältungen, Fieber oder Muskel- und Bänderverletzungen eingesetzt. Dabei wird meist mit einer Münze oder einem Porzellanlöffel zu Werke gegangen – und das wesentlich rustikaler als bei der heutigen Variante. Deshalb wurde Gua Sha ursprünglich auch nicht im Gesicht angewendet und schon gar nicht zu kosmetischen Zwecken.

Wie genau Gua Sha vor einigen Jahren den Sprung aus der traditionellen Medizin in die Kosmetik geschafft hat und vom Körper ins Gesicht wanderte, ist kaum mehr nachzuvollziehen. Unabhängige Studien zur Wirksamkeit gibt es nicht.

Beauty-Influencer vermarkten die Technik dennoch fleißig. Sie preisen Steine in verschiedenen Formen und Preisklassen an, darunter auch sogenannte "Jaderoller", die besonders für die zarte Haut um die Augen geeignet sein sollen. Es gibt die Steine aus verschiedenen Materialien, denen wiederum ganz unterschiedliche Wirkungen nachgesagt werden. Besonders populär sind etwa Jade (Entgiftung und Reinigung) oder Rosenquarz (Entspannung und Straffung). Hier mag für manche die Grenze zur Esoterik überschritten sein, doch die eigentliche Wirkung von Gua Sha soll vielmehr in der richtigen Technik liegen.

Lymphfluss und Durchblutung: Kein nachhaltiger Effekt

Für eine korrekte Anwendung muss der flache Stein in einem 45-Grad-Winkel mehrmals sanft über die Haut gestrichen werden, immer von Gesichtsmitte nach außen. So arbeitet man sich vom Kinn über Nasenrücken und Wangen zur Stirn vor, bevor man bei der anderen Gesichtshälfte von vorne beginnt. Das soll den Lymphfluss anregen, wodurch Tränensäcke reduziert und Giftstoffe besser abtransportiert werden können, so das Versprechen. Und das helfe auch gegen Hautunreinheiten.

"Giftstoffe in diesem Sinne haben wir nicht. Es gibt auch keine Schlacken - wir sind keine Ofenrohre", sagt die Dermatologin Yael Adler dazu im Interview mit unserer Redaktion. Aber: "Es ist möglich, mit dem Gua-Sha-Stein Lymphe aus Regionen wegzumassieren." Die Behandlung entspreche einer Lymphdrainage und sei für Betroffene, die etwa unter Rosazea leiden oder zu Entzündungen neigen, angenehm und durchaus empfohlen. Allerdings, schränkt Dr. Adler ein, sei der Effekt nicht dauerhaft und könne nur stundenweise Erleichterung verschaffen.

Kein Zweifel besteht auch daran, dass eine Gua-Sha-Massage die Durchblutung der Haut anregen kann. Fährt man mit dem Stein wiederholt etwa über die Wange, hinterlässt die Behandlung eine deutliche Rötung, die nach kurzer Zeit wieder verschwindet.

"Also ja, Gua Sha kann zu einem rosigen Teint verhelfen, aber nur für eine kurze Zeit, denn der Effekt ist nicht nachhaltig." Das Versprechen, Hautunreinheiten verringern zu können, sei hingegen falsch. Die Ursache von Pickeln und Mitessern liege nicht in der Lymphe, sondern bei bestimmten Hormonen, Zivilisationskost wie Kuhmilch, Zucker oder Weißmehl, dem Rauchen von Marihuana oder zu fettiger Pflege. "All das wird durch eine Gesichtsmassage überhaupt nicht beeinflusst."

Gua Sha gegen Falten: "Ein Mythos"

Die Hauptheilsversprechen für eine straffe und faltenfreie Haut hält die Dermatologin ebenfalls für zu hoch gegriffen. Wer bei Instagram nach Gua Sha sucht, findet mitunter eindrucksvolle Vorher-Nachher-Bilder: Die Gesichtskontur entlang des Kinns – die sogenannte Jawline – scheint nach wenigen Wochen täglicher Massage deutlich definierter. Kann der Stein Hängebacken wirklich wegmodellieren? "Hier einen nachhaltigen Effekt mit Gua Sha zu erzeugen, ist nicht möglich", sagt Yael Adler.

