Schule? Bringt nicht immer Spaß. Außer freitags: Da kommen sechs Kinder der Alexander von Humboldt-Realschule in Siegburg besonders gerne zum Unterricht. Denn statt Mathe und Co. steht dann "Reitstall" auf dem Programm. pferde.de sprach mit Schulleiterin Iris Gust über ihr Schul-Projekt, die besondere Kraft der tierischen Lehrer, Mut – und die neue Lust am Durchhalten.
"Das Pferd ist dein Spiegel. Manchmal gefällt dir, was du darin siehst, manchmal aber auch nicht." Das sagte US-Pferdetrainer Buck Brannaman. Und genau das nutzt Schulleiterin Gust, um ihren Schülern zu zeigen, was in ihnen steckt. Dafür hat die 53-Jährige ein ganz besonderes Schul-Projekt ins Leben gerufen: Seit November haben Kids bei "Pferde stärken – Pferdestärken" einmal die Woche Unterricht im Reitstall.
Auf die Idee kam Gust durch ihre eigene Erfahrung: "Nach einer schweren Erkrankung habe ich mit 40 Jahren selbst mit dem therapeutischen Reiten angefangen", erzählt die Siegburgerin. Bis dahin hatte sie nichts mit Pferden zu tun. "Um ehrlich zu sein: Ich hatte wahnsinnige Angst vor ihnen", sagt sie heute lachend. "Doch damals wusste ich: Das therapeutische Reiten kann mir helfen. Also habe ich mir einen Stall gesucht, der das anbietet. Und habe mir gesagt: Ich schaue mir mal an, was die so tun."
Vertrauen zu Pferden wächst schnell
Aus dem Zusehen wurde ein Mitmachen. "Ich habe in dieser Zeit gemerkt, wie schnell Vertrauen zu Pferden wachsen kann", sagt die Schulleiterin. Zwei Jahre später kauft sie sich ihr erstes eigenes Pferd: Hove, 21 Jahre, ein Fjord-Pferd. "Mein Therapiepferd war ein Norweger, so bin ich bei der Rasse hängengeblieben", sagt sie mit einem Lächeln. Heute gehört auch Findus, ein zehnjähriger Shetländer zu ihr. "Mit beiden mache ich viel Bodenarbeit."
Der tägliche Umgang mit den Pferden prägt sie. "Dadurch kam ich auf die Idee, dass Pferde auch für die Kinder meiner Schule ideal sind. Wir sind eine Realschule mit Inklusion. Das heißt: Einige Kinder haben einen besonderen Bedarf, haben zum Beispiel Lernschwierigkeiten oder brauchen sozial-emotionale Förderung." Sie entwickelt das Projekt "Pferde stärken – Pferdestärken", sucht sich Sponsoren und Unterstützer. "Die Kinder waren sofort begeistert, auch die Eltern waren sofort dabei. Einige waren mit ihren Kindern bereits beim therapeutischen Reiten. Aber das muss selbst gezahlt werden und das kann sich nicht jeder leisten. Bei uns kostet dieser Extra-Unterricht die Kinder nichts", erklärt die Rektorin.
"Was machen die da im rosa Pony-Club?"
Dank der Förderer Lions Club Siegburg, Stiftung der VR Bank Bonn Rhein Sieg sowie der Walter Mundorf Stiftung Siegburg konnte das Schul-Projekt nach Konzepterstellung sehr zügig starten. Doch nicht alle standen dem Projekt offen gegenüber. "Wir haben auch Skeptiker, die sagen: was machen die denn da im rosa Pony-Club?", sagt Gust.
Auch im Kollegen-Kreis gibt es Bedenken. "Sie sagen: Die Kinder fehlen einmal die Woche im Unterricht, dann fehlt ihnen der Unterrichtsstoff. Und ja, sie haben recht: Die Kinder lernen dann zum Beispiel kein Mathe. Aber sie lernen andere Dinge, die ihnen im Unterricht und im Leben helfen." Denn die Pferde sind wie tierische Lehrer – mit ganz besonderen Gaben. "Sie lassen sich nicht durch eine Show, die jemand zeigt, blenden. Sie schauen uns in die Seele. Und zeigen uns dann, was sie sehen", weiß die 53-Jährige.
