Köln - Sie entscheiden mit über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten - und haben meist keine juristischen Vorkenntnisse: Schöffinnen und Schöffen sitzen bei Strafprozessen gleichberechtigt mit Berufsrichtern auf der Richterbank.
Wenn ein Urteil "im Namen des Volkes" gesprochen wird, sollen die Ehrenamtler eben diese Stimme des Volkes einbringen. Zurzeit laufen bundesweit die Bewerbungsverfahren.
Allein in Nordrhein-Westfalen werden für die neue Amtszeit von 2024 bis 2028 rund 10.000 Laienrichter gebraucht. Für die Vorschlagslisten werden allerdings doppelt so viele Bewerber benötigt. In Baden-Württemberg müssen etwa 7000 vakante Stellen besetzt werden, in Leipzig sind es bis zu 1500, in Brandenburg mehr als 2200. 9800 Bewerber werden für 4200 Schöffenämter in Hamburg gesucht.
Bürger nach Zufallsprinzip ausgewählt
Die formalen Voraussetzungen für das Amt sind gering: Bewerber müssen zwischen 25 und 69 Jahre alt, deutsche Staatsangehörige und gesundheitlich ausreichend belastbar sein. Erwünscht sind zudem "Soft-Skills" wie Menschenkenntnis, Verantwortungsbewusstsein, Objektivität und Gerechtigkeitssinn. Denn Schöffen müssen am Ende tief in das Leben eines anderen Menschen eingreifen.
Deshalb hofft nicht nur die Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, dass sich überall eine ausreichende Zahl an Bewerbern findet. Wo das nicht der Fall ist, werden nach dem Zufallsprinzip Bürger ausgewählt und auf die Vorschlagsliste gesetzt. Bei der vorigen Wahl 2018 seien etwa 20 Prozent der Kandidaten "zwangsverpflichtet" worden. "Da besteht natürlich die Gefahr, dass auf der Richterbank Menschen sitzen, die demotiviert sind und keine Lust haben", sagt der NRW-Landesvorsitzende der Vereinigung, Michael Haßdenteufel. Wer zum Schöffen gewählt wird, hat nahezu keine Chance, das Amt abzulehnen.
Umgekehrt besteht mancherorts die Sorge, dass sich beispielsweise Rechtsextreme ein Schöffenamt sichern könnten, um Urteile in ihrem Sinne zu beeinflussen. "Sollten die Kommunen Zweifel an der Verfassungstreue einer Bewerberin oder eines Bewerbers haben, steht es ihnen frei, neben dem Verfassungsschutz auch die Staatsschutzdienststellen der Polizei zu kontaktieren", erklärt das NRW-Justizministerium dazu auf dpa-Anfrage.
Ehrenamt mit viel Verantwortung
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Verfassungstreue ehrenamtlicher Richter festgeschrieben werden soll. Für Schöffen-Vertreter Haßdenteufel stellt das Thema ein Dilemma dar: Sofern eine Person sich nicht offensichtlich rechtsgesinnt zeige, sei es vor allem in Großstädten fast unmöglich, ihre Verfassungstreue zu überprüfen.
Niedersachsen handhabt es so: "Die Bewerberinnen und Bewerber sollen aufgefordert werden, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen", hatte Justizministerin Kathrin Wahlmann im Januar der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Zudem solle abgefragt werden, ob sie sich mit einer eventuellen Überprüfung durch den Verfassungsschutz einverstanden erklärten. "Dadurch sollen Extremisten möglichst abgeschreckt werden", so die SPD-Politikerin.
"Es ist eine große Verantwortung, "im Namen des Volkes" zu urteilen", hatte Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) kürzlich zur Bedeutung der Schöffen gesagt. Verfahren können platzen, wenn Termine nicht innerhalb gesetzlicher Fristen eingehalten werden. Die Ehrenamtler können jährlich bei bis zu zwölf Prozessen eingesetzt werden, die oft aus mehreren Verhandlungstagen bestehen. Berufstätige müssen dafür vom Arbeitgeber freigestellt werden.
Gerichtswirklichkeit hat sich drastisch verändert
Jedes Urteil wird mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Mitglieder des Gerichts gefasst. Gegen die Stimmen beider Schöffen kann somit kein Angeklagter verurteilt werden. Zwischen Berufs- und Laienrichtern würden oft "engagierte Diskussionen geführt, nach denen man schließlich zu einem Ergebnis kommt", berichtet Jan Orth, Sprecher des Landgerichts Köln und selbst langjähriger Richter. Er schätze den "Blick von außen", den die Schöffen mitbrächten.
Joachim Bülter, der lange Vorsitzender Richter einer Großen Strafkammer am Landgericht Hamburg war, gibt jedoch zu bedenken, dass auch der Prozessstoff inzwischen oftmals so umfangreich und teilweise kompliziert sei, dass er für Schöffen nur noch schwer verständlich sei. Die Verfahren dauerten manchmal bis zu einem Jahr und länger. "Das Schöffensystem stammt aus einem früheren Jahrhundert." Die Gerichtswirklichkeit habe sich erheblich verändert.
"Ich finde es spannend, dass der "normale Menschenverstand" mitentscheiden darf", sagt eine 61-jährige Frau, die sich als Schöffin im Sauerland beworben hat. Sie sehe in dem Amt eine gute Möglichkeit, sich sozial zu engagieren - "obwohl einige Fälle mir sicher unter die Haut gehen werden". © dpa
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