Sie ist Verhaltensbiologin und weiß wie Pferde "ticken". Jetzt hat Marlitt Wendt ein neues Buch geschrieben über "Die Rechte der Pferde". Darin will sie nicht belehren, sondern aufklären und Mut machen. pferde.de sprach mit ihr über das Image, das Reiter heute haben und was Pferde wirklich wollen.

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Schon als Kind hat sie der Pferdevirus erwischt: "Mit drei oder vier Jahren saß ich bereits auf dem Pony von Freunden meiner Eltern", erinnert sich Marlitt Wendt lachend. "Danach ging es ganz klassisch weiter: Mit fünf habe ich auf Shettys angefangen, dann kamen später die ‚größeren‘ Ponys. Mit 18 habe ich mein damaliges Pflegepony gekauft – mein erstes eigenes Pferd." Seitdem gehören Pferde immer zu ihrem Leben dazu. Heute, mit 46, hat Wendt die Haflinger-Mix Stute Mausi, 19 und den PRE Harry, 23.

Aber nicht nur privat beschäftigt sich Marlitt Wendt mit Pferden – auch beruflich hat die Verhaltensbiologin sich immer wieder mit den Tieren auseinandergesetzt. In ihrem neuesten Buch "Die Rechte der Pferde" dreht sich alles um artgerechte Haltung und Pferdewohl. Sie geht der Frage nach, welche Gesetze, Regeln und Rechte es gibt – und was Pferden wirklich guttut.

Wir haben mit ihr über die Faszination Pferd gesprochen und darüber, was Pferde wirklich brauchen.

Frau Wendt, was fasziniert Sie an Pferden?

Alles! Am meisten fasziniert mich ihre Feinfühligkeit, ihre Schwingungen, die Gefühle der Menschen anzusprechen und sofort eine Beziehung zu uns aufzubauen. Und dass sie uns den Spiegel vorhalten. Wir sind so darauf trainiert, über unsere eigenen Gefühle hinweg zu gehen, nett und fröhlich zu sein. Von den Pferden bekommen wir gespiegelt, was wirklich in uns ist.

In ihrem Buch gibt sie Pferden eine Stimme.
In ihrem Buch gibt sie Pferden eine Stimme. © Foto: Cornelia Ranz

In ihrem neuen Buch "Die Rechte der Pferde" geben sie ihnen eine Stimme. Haben die Reiterinnen und Reiter von heute die Pferde nicht mehr im Blick?

Nein, das wäre zu generell. Aber ich bemerke eine Spaltung der Szene. Es gibt viele, die extrem informiert sind und ein ganzes Team aus Trainern, Hufschmied, Tierarzt, et cetera zusammenstellen, damit es ihren Pferden gut geht. Und es gibt aber auch eine andere Szene, die zum Beispiel aus Gedankenlosigkeit einfach so weitermacht wie bisher und sich nicht groß um das Wohl der Pferde kümmert. Oder es geht eben ums Geld und dass die Pferde funktionieren…

Was aber nur ein kleiner Teil der Pferdeszene ist. Trotzdem bringt er alle in Verruf, oder?

Ja, die Skandale sorgen dafür, dass die gesamte Pferdewelt in Verruf gerät. Genau da möchte ich gegensteuern.

Gibt es Unterschiede zwischen Freizeit- und Sportreitern?

Die Grenzen verwischen immer mehr. Es gibt im Sportbereich Top-Beispiele für einen guten Umgang mit Pferden – und leider auch Problemfälle. Das gibt es aber auch bei Freizeitreitern. Zwar gibt es auch Dinge, die eher typisch für einen Bereich sind. Statistisch gesehen haben Pferde im Sport mehr Magengeschwüre. Dafür gibt es, wieder statistisch gesehen, bei den Freizeitpferden häufiger Hufrehe oder zu dicke Pferde. Für Pferde ist beides nicht toll.

Und dann gibt es die Pferdebesitzer, die ihre Lieblinge auf vier Hufen vermenschlichen…

(lacht) Ja, die Menschen schließen von sich auf ihr Pferd. Ist es draußen kalt, packen sie noch die dritte Decke aufs Pferd – übertrieben gesagt. Sie haben tausend kleine Pülverchen und verhätscheln ihr Pferd. Das tut den Pferden natürlich auch nicht gut.

Was sind die typischen Fehler, die Pferdebesitzer machen?

