Wer Karriere machen und gut verdienen will, muss studieren - das ist eine immer noch weit verbreitete Annahme. Doch stimmt sie wirklich? Eine Expertin zeigt die Chancen auf, die eine Ausbildung bietet. Zudem sollte eine Untersuchung zum Verdienst uns alle umdenken lassen.

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Das Jahr 2020 markiert einen bemerkenswerten Wendepunkt, was die berufliche Bildung junger Menschen angeht. Erstmals begannen mehr Menschen ein Hochschulstudium als eine klassische Berufsausbildung. Zum Vergleich: Noch 1992 war die Zahl der neuen Azubis mehr als doppelt so hoch wie die der Studienanfänger.

Die Zahlen spiegeln einen Trend wider: Immer mehr Schüler machen Abitur. Und wer Abitur macht, peilt oft auch ein Studium an, mehr als jeder fünfte Erwerbstätige hat heute studiert. Denn noch immer gilt: Ein Studium eröffnet die besten Karriereaussichten. Und damit auch die besten Verdienstmöglichkeiten.

© Demografie-Portal

Auch eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes scheint dies zu belegen. So kamen Vollzeitbeschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung im April 2023 auf einen durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von 3.714 Euro. Mit einem Bachelorabschluss lag der Durchschnitt bei 4.791 Euro, mit Master oder Diplom gar bei 6.448 Euro. An der Spitze lagen promovierte oder habilitierte Arbeitnehmer mit durchschnittlich 8.974 Euro.

Stimmt es wirklich, dass Akademiker mehr verdienen?

Doch wie das mit Statistiken so ist – es lohnt sich ein näherer Blick. Denn in die Berechnung fließen eben auch absolute Topgehälter mit ein, die den Durchschnitt bei Angestellten mit Studienabschluss nach oben treiben.

"Die Erzählung, dass man mit einer Ausbildung grundsätzlich weniger verdient, ist falsch", sagt Monika Hackel vom Bundesinstitut für Berufsbildung (bibb). "Es gibt Expertenberufe oder Positionen auf Führungsebene, die ich mit dualer Ausbildung erreichen kann, die sehr nah an das herankommen oder darüber hinausgehen, was man mit einem Studium verdienen kann."

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Fluglotsen etwa erzielen ein durchschnittliches Monatsgehalt von über 6.000 Euro brutto. Auch Fachinformatiker können mit einigen Jahren Berufserfahrung über 5.000 Euro im Monat erreichen – vor allem, wenn sie gefragte Programmiersprachen beherrschen.

Auf der anderen Seite gibt es typische Akademikerberufe, die eher durchschnittlich bezahlt werden. Ein Architekt etwa kann mit einem typischen Einstiegsgehalt von 3.000 Euro rechnen. Eher unterdurchschnittlich bezahlt sind Berufe aus den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Ausbildung vs. Studium: Vergleich über das gesamte Erwerbsleben zeigt Erstaunliches

Und auch im selben Berufsfeld müssen die Unterschiede nicht groß sein, wie Monika Hackel betont. So zeigt das bibb in seinem Datenreport 2021, dass der Stundenlohn für Akademiker in kaufmännischen Berufen im Mittel nur einen Euro höher ist als der der Kollegen ohne Studium.

"Ich finde es sehr schade, dass das Image der dualen Ausbildung in den letzten 20 Jahren sehr verloren hat", sagt Monika Hackel. "In anderen Ländern genießt unser System ja eine hohe Anerkennung. Es gibt dabei sehr vielfältige Möglichkeiten, die sogar bis zu einem mit einem Master vergleichbaren Niveau reichen."

Dass das Studium nicht automatisch der Königsweg ist, beweist ein Blick auf das Einkommen über das gesamte Erwerbsleben hinweg. Denn Akademiker fangen viel später an, Geld zu verdienen. Eine Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen zeigt, dass Personen mit Hochschulabschluss erst mit Mitte 50 Techniker und Meister einholen. In der Studie heißt es: "Am Ende ihres Erwerbslebens haben Akademiker und Personen mit einer abgeschlossenen Höheren Berufsbildung – also beispielsweise Meister, Fachwirte und Techniker – fast gleich viel verdient, nämlich rund 1,7 (...) Millionen Euro brutto."

Das Zauberwort hierbei heißt "Weiterbildung". Denn die Berufsausbildung ist ein ideales Sprungbrett, um sich weiterzuentwickeln – sei es durch berufliche Weiterbildung, durch Zertifikatskurse oder ein Aufbaustudium.

Ein Beispiel

  • Als Industriekaufmann/-frau kann man mit einem Einstiegsgehalt von 2.500 bis 3.500 Euro brutto monatlich rechnen. Eine zweijährige berufsbegleitende Weiterbildung führt zum Industriefachwirt oder Betriebswirt. Ein typisches Gehalt liegt dann schon bei 4.000 bis 5.500 Euro brutto monatlich. Schafft man es zum Abteilungsleiter mit Teamverantwortung, sind schon 5.500 bis 7.000 Euro brutto monatlich drin. Und auch muss noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Weiterbildungen etwa zum technischen Betriebswirt oder Wirtschaftsfachwirt eröffnen weitere Möglichkeiten – bis hin zu Positionen in der Geschäftsführung und fünfstelligen Monatsgehältern.

Dass auch mit einer dualen Berufsausbildung steile Karrieren möglich sind, sei jedoch – so Monika Hackel – zu wenigen Menschen bewusst, "weil junge Leute der Erzählung folgen, 'Nur wenn du Akademiker bist, bist du was'".

Geld ist nicht alles: Welcher Lerntyp bin ich? Was sind meine Leidenschaften?

Hackel plädiert daher dafür, dass junge Menschen sich ausprobieren und ihrer Leidenschaft folgen. Denn nicht jeder ist der Typ für ein Studium. "Man sollte sich fragen, bin ich ein Mensch, der den Lernprozess gut steuern kann?", so Hackel. "Oder möchte ich eine strukturelle Anleitung haben? Man lernt in einer dualen Ausbildung anders, mehr praxisbezogen. Man wird mehr auf die Welt da draußen vorbereitet, weil man sich in dieser Welt bereits während der Ausbildung bewegt."

Junge Menschen sollten herausfinden, was sie glücklich macht, betont Hackel. "Bin ich eher der Planer oder der Macher? Bin ich eher jemand, der Dinge praktisch umsetzt oder bin ich jemand, der die Dinge mathematisch durchdenkt? Ein Elektroingenieur etwa hat ganz andere Aufgaben als ein Elektroniker für Gebäudetechnik."

Fachkräftemangel und das Überangebot an Akademikern spielen den Auszubildenden zudem in die Hände. Das zeigte schon das Institut der deutschen Wirtschaft in seinem "MINT-Herbstreport 2019" auf. Demnach bilden in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) die Facharbeiterberufe die größte Engpassgruppe. Gleichzeitig schrumpft der Bedarf an Akademikern.

"Perspektivisch dürfte sich das Einkommensgefüge (...) zu Gunsten der beruflich Gebildeten verschieben, wenn der Trend zur Akademisierung weiterhin anhält", kommentiert dazu die IHK Koblenz. "Es kommt natürlich auf die Branche an", schränkt Monika Hackel ein. "Aber die Babyboomer gehen in Rente. Und die Stellen müssen nachbesetzt werden."

Oder anders gesagt: "Die Bedingungen sind optimal."

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Monika Hackel ist Leiterin der Abteilung Struktur und Ordnung der Berufsbildung am Bundesinstitut für Berufsbildung.

Verwendete Quellen

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