Trauerbegleitung mit Pferd – das klingt im ersten Moment vielleicht nach einer ungewöhnlichen Kombination. Dabei können die sensiblen Partner auf vier Hufen gerade in diesen Momenten eine ganz besondere Hilfe sein, davon ist Anabel Schröder überzeugt. pferde.de sprach mit ihr über die tierische Kraft, die Pferde geben können und warum sie als Trauerbegleiter oft die besseren Zuhörer sind…
Mit sieben Jahren saß Schröder zum ersten Mal im Sattel. "Seitdem gehören Pferde zu meinem Leben dazu", sagt sie lachend. Doch auch wenn sie nicht ohne leben wollte – "ein eigenes Pferd habe ich nie besessen." Auf die Idee, dass Pferde einmal beruflich ihre tierischen Partner werden könnten, ist sie früher nie gekommen. Im Gegenteil: Im Job ging es zuerst vor allem um eins – die Karriere.
"Ich habe Betriebswirtschaft studiert, danach zehn Jahre lang für Konzerne gearbeitet", erzählt Schröder. "Das war okay. Aber eben nicht alles." Denn vor allem eine Frage trieb die heute 53-Jährige an: "Wieso tickt der Mensch, wie er tickt?" Und so machte sie eine Ausbildung für psychologische Beratung und zur Kommunikationsmanagerin.
2003 folgte der Schritt in die Selbständigkeit als Coach. Ein Jahr später hatte sie ihr tierisches Aha-Erlebnis: "Ich habe über eine Freundin pferdegestütztes Coaching kennengelernt." Schröder lacht: "Da kannte ich die Wirkung von Pferden auf uns Menschen aus eigener Erfahrung – aber ein anderer musste mir die Augen öffnen, wie wertvoll Pferde beim Coaching sein können."
Pferde geben Nähe – und Halt
Sie tat sich dann mit einer Kollegin zusammen. "Sie hatte die Pferde, ich die Coach-Erfahrung." Auch privat wollte Schröder für Menschen da sein und engagierte sich jahrelang beim Hamburger Kriseninterventions-Team. "Wir sind in den schlimmsten Momenten für die Menschen da, wenn zum Beispiel ein Familienmitglied bei einem Unfall gestorben ist", sagt sie. Dabei spürt sie, dass Menschen nicht nur im ersten Schock Hilfe brauchen. "Ich habe dann eigene Trauerrunden angeboten und dabei gesehen, wie hilfreich es ist, wenn man in seiner Trauer einen Menschen an seiner Seite hat", erklärt sie.
Letztes Jahr kam sie auf die Idee, Pferde zur Trauerbegleitung zu nutzen. So stellte sie fest: "Pferde unterstützen alles, sie geben Halt und bauen Nähe auf." Eine Nähe, die professionelle Trauerbegleiter normalerweise nicht haben. "Als Trauerbegleiter helfe ich auf dem Weg zurück ins Leben. Aber ich nehme nicht in den Arm. Pferde sind da anders, sie können diese Grenze ohne Probleme überschreiten. Trauernde können sich an sie anlehnen, mit ihnen kuscheln – und dabei ganz viel Wärme spüren." In ihrer Arbeit wird sie von ihrer Kollegin Diana Brasse und den Friesen Orion und Jorrit unterstützt.
Pferde als Partner zum Anlehnen
Vor allem sind Pferde ohne Vorurteile. "Sie nehmen jeden Menschen, wie er ist. Und sie sind tolle Zuhörer, weil sie keine blöden Kommentare abgeben. Stattdessen bringen sie durch ihre Ruhe und Kraft Menschen zum Sprechen", sagt Schröder.
Es gibt viele Übungen, bei denen Pferde Trauerbegleiter auf vier Hufen sein können. "So können Trauernde mit dem Pferd einen bestimmten Weg gehen. Am Ziel angekommen, blicken sie auf den Punkt, an dem sie gestartet sind, zurück und sehen dabei auf den Trauerweg zurück, den sie bereits gegangen sind. Das kann sehr bewegend sein. Durch das Pferd, das ja neben ihnen steht, haben sie einen Partner, an den sie sich anlehnen können", so die 53-Jährige.