Es wird leider oft unterschätzt, wie viele Pferde gehandicapt sind – zum Beispiel durch Schmerzen, subtile Lahmheiten, Magengeschwüre. Das wird dann mit "der ist halt ein bisschen bockig" weggewischt und zu wenig nach den Ursachen geforscht, warum sich das Pferd so verhält. Dabei gibt es durchaus deutliche Hinweise, etwa Schweifschlagen oder eine unstete Anlehnung. Das sind nicht immer Reiterfehler, sondern können ein Hinweis auf Probleme sein.

Müssen wir Reiter also genauer hinsehen?

Ja – auch beim eigenen Pferd. Man ruht sich gerne zu lange darauf aus, dass es schon immer so war. Und man hat gerne eine simple Erklärung wie "Stuten sind so" oder "Tinker sind eben faul". Dabei könnte man, wenn man genauer hinsieht, feststellen, dass das Pferd vielleicht Stress oder Schmerzen hat.

Was fehlt Pferden bei uns am häufigsten?

Da gibt es zwei Punkte. Der eine ist: Pferde leben heute oft im goldenen Käfig. Und die Tücke liegt im Detail. Das heißt: Auf den ersten Blick scheint zum Beispiel die Haltung okay, aber die Fläche ist für die Herdengröße dann doch zu klein. Oder es gibt zu häufige Stallwechsel, was immer wieder Unruhe in die Herde bringt.

Und dann werden die klassischen Grundlagen des Reitens heute zu wenig beachtet – wie taktklare Gangarten, Losgelassenheit, jederzeit den Zügel lang lassen können. Viele gucken nach ‚oben‘ zum großen Sport und bejubelt actionreiche Auftritte. Dabei geht dann aber die Basis verloren.

Im Interview beantwortet sie fragen zu Pferden.
Im Interview beantwortet sie fragen zu Pferden. © Foto: Cornelia Ranz

Was brauchen Pferde?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns nur angucken, was Pferde sind: Herden- und Bewegungstiere. Das heißt sie brauchen so viel Platz wie möglich, also einen Lebensraum und keinen Aufbewahrungsort. Dazu sind Pferde sehr sozial, sie brauchen Beziehungen zu anderen Pferden, die möglichst stabil und konstant sind. Auch unter Pferden gibt es nämlich jahrzehntelange Freundschaften. Und sie brauchen viele Stunden eine Fütterung mit möglichst energiearmem Futter. Es gibt mittlerweile viele pfiffige Konzepte, wie zum Beispiel den Aktivstall, die Pferde artgerecht leben lassen.

Also sollten alle Pferde im Aktivstall leben?

(lacht) Nein, genau das funktioniert eben nicht. Man muss sich jedes Pferd individuell angucken und im Einzelfall entscheiden. Ein 32-jähriger Vollblüter hat andere Bedürfnisse als ein junger Isländer. Leider haben sich bei all diesen Fragen Fronten gebildet. Da wird über das Eindecken im Winter, die Boxenhaltung und so weiter gestritten. Dabei gibt es nicht die Lösung, die für alle Pferde passt. Und seien wir ehrlich: Rein organisatorisch ist die Ideal-Lösung auch nicht immer und überall machbar. Da hilft es, wenn Alternativen gesucht werden, die sich an die Gegebenheit anpassen.

Wenn Sie hören, dass Städte wie München ab 2024 die Pony-Karussells verbieten – was denken Sie dann?

Ich gebe zu, dass ich mich mit Pony-Karussells nicht intensiv beschäftigt habe. Aber ganz grundsätzlich denke ich: Verbote sind für die Szene ein Armutszeugnis. Umso mehr verboten wird, umso eher haben Nicht-Reiter den Eindruck, dass alle Reiter Tierquäler sind. Das tut dem Sport nicht gut. Aber: Wenn sich die Skandale häufen und die Reiterschaft sich nicht bewegt, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir ein schlechtes Image haben. Wenn zum Beispiel monatelang darüber gestritten wird, wo der Unterschied zwischen Barren und Touchieren ist…

Der Trend zu mehr Pferdewohl ist deutlich zu spüren – gibt Ihnen das Hoffnung?

Total! Ich erleben auch so viele Pferdebesitzer, die alles für ihre Pferde wollen. Da kann ich nur Hoffnung haben. Auch wenn ich weiß, dass es daneben eben auch eine skrupellose Szene gibt…

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Frau Wendt, was wünschen Sie sich für Pferde?

Ich wünsche mir, dass sie ein Pferdeleben führen dürfen und nicht das Abbild unserer Träume und Vorstellungen. Wir sind vielleicht für ein oder zwei Stunden am Tag bei ihnen. Die meiste Zeit verbringen sie ohne uns und die sollte so schön wie möglich sein!  © Pferde.de

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