Zum Schutz der einheimischen Vogelwelt will die neuseeländische Regierung mit dem Programm "Predator Free 2050" die gesamte Population invasiver Raubtiere vernichten. Ein radikaler Ansatz, dessen Techniken zur Umsetzung allerdings nicht nur auf Zustimmung stößt.
Im Jahr 2016 kündigte der damalige neuseeländische Premierminister John Kay an, dass Neuseeland bis 2050 frei von Raubtieren sein soll. Die "Predator Free 2050" genannte Initiative zielt darauf ab, die gesamte Population invasiver Raubtiere auszurotten. Oberflächlich gesehen, mag dieser Ansatz radikal erscheinen.
Das Ziel der Initiative ist es jedoch, die einheimischen Vögel des Landes zu schützen. Denn seit 1800 sind 16 Vogelarten für immer verschwunden. Von den heutzutage dokumentierten 252 Arten und Unterarten ist jeweils ungefähr ein Drittel gefährdet beziehungsweise vom Aussterben bedroht. Sie wurden Opfer invasiver Raubtiere.
Angst um Nationalvogel Kiwi
Vor allem sorgt man sich um den Nationalvogel Kiwi und den nicht minder skurrilen Kakapo. Da sich diese flugunfähigen Vögel vormals in einer raubtierfreien Umgebung entwickelt hatten, haben sie niemals gelernt, sich zu verteidigen. Sie waren und sind daher eine leichte Beute für die seit 1837 von europäischen Siedlern absichtlich zur Pelz- und Fleischgewinnung eingeführten Opossums, Frettchen und Wiesel sowie für das 1879 zur Kaninchenbekämpfung ebenfalls eingeführte Hermelin.
Und die Europäer hatten noch weitere ungebetene Gäste an Bords ihrer Schiffe: Ratten. Mit rund 25 Millionen erbeuteten Vögeln pro Jahr stellen diese invasiven Arten jetzt die größte Gefahr für die Vogelwelt Neuseelands dar. Die Initiative "Predator Free 2050" ist daher der "drastische Ruf zu den Waffen", um die einheimische Vogelwelt auf den neuseeländischen Inseln zu schützen.
"Predator Free 2050" zeigt bereits auf kleineren Inseln Wirkung
Seit 2001 ist Campbell Island mit 43,51 Quadratkilometern die größte, vollständig von Ratten befreite Insel. Etwa zwei Drittel von Neuseelands kleineren Inseln wurden in den letzten 60 Jahren bereits vollständig von Prädatoren "gesäubert". Seitdem ist eine deutliche Erholung der Vogelwelt und eine massive Zunahme der Vogelvielfalt zu verzeichnen. Das erklärte Zwischenziel von "Predator Free 2050" lautet daher, die Entfernung sämtlicher eingeschleppten Raubtiere von allen kleineren Inseln bis 2025.
Weil eine ähnlich positive Entwicklung auch in den 27 eingezäunten Wildreservaten auf den Hauptinseln dokumentiert ist, hat die Initiative eine breite öffentliche Unterstützung. 84 Prozent der befragten 8.000 Personen stimmten dem zu, dass die eingeschleppten Raubtiere ein erhebliches Risiko für die heimische Vogelwelt darstellen.
Neuseeland: Rattenfangen für den Vogelschutz
Bei der Initiative "Predator Free 2050" zieht das Land an einem Strang: die Regierung, Universitäten, private Neuseeländer und sogar Naturschutzorganisationen. Auch das Wissen der Māori, die seit Jahrhunderten Ratten in Käfigen fangen, fließt in die Kampagne mit ein.
2016 stellte die neuseeländische Regierung laut der neuseeländischen Website "stuff.co.nz" 28 Millionen Neuseeland-Dollar zur Finanzierung des Projekts für die ersten vier Jahre zur Verfügung und zusätzliche 7 Millionen Neuseeland-Dollar für jedes weitere Jahr zugesagt.