Trauerbegleiter: Pferde sind perfekte Zuhörer
Bei einer anderen Übung geben die Trauernden mit dem Pferd zu einer Plane. "Der Mensch stellt sich auf die Plane und soll dann dafür sorgen, dass das Pferd die Plane nicht betritt. Im übertragenen Sinne stet die Plane für die eigene Komfortzone und die Betroffenen lernen, wie sie sich abgrenzen können", erläutert Schröder. Denn genau das sei für Trauernde oft ein Problem: "Es gibt Menschen, die diese Komfortzone nicht sehen – und dadurch Grenzen überschreiten."
Oder die Trauernden schreiben den Verstorbenen einen ganz ehrlichen Brief und lesen diesen dann dem Pferd vor. "Pferde sind in diesen Momenten perfekte Zuhörer", sagt Schröder und führt fort: "Denn Trauernde empfinden zum Beispiel auch Schuld den Menschen gegenüber, die gestorben sind. Und die muss ausgesprochen werden. Während Freunde oder Familie damit nur selten umgehen können, akzeptieren Pferde das."
All das mache Pferde zu sehr guten Trauerbegleitern, sagt Schröder. Denn der Umgang mit Trauernden sei heute für viele Menschen ein Problem. "Sie weichen aus, gehen lieber auf die andere Straßenseite – ganz einfach, weil sie überfordert sind", sagt die psychologische Beraterin. Oft kommen dann auch Sprüche, die für Trauernde nur schwer zu ertragen sind. "Es gibt leider ganz gruselige Sätze wie ‚Stell dich nicht so an‘ oder ‚Da musst du durch‘", sagt sie.
"Fürchterlich ist es auch, wenn ein Kind gestorben ist und die trauernden Eltern dann hören ‚Aber du hast doch noch ein anderes Kind‘", sagt die Life-Coachin. "Dazu haben viele Menschen eine eigene Vorstellung davon, wie und vor allem wie lange ein Mensch trauern sollte", führt sie weiter aus und resümiert: "Dabei ist Trauer absolut individuell. Es gibt keine falsche und richtige Trauer, keine gute und schlechte Trauer. Es gibt einfach nur Trauer. Und Pferde nehmen sie an, das macht sie so wertvoll."
Trauerbegleiter auf vier Hufen – zurück ins Leben
Natürlich laufen in diesen Seminaren auch Tränen. "Aber es wird auch gelacht. Trauerbegleitung heißt ja, den Blick auch wieder nach vorne zu richten", sagt Schröder. Bei der Trauer geht es nicht immer nur um einen Menschen, der gestorben ist. "Es gibt Menschen, die trauern um ihre große Liebe, die zerbrochen ist. Oder um ihren Traumjob, den sie verloren haben. Auch hier machen Pferde keine Unterschiede. Jede Trauer ist für sie gleich wichtig", sagt die Coachin. Die Pferde dürfen sich nach einem Trauerseminar kräftig erholen, am besten auf der Weide und in ihrer Herde, denn sie spüren natürlich die Emotionen auch.
Ihr Wissen gibt Schröder weiter, bietet mit ihrem Bildungszentrum EQzellent erstmalig die hybride Ausbildung zur Trauerbegleitung mit Pferd an. Für wen der Kurs ist? "Auf keinen Fall für Menschen, die so nur ihren eigenen Verlust verarbeiten möchten", stellt Schröder klar. "Es sollten Menschen mit Pferdeerfahrung sein, die eine innere Stabilität haben und sich nicht selbst therapieren wollen", sagt sie. Ihnen will Schröder beibringen, was Pferde in der Trauerbegleitung leisten können. "Sie bringen das Leben zurück!" © Pferde.de
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