Wenig flexibel, wenig produktiv und wenig belastbar - so lauten die gängigen Vorurteile über Mütter auf Arbeitsuche. Christa Stienen, Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM), ist da ganz anderer Meinung und erklärt, wie Mütter ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.
Kinder und Karriere? Laut einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) aus dem Jahr 2018 scheint das ein schwieriges Unterfangen zu sein.
Trotz gleicher Qualifikation werden Mütter oftmals erst gar nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Außerdem erhalten sie im gleichen Job niedrigere Löhne und werden seltener befördert als Männer oder kinderlose Frauen.
"Mütter zu stigmatisieren und als Opfer zu sehen, das ist die falsche Herangehensweise", sagt Christa Stienen im Gespräch mit unserer Redaktion.
Für die Vizepräsidentin des BPM, Sprecherin für knapp 5.000 Personalverantwortliche in Deutschland, gibt es kein Mütterproblem, sondern ein Problem unserer Gesellschaft, was die Vereinbarkeit von Kindern und der Arbeitswelt betrifft.
Auch die Politik sei gefragt, administrative Rahmenbedingungen zu vereinfachen oder sogar Anreize zu schaffen, die es Arbeitgebern einfacher machten, Mütter und potenzielle Mütter einzustellen.
"Die Wirtschaft steht aktuell vor einer Herausforderung, was die Flexibilisierung von Arbeit, was Vielfalt und was unsere Wahrnehmung betrifft - das ist zwar kein neues Thema, aber aktueller denn je."
Digitalisierung - Chance für flexible Arbeitsmodelle
Eine moderne Unternehmens- und Arbeitskultur ist der Schlüssel. "Hier ist die Führung gefragt, Flexibilität vorzuleben", erklärt Christa Stienen.
Ein Modell ist beispielsweise eine offene Position mit zwei Teilzeitkräften zu besetzen. Das funktioniert auch auf Führungsebene mit der sogenannten Doppelspitze, wird laut Stienen aber erst von wenigen Unternehmen praktiziert.
Generell seien flexible Arbeitsmodelle vor einigen Jahren noch gar nicht vorstellbar gewesen, aber heute immer häufiger in Stellenanzeigen zu lesen - als Anreiz.
"Wir bewegen uns gerade weg von den traditionellen Präsenzkulturen, hin zu flexiblen Arbeitsmomenten - das ist durch die Digitalisierung viel einfacher geworden."
Eine neue Chance gerade für Mütter, die angesichts des Mangels an Arbeitskräften sowie ihrer Qualifikation künftig gar nicht mehr abgelehnt werden können, meint die Expertin.
Aus eigener Erfahrung weiß sie: "Ich hatte schon oft Alleinerziehende in meinem Team, die Arbeit und Privatleben ganz nach ihren individuellen Bedürfnissen miteinander verbinden durften. Das war eine Win-win-Situation, denn es schafft eine hohe Zufriedenheit und meist auch bessere Ergebnisse."
Gezielte Wahl von Branchen mit Homeoffice-Jobs
Schon vor der Bewerbung oder dem Wiedereinstieg sollten sich Frauen mit Kindern eine Strategie zurechtlegen.
"Dazu gehört, sich genau zu überlegen, was man beruflich machen und was man dafür investieren will", rät Personalerin Stienen. Das betrifft auch die bewusste Wahl der Branche. Im Handel und Gesundheitsbereich beispielsweise finden wir ausgeprägte Präsenzkulturen.
In der IT-Branche gibt es viele Jobs, die vom Homeoffice aus zu machen sind sowie in Unternehmen, die international und deshalb mit verschiedenen Zeitzonen agieren. "Da ist das ganz normal, dass die Mitarbeiter an unterschiedlichen Orten für das Unternehmen tätig sind", sagt Christa Stienen.
Niemand fragt Männer nach Kindern
Da es für die BPM-Vizepräsidenten im Lebenslauf immer zuerst um die fachliche Qualifikation, die soziale Kompetenz (social skills) sowie das Zusammenspiel mit Team und Unternehmenskultur geht und erst dann um die Rahmenbedingungen, muss im Lebenslauf nichts über die Anzahl von Kindern stehen.
"Es wird ja auch kein Mann gefragt, wie viele Kinder er hat." Mütter sollen im Bewerbungsgespräch keine Scheu haben und alles abfragen, was zum Thema Familienmodelle passt.
Denn viele Unternehmen kommunizieren nach außen, wie flexibel sie sind. Die Umsetzung in der Praxis sieht dann aber häufig ganz anders aus. Laut Stienen haben viele größere Firmen aber eigene Tagesmütter oder Kitas. Auch das Thema Pflegezeiten von alten Eltern verlange nach immer mehr Flexibilisierung.
Warum Mütter sich mehr trauen müssen
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind Mütter in Deutschland im EU-Vergleich überdurchschnittlich häufig erwerbstätig: Im Jahr 2016 arbeiteten 74 Prozent der Mütter, das sind sechs Prozent mehr als im europäischen Durchschnitt.
Nur in Schweden (86 Prozent), Dänemark (83 Prozent), Slowenien und Litauen (jeweils 80 Prozent) gingen noch mehr Mütter arbeiten.
Trotzdem verdienen Mütter oft weniger als Väter. Das liegt für Personalexpertin Christa Stienen daran, "dass sich Frauen zu wenig trauen und gerade Mütter oft nicht genau wissen, was sie fordern können". Und das sei deutlich mehr als ein schlecht bezahlter Teilzeitjob.
Verwendete Quellen:
- Expertengespräch mit: Christa Stienen ist Chief Human Resources Officer bei DB Schenker, Cluster Deutschland/Schweiz und Vizepräsidentin beim Bundesverband der Personalmanager und seit vielen Jahren Top-Führungskraft in Personalabteilungen international agierender Konzerne
- Frankfurter Rundschau: Mütter auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt
- Statistisches Bundesamt: Erwerbstätigkeit von Müttern
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.