Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien hat in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht - doch wie geht es weiter?
Windkraft, Biomasse, Photovoltaik, Erdwärme: Rund 40 Prozent des verbrauchten Stroms in Deutschland stammt heute aus erneuerbaren Energien.
Das Stromeinspeisungsgesetz aus dem Jahr 1990 gilt als Startschuss für die Energiewende in Deutschland. Damals lag der Anteil von Ökostrom bei der Stromproduktion erst bei 3,5 Prozent.
Zehn Jahre später folgte das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien, die Quote hat sich seither mehr als verzehnfacht. Laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE liegt der Anteil erneuerbarer Energien aktuell bei 39,9 Prozent.
Ökostrom wird aus zahlreichen Quellen gewonnen. Windkraft onshore ist beispielsweise zu 41 Prozent vertreten, gefolgt von Biomasse (21 Prozent), Photovoltaik (18 Prozent), Wasserkraft (9 Prozent), Windkraft offshore (8 Prozent) und Hausmüll (3 Prozent).
22 Prozent aller deutschen Haushalte bezogen im Jahr 2017 Ökostrom oder anders ausgedrückt: Mehr als zehn Millionen Deutsche haben sich bewusst für grünen Strom entschieden - Tendenz steigend, berichtet das Statistikportal Statista.
Deutschlands teure Vorreiterrolle hat sich rentiert
Für den Stromexperten Andreas Pointvogl von der auf den Energiesektor spezialisierten Unternehmensberatung Bluberries untermauern diese Zahlen die unumkehrbare Entwicklung, dass fossile Energien im Strommix immer weniger werden.
"Am Energiemarkt können alte Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke wegen ihrer Ressourcenkosten kaum mehr mithalten, da die Herstellungskosten für erneuerbare Energien in den meisten Ländern der Welt mittlerweile deutlich günstiger sind", erklärt der auf den Stromsektor spezialisierte Volkswirt. Es mache heutzutage kaum mehr Sinn, konventionelle Kraftwerke zu bauen.
"Deutschland hat mit der Energiewende die technologische Entwicklung befördert, dass erneuerbare Energien heute so günstig sind, dass sie den Wettbewerb mit konventionellen Energien gewinnen", sagt Pointvogl.
Auch wenn die Kosten dafür allein in Deutschland bis ins Jahr 2030 auf 250 Milliarden Euro geschätzt werden - diese Entwicklung und der Technologieschub, der sich über die ganze Welt verbreitet hat, haben sich nach Ansicht des Ökonomen mehr als gelohnt.
Statt Stromautobahnen: Kleine Inselsysteme
Doch bis das Ziel der großen Koalition für das Jahr 2030 erreicht ist - der Ausbau erneuerbarer Energien auf 65 Prozent - gibt es noch einige Herausforderungen zu meistern.
Beispiel Stromtransport: Bislang erfolgte dieser zentral vom Kraftwerk zum Verbraucher. Mit der Stromproduktion durch erneuerbare Energiequellen, wie Windkraft oder Photovoltaikanlagen, ändert sich das Verteilungssystem.
"Da sich das Stromsystem in Richtung kleiner Inselsysteme bewegt, braucht es für die Versorgung von Privathaushalten in Zukunft nicht mehr zwingend zusätzliche große Stromleitungen. Die moderne Energieverteilung kann dezentral, kleinteiliger und intelligenter laufen, was zur Folge hat, dass man kaum mehr Subventionen braucht und weniger von Versorgern abhängig wird", erläutert Andreas Pointvogl.
Zur Modernisierung des Stromnetzes gehören auch Speichersysteme, um die schwankende Stromproduktion je nach Wind und Sonneneinstrahlung ausgleichen zu können. "Hier hat sich schon einiges getan", berichtet der Stromexperte.
Mittlerweile könne man die Produktion von Ökostrom sogar abschalten, was früher nicht möglich gewesen sei. Es brauche mehr intelligente Netze, digitale Stromzähler und steuerbare Stromerzeugungs-, Stromverbrauchs- und Speichereinheiten, um die Stromverteilung besser steuern und Engpässe vermeiden zu können.
Das Empowerment der Stromkunden
Auch die Entwicklung von Batteriespeichern ist laut Pointvogl ein drängender Punkt, denn viele Privatleute hätten Interesse an der Selbstversorgung mit Strom und seien auch bereit dafür zu zahlen.
Vor einigen Jahren habe es sich noch nicht rentiert, erneuerbare Energien selbst zu produzieren. Doch mittlerweile ist die Selbsterzeugung von Ökostrom preislich rentabel geworden.
Die Entwicklung hat nach seiner Ansicht weitreichende Konsequenzen: "Der Energiesektor wird auf der ganzen Welt auf den Kopf gestellt werden. Große Stromkonzerne werden mit den alten Geschäftsmodellen nicht überleben können und Regierungen werden einsehen, dass es keine großen Stromtrassen, sondern dezentrale Strukturen braucht."
Für das Stromsystem der Zukunft könnte es nach Andreas Pointvogl auch zu einer Änderung des Tarifsystems führen: Die Abrechnung erfolgt nicht mehr nach der verbrauchten Strommenge, sondern über Flatrate-Modelle - eine Entwicklung vergleichbar mit der Telekommunikationsbranche.
Verwendete Quellen:
- Expertengespräch mit Andreas Pointvogl, Volkswirt und verantwortlich für Marktentwicklung, Marktdesign und Regulierung bei der Münchner Unternehmensberatung Bluberries, die auf den Energiesektor spezialisiert ist
- Statistik Fraunhofer ISE: "Jährlicher Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Deutschland"
- Statista: "Verteilung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland nach Energieträger im Jahr 2017"
- Agora Energiewende: "Stromsektor 2030: 65 Prozent Erneuerbare und ein schrittweiser Kohleausstieg"
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