Ähnlich ernüchtert fällt das Urteil hinsichtlich Falten aus. "Dass Gua Sha wirksam Falten vorbeugen kann, ist ein Mythos." Die Massage kann die Gesichtsmuskulatur entspannen, wodurch sich mimische Falten etwa auf der Stirn tatsächlich vorübergehend ausmassieren lassen. Ein entspannterer Ausdruck nach der Behandlung ist möglich, eine dauerhafte Milderung von Falten jedoch nicht. Bei Falten und schlaffer Haut seien Kollagen, elastische Fasern und Hyaluronsäure über die Zeit verloren gegangen. "Das lässt sich nicht durch eine Massage reparieren", sagt Adler.

Pflegeöle können der Haut mehr schaden als nutzen

Wer die Massage als angenehm empfindet, kann Gua Sha aber bedenkenlos anwenden. Nennenswerten Risiken gibt es laut Yael Adler nicht. "Der Effekt ist so oberflächlich, dass man hier nicht mit großen Nebenwirkungen rechnen muss." Lediglich bei Wunden oder akuten Entzündungen rät die Dermatologin von der Behandlung ab.

Kritisch sieht sie hingegen die Empfehlung, Pflegeöle für die tägliche Massage zu verwenden. Durch diese gleiten die Schaber und Rollern nicht nur besser über die Haut, die enthaltenen Wirkstoffe sollen dabei auch besonders tief in die Haut gelangen, heißt es. Tatsächlich würden Pflegeöle der Haut aber mehr schaden als nutzen, sagt Adler. "Öle verbinden sich mit den Oberhautfetten, also den körpereigenen, schützenden Fetten. Wenn man dann mit einem Stein auf der Haut hin- und herschabt, entfernt man diese Fette."

Das gelte auch für hochwertige Pflegeöle. "Öle wirken dann fast wie austrocknende Reinigungsmittel." Hautunreinheiten und Austrocknungsekzeme können die Folge sein. Zudem könnten Wirkstoffe aus Pflegeprodukten, wie etwa Hyaluronsäure, nicht in tiefe Hautschichten eindringen, daran ändere auch eine Massage nichts. Wer eine Gleithilfe verwenden will, sollte stattdessen zu einer Lotion, Creme oder Salbe greifen. Aber auch hier rät Adler zu Sparsamkeit: "Lediglich die Stellen eincremen, die bedürftig sind. Bloß nicht das ganze Gesicht!"

Gua Sha: "Mehr cleveres Marketing als Medizin"

Falten einfach "wegschaben", das funktioniert also leider nicht. "Gua Sha im Bereich Anti-Aging ist definitiv mehr cleveres Marketing als Medizin. Es gehört eher in den Bereich Wellness", urteilt Yael Adler. Doch auch wenn Gua Sha nicht alle kosmetischen Heilsversprechen halten kann: Völlig sinn- und nutzlos ist es nicht.

Wie jede Massage kann auch Gua Sha einen entspannenden Effekt auf die Psyche haben. "Jede Art der Entspannung senkt das Stresshormon Cortisol", sagt Yael Adler und das könne sich wiederum positiv auf die Gesichtshaut auswirken. "Alles, was der Psyche guttut, hilft auch der Haut. Zum Beispiel Meditation, Freunde treffen, Lachen, Lieben, sich auch mal genussvoll auf Dinge einlassen und nicht nur die Pflicht erfüllen."

Über die Expertin: Dr. Yael Adler ist Dermatologin in privater Praxis in Berlin. Sie hat mehrere Sachbücher über Hautgesundheit geschrieben, darunter "Haut nah" (2016).

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Dermatologin Dr. Yael Adler
  • Deutsches Ärzteblatt: "Mehr Nachfragen nach Schönheits-OPs während der Pandemie"
  • The Guardian: "Gua sha: from blotchy bruising to a beauty trend du jour"
  • Women’s Health: "Gua Sha: So benutzt du die angesagten Massage-Steine"
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