Der österreichische "Lichtblickhof" ist ein Hospiz für Kinder und Jugendliche. Das Besondere: Hier haben die Mitarbeiter tierische Hilfe von 19 Pferden. Sie geben den kleinen Patienten Halt, machen ihnen Mut und sind auch bei ihnen, wenn die Angst kommt. pferde.de sprach mit der Geschäftsführerin und Hospizbegleiterin Roswitha Zink über die ganz besondere Kraft der Pferde, magische Pippi-Langstrumpf-Momente und warum immer ein Happy End dabei ist.
Liebe auf den ersten Blick? Nein, das waren Pferde für Zink nicht. Im Gegenteil: "Ich war ein eher ängstliches Kind und entsprechend habe ich mich auch vor Pferden gefürchtet", erinnert sie sich. "Aber meine allerbeste Freundin war pferdebegeistert. Und weil ich wollte, dass sie meine allerbeste Freundin bleibt, bin ich mit sieben Jahren eben auch aufs Pferd…"
Es hat lange gedauert, bis Pferde ihr Herz erobert hatten. Dann aber war die Liebe umso stärker. "Für mich war klar: Ich will nie mehr ohne Pferde leben", sagt die Psychotherapeutin. Noch etwas hatte sie verstanden: "Pferde sind einfach heilsam für die Seele. Ich hatte es ja selbst erlebt: An ihrer Seite habe ich meine Ängste überwunden. Und wenn es mir mal schlecht ging, haben sie mich wieder aufgebaut." Eine Erfahrung, die sie prägte: "Schon früh habe ich mich mit tiergestützter Therapie beschäftigt. Mit 14 Jahren habe ich bereits gestaunt und alles gelesen, was es an internationaler Forschung zu dem Thema gab."
"Wir wollen Kindern einen Lichtblick bieten"
Bereits damals wuchs der Wunsch in ihr, mit Pferden einen ganz besonderen Ort zu schaffen, "an dem Kinder und Jugendliche durchatmen und Kraft tanken können." Sie wollte denen helfen, die vom Schicksal besonders getroffen sind: schwerkranken Kindern, die als austherapiert gelten und deren Geschwistern. So studierte sie Biologie und Psychologie, machte dazu Ausbildungen zur Übungsleiterin, zum Reitwart, integrierten Reitwart und für die pferdegestützte Therapie.
Zink fand drei Frauen, die den gleichen Traum hatten. So gründeten sie 2002 gemeinsam den Verein "e-motion" und mit ihm das Hospiz Licktblickhof. Der Name ist für sie dabei ein Versprechen: "Wir wollen Kindern, Jugendlichen und ihre Familien einen Lichtblick bieten", erklärt Zink. Der Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden. "Wir sind dankbar für jeden Euro, weil er den Kindern und ihren Familien Würde gibt und unbeschwerte Momente schenkt."
Pferde sind Engel auf vier Hufen
Jährlich kommen rund 350 Patienten zum "Lichtblickhof" und finden für ein paar Wochen eine Ruhe, die sie lange nicht kannten. "Viele Kinder, die zu uns kommen, haben einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. Sie sind extrem misstrauisch, voller Angst und Zorn auf die Ungerechtigkeit des Lebens." Auf dem "Lichtblickhof" in Wien werden sie angenommen, wie sie sind.
In den drei Hospizwohnungen nahe einem Krankenhaus können sie für ein bis drei Wochen eine Auszeit nehmen. Menschliche und tierische Therapeuten sind für die Geschwister ebenso wie für die betroffenen Kinder und ihre Familie da. Alle Tiere haben eine spezielle Ausbildung und jedes Kind hat seinen Liebling, zum Beispiel Hunde, Katzen, Ziegen, Schafe und Kaninchen. Die Stars aber sind die 19 Pferde und Ponys des Vereins. "Sie sorgen für ein Pippi-Langstrumpf-Feeling, wenn sie durch die Wohnungen und über die Flure laufen", sagt Zink.
Denn die Pferde vom "Lichtblickhof" sind Engel auf vier Hufe für die Kinder, die sterben werden. Sie leben mit den kleinen Patienten. Sie sind beim Frühstück dabei und zum Gute-Nacht-Sagen werden die Kinder auch mal mit ihrem Bett in den Stall gefahren. "Wir haben alles so gebaut, dass die Kinder immer überall hinkönnen", sagt Zink. Was nach einem großen Abenteuer klingt, ist ein wichtiger Teil der Therapiearbeit. "Die Pferde sind für unsere Gäste ein ganz großer Halt. Denn sie haben ganz besonders heilsame Seelen in ihren großen Körpern. Sie bleiben bei den Kindern, egal, was diese machen. Sie kümmert keine Diagnose, sie haben keine Angst vor dem Tod, laufen nicht davon. Das ist für die Kinder unbezahlbar", sagt die Psychotherapeutin.
"Lichtblickhof": Die Welt, wie sie gefällt
Wie wertvoll die Arbeit der Pferde ist, erlebt Zink beim "Lichtblickhof" jeden Tag. Wie bei dem Jungen, der nicht mehr gesprochen hat, weil er keine Worte mehr gefunden hat, die beschreiben, was er empfindet. "Er wollte sich das Leben nehmen, damit die Krankheit ihm nicht das Leben nehmen kann. Und dann lag er schluchzend auf dem Pferd und hat ihm für seine Freundschaft gedankt."
