- Mirijam Trunk hat mit nur 31 Jahren schon eine führende Position in einem der größten Medienunternehmen Deutschlands.
- Und sie kennt das Gefühl, die einzige Frau im Konferenzraum zu sein.
- Nun hat Trunk ein Buch über die Ungerechtigkeiten und Fallstricke geschrieben, die es für Frauen in der Arbeitswelt noch immer gibt.
Mirijam Trunk hat bereits in jungen Jahren eine erfolgreiche Karriere hingelegt. Mit nur 31 Jahren hat sie eine Führungsposition in einem der größten Medienkonzerne Deutschlands. Sie hat Geschäftsbereiche aufgebaut, trifft Entscheidungen auf oberster Ebene, leitet große Teams, spricht bei Kongressen. Und doch kommt es immer wieder vor, dass sie für die Assistentin eines männlichen Kollegen gehalten wird.
Nun hat Trunk ein Buch über ihre Erfahrungen in der Arbeitswelt geschrieben. Im Interview dazu mit unserer Redaktion spricht sie über die Ratschläge, die sie gern als Berufsanfängerin gehabt hätte, wie hart es noch immer für Frauen im Beruf sein kann und wieso es gar nicht so schwer ist, kein Sexist zu sein.
Frau Trunk, In Ihrem Buch geht es unter anderem darum, was Sie gerne früher gewusst hätten. Was aber haben Sie Ihrer Meinung nach von Anfang an richtig gemacht im Berufsleben?
Mirijam Trunk: Ich war immer authentisch. Ich habe nie vorgegeben, etwas zu sein, was ich nicht bin. Auch – und da sind wir bei dem Thema Privileg – weil ich wusste, ich würde relativ weich fallen. Ich hatte nie die Angst, dass ich die Miete nicht mehr zahlen kann, wenn etwas nicht klappt.
Nach außen wirkt Ihr Werdegang beeindruckend und erfolgreich. In Ihrem Buch geht es hingegen um Missstände, um das, was nicht richtig läuft in der Arbeitswelt, vor allem für Frauen und Minderheiten. Was hat dazu geführt, dass Sie dieses Buch geschrieben haben?
Ich habe das Buch nicht geschrieben, weil ich am meisten betroffen war, sondern weil mir plötzlich Dinge aufgefallen sind. Als ich vor viereinhalb Jahren Geschäftsführerin wurde, war ich auf einmal oft die einzige Frau im Raum. Auch bei Meetings mit Externen. Zuvor waren es etwa Hälfte Frauen, Hälfte Männer. Nachdem ich diesen Sprung gemacht hatte, waren dort auf einmal nur noch weiße Menschen und Männer. An diesem Punkt habe mich gefragt: Wo sind denn alle? Hinzu kam, dass es mit der Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 viel um strukturellen Rassismus auch in Deutschland ging. Damals ging mir auf: Das hängt alles zusammen.
Sind Ihnen daraufhin Situationen eingefallen, die Sie rückblickend als nicht in Ordnung betrachten?
Bei meiner ersten großen Management-Tagung, bei der ich auf der Bühne stand, kam ich etwas zu spät. Als ich nach meinem Namensschild gefragt habe, hat mich die Frau am Eingang für die Assistentin eines männlichen Teilnehmers gehalten. Ich habe immer wieder diese Erfahrung gemacht, dass Leute dachten, der Mann im Raum wäre automatisch höhergestellt. Mir ist dann klar geworden, dass das eben das Stereotyp im Kopf ist: Wenn eine junge Frau und ein älterer Mann in einen Raum kommen, muss er der Chef sein. Damals habe ich angefangen, über die Rollenbilder nachzudenken, die wir so im Kopf haben: Warum ordnen wir Menschen automatisch Tätigkeiten oder Hierarchiestufen zu?
In Ihrem Beispiel ist es eine andere Frau, die Sie direkt als "die Assistentin" eingeordnet hat. Wo oder bei wem muss Ihrer Meinung nach ein Umdenken stattfinden?
Diese unbewussten Vorurteile sind ja in jedem von uns. Die bekommen wir mit, ab dem Moment, in dem wir die Augen aufmachen und beobachten, wie sich die Welt ordnet. Wir lernen: Im Sekretariat sitzen Frauen, die Mama kocht, der Papa arbeitet. Das Umdenken muss auf allen Ebenen, völlig geschlechtsunabhängig stattfinden. Bei jedem. Auch bei mir selbst.
