Was ist wirklich Vorschrift, wenn es um die Erfassung von Arbeitszeit geht? Und wie sieht es mit Vertrauensarbeitszeit aus?
In Deutschland muss die Arbeitszeit erfasst werden, das steht seit 2022 fest. Doch ein konkretes Gesetz zur Umsetzung in Detail gibt es noch immer nicht. Umso größer ist die Verunsicherung aufseiten der Arbeitnehmenden. Halbwissen und Irrtümer halten sich hartnäckig. Aber was ist da dran? Zwei Arbeitsrechtsexperten klären auf.
Wie verpflichtend sind die Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung?
Zunächst einmal: Das deutsche Arbeitszeitgesetz regele seit Jahrzehnten, Arbeitszeiten über acht Stunden am Tag, also Überstunden, zu erfassen, so Peter Meyer, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied im Deutschen Anwaltverein. In vielen Betrieben, insbesondere Produktionsbetrieben, wird Arbeitszeit entsprechend auch seit vielen Jahren erfasst - man denke nur an die Stempeluhr.
Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgerichts 2022 in einem Grundsatzurteil beschlossen, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet werden müssen (Az.: 1 ABR 22/21). Vorausgegangen war das sogenannte Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Demnach sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Sie soll helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten.
Auch verschiedene Gutachten, die die Bundesregierung einholen ließ, seien zu diesem Ergebnis gekommen, erklärt Prof. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied im Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte (VDAA). "Es mag sein, dass die Arbeitszeit nicht in allen Unternehmen erfasst wird, das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Verpflichtung." Ein konkretes Gesetz, das Details zur Umsetzung einer Arbeitszeiterfassung regelt, gibt es aber in Deutschland bislang nicht.
Wie wird die Umsetzung der Arbeitszeiterfassung kontrolliert?
Ein Problem an der Arbeitszeiterfassung in Deutschland: Theoretisch ist eine Kontrolle möglich, praktisch passiert aber wenig. Das Arbeitszeitgesetz sieht nur bei Verstößen gegen die Pflicht zur Aufzeichnung der über acht Stunden werktäglich hinausgehenden Arbeitszeit Bußgelder vor. Ordnet eine Arbeitsschutzbehörde aber die Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung an und kommt der Betrieb dem nicht nach, könnten eventuell Bußgelder nach diesem Gesetz verhängt werden. "Das passiert meines Wissens aber derzeit nicht", so Fachanwalt Peter Meyer.
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Werde die Arbeitszeit nicht erfasst, gebe es maximal eine Ermahnung, und eine entsprechende Auflage für die Zukunft, sagt auch Michael Fuhlrott. Dies werde sich erst dann ändern, wenn der Gesetzgeber Regelungen für Bußgelder bei fehlender Zeiterfassung einführt. Meist würden Betriebe nur kontrolliert, wenn es zuvor Beschwerden gab, beispielsweise von ehemaligen Beschäftigten, so der Fachanwalt. Insgesamt sei die Kontrolldichte jedoch gering.
Muss die Arbeitszeiterfassung zwingend elektronisch erfolgen?
Auch das wird derzeit noch diskutiert. In einem ersten Gesetzesentwurf war eine solche Pflicht zur elektronischen Erfassung noch vorgesehen, wie Arbeitsrechtsexperte Fuhlrott erläutert. Dieser sei jedoch nach massiver Kritik nicht weiter verfolgt worden. In den meisten Betrieben hat sich längst ein System etabliert, ob per Tabelle, App oder über die klassische Stechuhr.
Müssen Beschäftigte auch im Homeoffice ihre Arbeitszeit erfassen?
Egal, wo und wann man arbeitet, die Arbeitszeit muss aufgeschrieben werden. Die Regelung gilt übrigens nur für Arbeitnehmer, nicht für freie Mitarbeiter. Auch für leitende Angestellte besteht eine Ausnahme. Stehen Praktikanten in einem Arbeitsverhältnis, müssen auch sie ihre Stunden festhalten.
Können Beschäftigte etwas tun, damit der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nachkommt?
Eigentlich soll der Betriebsrat nicht das Recht haben, die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung zu initiieren, so der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts von 2022. Es bleibe aufgrund der Verpflichtung nach dem Arbeitsschutzgesetz kein Spielraum zur Mitbestimmung, so die Begründung.
Peter Meyer zufolge wies das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung jedoch selbst darauf hin, dass es in Bezug auf das "Wie" einer vom Arbeitgeber gewünschten Zeiterfassung anders aussehe. "Insoweit könnte ein Betriebsrat - soweit vorhanden - durchaus die Initiative ergreifen."
Arbeitszeiterfassung und Vertrauensarbeitszeit - schließt sich das nicht aus?
Das ist in der Tat ein Problem. Zumindest wenn unter Vertrauensarbeitszeit verstanden wird: Arbeiten, ohne die Zeit zu erfassen. Vertrauensarbeitszeit im Sinne von selbstbestimmtem Arbeiten ohne Genehmigung und nach freier Einteilung ist weiterhin möglich, die Arbeitszeit muss aber erfasst werden.
Wer beispielsweise in kreativen oder Wissensberufen vormittags arbeitet, sich nachmittags anderen Dingen widmet und erst abends spät noch einmal am Schreibtisch sitzt, würde die vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden ignorieren. Manch einer könnte sich hier bevormundet fühlen.
Daher wird auch diskutiert, die bislang vorgesehene tägliche Höchstarbeitszeit abzuschaffen. Nach europäischem Recht wäre dies möglich, das nur Vorgaben zur Höhe der wöchentlichen Arbeitszeit macht. In diese Richtung ging auch ein Vorstoß der Unionsfraktionen, der jedoch abgelehnt wurde.
Zudem könnte es bestimmten Berufsgruppen erlaubt sein, frei zu entscheiden, wann sie arbeiten. Die Gewerkschaften wiederum plädieren Meyer zufolge dafür, eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für alle Berufsgruppen einzuführen. Ihr Argument: Vertrauensarbeitszeit sei dennoch möglich, sie müsse aber festgehalten werden.
Hat die Arbeitszeiterfassung also nur Vorteile für Beschäftige?
Ein klarer Fall von: Es kommt darauf an. Für einzelne Arbeitnehmergruppen kann es durchaus Nachteile geben, so Peter Meyer. Vor allem für diejenigen, die sich ihre Zeit bislang frei eingeteilt haben oder Vertrauensarbeitszeit genossen. Andererseits können Verstöße gegen Ruhezeiten oder zu viele Überstunden dank der Arbeitszeiterfassung leichter aufgedeckt werden. "Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hat die bestehenden Vorgaben nicht verschärft", sagt Fuhlrott. "Es kommt jetzt nur das ans Licht, was die vergangenen Jahrzehnte so praktiziert wurde." (dpa/bearbeitet von tar)
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