Oder ein anderer Junge, der mit seinen fünf Jahren den Tod der kleinen Schwester verarbeiten muss. "Für ihn sind Pferde etwas ganz Besonderes. Sie können durch ihre Größe und Kraft über Leben und Tod entscheiden, sagt er. Und sie wollen das Leben und helfen den Menschen. Das macht ihm Mut." Dazu lernen die Kinder von den Pferden, im Hier und Jetzt zu leben und den Moment zu genießen. "Wir können ihre Krankheit nicht ändern. Aber wir können ihnen eine Zeit bieten, die eine unnormale Normalität hat. Wir sagen immer: Wenn die Welt schon auf den Kopf gestellt wird, dann bei uns wenigstens so, wie die Kinder es sich wünschen. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt…", sagt die Vereinsgründerin.
Ein Gefühl von Sicherheit und Würde
Am liebsten wollen die Patienten den ganzen Tag bei den Pferden verbringen. Wer kann, darf ausreiten, hilft bei der Stallarbeit, füttert und beobachtet die Tiere. Vor allem die Geschwisterkinder seien den Hospizmitarbeitenden ein Anliegen. Sie sind mit Begeisterung dabei. "Sie sind oft jahrelang im Schatten groß geworden. Und sie haben viel zu früh gelernt, dass es Situationen gibt, in denen niemand helfen kann – die Eltern nicht, die Ärzte nicht. Auch sie brauchen wieder ihr Gefühl für Sicherheit und Würde. Das finden sie bei den Tieren und in der Natur", sagt Zink.
Dabei stehen für Zink die Pferde immer an erster Stelle. "Sie sind unser höchstes Gut. Wir tun alles, damit es ihnen gut geht." Mitten in Wien hat der Verein zwei Hektar Land mit Weiden. "Da sind die Pferde natürlich jeden Tag draußen." Dazu gibt es einen zweiten Hof vor den Toren der Stadt. "Dort sind die Pferde abwechselnd von Juli bis September und sind rund um die Uhr auf der Weide und dürfen ganz Pferd sein", sagt sie.
Auch auf dem letzten Weg sind die Pferde dabei…
Auch für die Ausbildung nimmt sich der Verein viel Zeit. "Sie dauert drei Jahre. Denn die Pferde müssen sich an viele Situationen gewöhnen – zum Beispiel an Wachkoma-Patienten und Beatmungsgeräte." Sind sie dann im Einsatz, arbeiten sie maximal 20 Stunden in der Woche. "Und sie haben immer zwei Tage am Stück frei. Und: Wir haben einen genauen Plan, damit sie viel Abwechslung in ihrer Arbeit haben." Mit einer Jugendlichen über eine Wiese galoppieren, gehöre genauso dazu, wie ein Food Puzzle im Stall lösen, das die Kinder vorbereitet haben. "Besonders die Ponys laden die Kinder gerne in die Wohnungen ein, wo sie dann vergnügt durch die Räume gehen", sagt die Therapeutin und Pferdekennerin.
Die Pferde sind für die Patienten bis zum Schluss da – und darüber hinaus. "Wir sind häufig mit den Pferden bei den Begräbnissen dabei", sagt Zink. Wie bei dem Abschied von Sven. "Da durften wir sogar in der Aufbahrungshalle eine provisorische Box aufstellen. Seine Schwester saß während der gesamten Zeit auf ‚ihrem’ Pferd, während Svens Pferd neben ihr Heu kaute." Denn auch das gehöre dazu – dass die Kinder "ihr" Pferd bekommen. "Sie brauchen Sicherheit und Verlässlichkeit. Deshalb ist ein Pferdetausch für sie oft wie ein erneuter Verlust."
"Lichtblickhof": Jeder Lebensmoment ist magisch
Doch mit den Pferden können auch die kranken Kinder über sich hinauswachsen. "Sie zeigen, dass jeder Lebensmoment magisch ist", sagt die Hospizbegleiterin. Doch wie erträgt man ein Leben an einem Ort, an dem es nie ein Happy End gibt? Zink schüttelt den Kopf. "Die Pferde zeigen uns, dass jeder Lebensmoment wertvoll ist. Dass es darum geht, dass wir die Zeit, die vorgesehen ist, so gestalten, dass wir das Beste daraus machen. Wenn wir das schaffen – dann ist es immer ein Happy End", sagt sie.
Auch für die Pferde sind Zink und ihr Team bis zum Ende da. "Viele Pferde sind jetzt schon seit 20 Jahren im Einsatz. Für sie bauen wir einen Extra-Stall." Das hilft auch den Kindern. "Das Wissen, mit dem eigenen Schicksal nicht alleine zu sein, dass wir alle sterblich sind, kann eine große Stütze sein", erklärt sie. Der neue Stall hat auch schon einen Namen: "Er ist unser Schutzengel-Stall. Dort sollen unsere Pferde-Oldies – die für so viele Kinder Schutzengel sind – einen würdevollen Lebensabend bis zuletzt bekommen." © Pferde.de
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