Die Umsetzung konnte nur durch die Kooperation mit Mechthild Hoffmann vom Reitsportzentrum Siegburg gelingen, die sofort für diese Idee zu begeistern war. Zwei Gruppen mit jeweils sechs Schülern sind aktuell bei dem Projekt dabei. Im Wechsel fährt immer eine Gruppe am Freitag zum Reitsportzentrum Siegburg. Gust ist immer dabei. Dazu begleitet eine weitere Lehrkraft, Judith Bröckelmann, ebenfalls Pferde-Frau, das Projekt.
Schul-Projekt: Durchhalten – auch wenn etwas mal nicht klappt
Zuerst wird zusammen gefrühstückt, dann werden die Ponys geputzt und fertig gemacht. Anschließend gehen drei Kinder mit den Ponys Mister Bean, Ferro und Snoopy in die Halle, die drei anderen Kids bekommen theoretischen Pferde-Unterricht. Nach einer Stunde wird getauscht. "Die Kinder haben wenig Durchhaltevermögen, können sich nicht so gut konzentrieren, einige sind hyperaktiv. Bei den Pferden lernen sie, sich zu konzentrieren – und durchzuhalten, auch wenn etwas mal nicht klappt", sagt die Schulleiterin.
Vor allem aber bringen die Pferde auch Ängste an die Oberfläche. "Die Kinder sind oft mit der Furcht behaftet, dass sie nicht dazu gehören. Sie glauben, dass niemand sie mag, weil bei ihnen etwas nicht stimmt." Diese Angst zeigt sich manchmal ganz unerwartet. "Ein Junge wollte mit einem Pony durch die Halle gehen, das Pony lief weg. Da sagte er dann: Das Pony mag mich auch nicht", erzählt Gust.
Sie spricht mit dem Jungen. "Er hat keine sichere Körperhaltung, guckt immer auf den Boden. Meinen Vorschlag, den Kopf mal nach oben zu nehmen, fand er erst nicht gut. Das wirkt arrogant, glaubte er. Trotzdem hat er es versucht – und das Pony ließ sich von ihm ganz brav führen. Da hat er gestrahlt und verstanden, was Körpersprache bewirken kann", berichtet Gust.
Die Kinder wollen nicht, dass ihrem Pony etwas passiert
Auch andere Ängste nehmen die Ponys ganz nebenbei wahr. "Kleidung und Aussehen sind wichtige Themen bei Jugendlichen. Viele glauben, die richtige Kleidung macht sie beliebt", sagt Gust. "Bei den Pferden lernen sie, dass es völlig egal ist, was sie tragen. Pferde stehen nicht auf Marken. Sie gucken sich den Menschen an – und mögen ihn so, wie er ist."
Neben Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen lernen die Kinder in dem Schul-Projekt auch, wie wichtig Regeln sind. "Natürlich sind da auch Ängste, dass sie vielleicht getreten oder gebissen werden. Deshalb nehmen sie die Regeln als selbstverständlich hin. Denn die Kinder wollen nicht, dass ihnen was passiert. Vor allem wollen sie aber nicht, dass ihrem Pony etwas passiert."
Schul-Projekt: Der Erfolg gibt der Schulleiterin Recht
Schon nach den ersten Stunden zeigte sich auch in der Schule, wie wertvoll die Pferde-Stunden sind. "Ich habe drei Pferde-Kids in meiner Matheklasse. Wenn sie da mal aus der Reihe tanzen, frage ich sie jetzt: Würdest du das im Stall auch machen? Dann schütteln sie den Kopf und erklären mir, warum es dort nicht geht. Und schon sind sie bei mir und arbeiten wieder mit."
Der Erfolg gibt Gust recht – und macht Lust auf mehr. "Wir haben deutlich mehr Bedarf", sagt sie. "Wir haben mit Kindern mit Inklusion angefangen, aber auch andere Kinder würden von dem Pferde-Unterricht profitieren." Ihre Hoffnung: Das Projekt bald für bis zu 30 Kinder anbieten zu können. "Zum Glück haben wir viele Unterstützer."
Aktuell ist das Schul-Projekt für ein Jahr sicher. "Aber wir hoffen, dass wir danach weitermachen können." Damit das klappt, wird das Schul-Projekt über den Einsatz der Equitedo App evaluiert. Und auch die Skeptiker will Gust mitnehmen: "Im Januar machen wir eine Lehrerfortbildung mit Pferden", sagt die Schulleiterin. So würden alle sehen, dass der Pferde-Unterricht kein Spiel und Spaß ist, sondern ein Lernen fürs Leben… © Pferde.de
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