Was kann uns dabei helfen?
Vorbilder. Denn wir lernen durch das, was wir sehen. Was für mich auch sehr zentral ist: Es geht nicht gegen Männer. Das Problem sind auch nicht die Männer. Im Gegenteil: Männer leiden genauso darunter.
Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel gehen nur wenige Männer in Teilzeit. Chancengleichheit bedeutet nicht nur, dass Frauen Karriere machen können. Es heißt auch, dass Männer eine gleichberechtigte Eltern-Kind-Beziehung haben dürfen. Für manche heißt Chancengleichheit, eher daheim zu bleiben, als in den Vorstand zu kommen. Für einige Mitglieder der queeren Community heißt Chancengleichheit, überhaupt akzeptiert zu werden und nicht mit ihrem Deadname (der alte, nicht mehr verwendete Vorname von Trans-Personen; Anm.d.Red.) angesprochen zu werden. Wenn man es an Karriere, Verdienst und Aufstiegschancen misst, profitieren Männer nach wie vor in unserem System. Das heißt aber nicht, dass sie das Problem sind. Wir sind alle Teil des Problems und wir können alle Teil der Lösung sein.
Was kann man konkret tun, um Teil der Lösung zu sein? Sagen wir, als nicht mehr ganz so junger Mann, der aber nicht als "böser alter weißer Mann" wahrgenommen werden möchte.
Erst einmal: Die allermeisten Männer, die ich kenne, sind weder sexistisch, noch sind sie "böse alte weiße Männer". Der Mann in Ihrem Beispiel aber kann sich einfach mit den Bedürfnissen der anderen beschäftigen. Gerade wenn man sich fragt: "Was darf man heute denn überhaupt noch?" Es gibt sehr viele Wege, um das herauszufinden – in Podcasts, Büchern, Videos, in denen erklärt wird, warum man zum Beispiel gewisse Wörter nicht mehr verwenden soll. Es ist wirklich gar nicht so schwer, kein Sexist zu sein. Man muss sich nur ein bisschen damit auseinandersetzen und nachdenken, dann weiß man, welche Fragen man vermeiden sollte, weil sie andere verletzen.
Können Sie das genauer erläutern?
Man darf fast alles - die Frage ist, was man will. Der Schlüssel ist, sich zu bilden und mit den eigenen Privilegien zu beschäftigen: Warum habe ich in dieser Situation diese Rolle? Das Tückische an Privilegien ist, dass wir sie meist erst bemerken, wenn wir sie nicht haben. Die einzige weiße Person auf einer Party zu sein zum Beispiel – das passiert mir nicht. Und gerade wenn ich Privilegien habe: Überlegen, wie ich sie einsetzen kann. Zum Beispiel, indem ich aufstehe und sage: Hey, das geht nicht, wenn eine andere Person diskriminiert wird.
Und was kann ich als junge Berufseinsteigerin tun, die sich in der Arbeitswelt behaupten will?
Hier schlage ich vor, eine Sache erst einmal anzuerkennen, denn die Statistiken sind klar: Es gibt keine Chancengleichheit in Deutschland. In den ersten fünf Berufsjahren gehen die Wege schon auseinander. Es ist ungerecht. Punkt. Und das hat sich bereits am Tag der Geburt festgelegt. Wenn man das einmal anerkannt hat, kann man sich auf die Suche nach den Gründen machen, wie ich es in meinem Buch getan habe – und die zu kennen, macht es deutlich leichter, Hürden zu überwinden. Ich rate außerdem dazu, sich mit den eigenen Verhaltensweisen und Glaubenssätzen zu beschäftigen, sie zu reflektieren und an ihnen zu arbeiten. Wenn man weiblich sozialisiert ist, gibt es Glaubenssätze, die man mitbekommt, die im Berufsleben schädlich sind.
Haben Sie Beispiele?
Ja, etwa "Geh nicht in den Konflikt", "Sei ein liebes Mädchen", "Sei nicht zu laut", "Eck nicht an", "Sei nicht schwierig" oder "Nimm nicht zu viel Raum ein".