Kosten: 75,6 Millionen Neuseeland-Dollar
Seit 2020 investiert die Regierung dank des Programms "Jobs for Nature Mahi mo te Maiao" weitere 19 Millionen Neuseeland-Dollar pro Jahr in ihr ambitioniertes Ziel. Geld, das gut benötigt wird. Denn trotz der vielen freiwilligen Helfer sind die Kosten enorm: Mit den derzeit angewendeten Methoden, bestehend aus Falle und Köderstation, betragen diese zwischen 50 und 200 Neuseeland-Dollar pro Hektar. Dazu kommen circa 25 bis 50 Neuseeland-Dollar pro Jahr und Hektar für die Wartung dieser Geräte. Und das alles zu den circa 70 Millionen Neuseeland-Dollar (umgerechnet rund 40 Millionen Euro), die die neuseeländische Regierung eh schon jährlich für die Raubtierbekämpfung ausgibt. Insgesamt soll das Projekt "Predator Free 2050" 75,6 Millionen Neuseeland-Dollar kosten.
Gute Erfahrung hat man in letzter Zeit aber mit Drohnen gemacht, die anstelle von teuren Hubschraubern nicht nur die Giftköder punktgenau an Hotspots abwerfen, sondern die "befreiten Gebiete" danach auch kostengünstig beobachten können.
Angewendete Techniken sind umstritten
"Predator Free 2050" nutzt eine Vielzahl von Strategien und Techniken, um die eingeschleppten Raubtiere zu bekämpfen. Diese reichen vom Aufstellen von Einwegfallen, die Verwendung von "Gene Drives" sowie von Ködern mit 1080-Gift.
Besonders die Anwendung von 1080-Giftködern führt immer wieder zu Protesten. Denn der Einsatz von 1080-Gift ("Natriumfluoracetat") ist in den meisten Ländern verboten, weil es ein hohes Risiko für alle Landsäugetiere, einschließlich der Haustiere, darstellt. Nur noch in sechs Ländern wird 1080-Gift verwendet, darunter in Australien und Neuseeland. Trotz der Proteste von Tierschutzgruppen und einer Ablehnungsquote von 48 Prozent in der Bevölkerung hält die Regierung jedoch am Einsatz dieses Toxins fest und erklärt, dass es notwendig dafür sei, invasive Raubtiere in schwer zugänglichen Regionen zu bekämpfen.
Und auch Verwendung von "Gene Drives" lehnen 68 Prozent der Bevölkerung ab. Diese kontrollierte Manipulation der Gene von Tieren soll zu beschleunigten Veränderungen innerhalb von Tierpopulationen führen, die normalerweise Generationen dauern würden. Der Einsatz von "Gene Drives" wird auch in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Einige Forschende vermuten, dass ihre Anwendung einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und unvorhergesehene Konsequenzen haben könnte.
"Predator Free 2050" ist nicht ohne Kritik
Die Initiative "Predator Free 2050" ist nicht frei von Kritikern. So lassen zum Beispiel die Naturforscher Wayne Liklater und Jamie Steer kein gutes Haar an dem ambitionierten Projekt. In einem Artikel, der in "Conservation Letters", einer internationalen Fachzeitschrift für Naturschutzbiologie, erschien, kritisierten sie die Regierung: "Die Politik ist fehlerhaft und riskiert, Anstrengungen und Ressourcen von wichtigeren Umweltprioritäten und besseren Alternativen abzulenken."
Ihrer Ansicht nach müsse es bessere Möglichkeiten als die Vergiftung von Lebensräumen geben. Außerdem geben die Forscher zu bedenken, dass die Ökosysteme, deren Teil die invasiven Raubtiere jetzt sind, keine "einfachen Räuber-Beute-Strukturen" haben, sondern ein kompliziertes Netz aus vielen verschiedenen Arten sind. "Das Entfernen eines Teils dieses Systems, auch wenn es bedrohte Vögel rettet, könnte unvorhergesehene Konsequenzen in anderen Teilen der Kette haben."
Ist diese Raubtierbekämpfung überhaupt realistisch?
Doch ist ein solches Unternehmen wie "Predator Free 2050" überhaupt realistisch und umsetzbar? Wolfgang Rabitsch, Spezialist für invasive Arten am österreichischen Bundesumweltamt, sieht die Sache pragmatisch: "Natürlich ist es eine Herausforderung. Aber Neuseeland hat enorme Probleme mit eingeführten Prädatoren. Und wenn sie das Aussterben von vielen Vogelarten verhindern wollen, müssen sie etwas tun."
"Predator Free 2050" – für die einen die entscheidende Antwort für den Erhalt der einzigartigen Biodiversität Neuseelands, für die anderen legalisierte Ausrottung ganzer Tierpopulationen, ohne sich der anschließenden Konsequenzen für das Ökosystem bewusst zu sein. © Deine Tierwelt
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