Außer der Arbeit an negativen Glaubenssätzen – was ist Ihrer Ansicht nach außerdem wichtig für Frauen in der Berufswelt?
Das Wichtigste ist, ein gutes Netzwerk zu haben: Wen möchte ich kennenlernen? Von wem kann ich lernen? Wer kann mich als Mentor oder Mentorin unterstützen auf meinem Weg? Das ist nicht immer eine Person für das ganze Leben, sondern vielleicht in jedem Berufsabschnitt jemand anderes. Viele Frauen sprechen außerdem zu wenig über ihre Erfolge und halten damit hinter dem Berg. Männer verkaufen sich besser – Studien zeigen, dass Männer zum Beispiel in Meetings drei Viertel des Redeanteils einnehmen.
Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, in der Arbeit übergangen zu werden, aber generell eher introvertiert und nicht der Typ bin, der gerne im Mittelpunkt steht?
Dann liegen die Stärken eben nicht darin, den ganzen Raum zu unterhalten, sondern in einem anderen Bereich. Man muss sich nicht als Person hervortun – das geht auch über die Arbeit. Nicht alle müssen laut sein. Man kann nur dafür sorgen, dass die eigenen Erfolge gesehen werden. Was bei Frauen oft die Gefahr ist, ist, dass sie immer zuarbeiten und am Ende jemand anderen präsentieren lassen. Ich nenne das die Arbeitsbienenfalle. Besser ist, sich zu überwinden und es selbst zu präsentieren oder sicherzustellen, dass andere verstehen, dass ich diese Arbeit geleistet habe.
Wie ordnen Sie generell typisch männliche und typisch weibliche Verhaltensweisen im Beruf ein?
Ich glaube, es wird lange dauern, bis sich Genderstereotype am Arbeitsplatz überholen. Die aktuelle Arbeitswelt ist eine, die von Männern für Männer gebaut ist. Der Mann ist die Norm, alles andere die Abweichung. Aber es ist wichtig, anzuerkennen: Die Stereotype sind da. Wir können sie brechen. Das Ziel ist nicht, dass sich alle Frauen "männlich" verhalten. Das Ziel ist, dass sich die Arbeitswelt verändert, auch ganz oben. Und deshalb müssen Frauen auch ganz nach oben.
Welche Schritte braucht es Ihrer Meinung nach dafür?
Auf persönlicher Ebene ist es wichtig, in Verbindung mit sich selbst zu bleiben, keine Angst zu haben und sich ehrlich zu fragen: Ist das noch das, was ich machen will? Ist das noch mein Laden oder muss ich den Arbeitgeber wechseln? Ich neige dazu zu sagen, lieber wechselst du einmal mehr, als in einer Kultur zu hängen, die gar nicht zu dir passt. Bei der Arbeitskultur ist wichtig, dass man Bewusstsein für Probleme schafft. Wenn man unsicher ist, nachfragen. Wir alle machen Fehler. Es ist nur wichtig, dass wir ein Bewusstsein dafür haben und darüber sprechen können.
Und was muss noch passieren?
Wir können auch unsere Sprache weiterentwickeln und hinterfragen. Ganz oft fehlen uns die Begriffe, um den Schmerz, den man spürt, zu benennen. Es gibt keinen Begriff dafür, wenn man die einzige Frau im Raum ist oder automatisch für die gehalten wird, die den Kaffee holt. Ich kann nur erzählen, was passiert ist – und mein Gegenüber kann das oft nicht verstehen, weil es ihm nicht nur nie passiert, sondern auch niemals passieren kann. Ich glaube, es wäre wichtig, gemeinsam Worte zu finden, gerade wenn es um Diskriminierung geht. Und wir müssen raus aus dem Gegeneinander. Es geht darum, dass wir die Arbeitswelt so verändern, dass sie für mehr Menschen passt und Aufstiegschancen bietet. Dass auch Männer nicht in irgendwelchen Rollenbildern oder der Versorgerrolle hängen müssen, sondern sich entscheiden können. Es geht darum, Türen zu öffnen. Nicht nur für eine, sondern für alle Gruppen. Vielfalt heißt nicht, dass alle zur Party kommen können. Sondern, dass alle Lust haben zu tanzen.
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