Saarbrücken/Frankfurt - Zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts im Dezember 2022 (Az. 9 AZR 245/19 und Az. 9 AZR 266/20) haben die Rechte von Arbeitnehmern in Bezug auf Resturlaub noch einmal deutlich gestärkt.
Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht explizit auf seinen Resturlaub hingewiesen, können Urlaubsansprüche der vergangenen Jahre weiter geltend gemacht werden. Was das bedeutet - und wer jetzt möglicherweise profitiert.
Was ändert sich konkret - und wie war die Regelung vorher?
Urlaub verjährt nicht mehr drei Jahre nach Ende des Urlaubsjahres automatisch. Der Arbeitgeber muss jetzt explizit in Vorleistung gehen, bevor die Verjährungsfrist beginnt. "Der Arbeitgeber ist in der Pflicht zu sagen: Nimm den Urlaub, sonst ist er weg", erklärt Rechtsexperte Till Bender vom Rechtsschutz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DBG). Es besteht also eine sogenannte Hinweispflicht.
Weist der Arbeitgeber nicht darauf hin, bleibt der Urlaubsanspruch bestehen. Im Streitfall muss der Arbeitgeber nachweisen, dass er den Arbeitnehmer über den Resturlaub informiert hat. "Die Beweislast liegt damit beim Arbeitgeber", so Rechtsanwalt Timm Lau von der Arbeitskammer des Saarlandes.
Wie muss der Arbeitgeber dieser Hinweispflicht nachkommen?
Ob ein förmliches Anschreiben nötig ist, ließ das Gericht offen. "Es gibt keine Formvorgaben für die Hinweispflicht", sagt Bender. "Der Arbeitgeber tut aber gut daran, die Information zu verschriftlichen." Denn die Aufforderung muss ernsthaft und nachdrücklich sein. Konkret ließ das Gericht verlauten: "Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen."
Arbeitgebern rät Lau, den Brief im Zweifel persönlich einzuwerfen oder eine Empfangsbestätigung zu fordern.
Was ändert sich in Bezug auf frühere Arbeitgeber?
Arbeitnehmer können die Bezahlung offener Urlaubsansprüche von ihrem früheren Arbeitgeber nur innerhalb einer Frist von drei Jahren verlangen. Bei finanziellen Abgeltungsansprüchen für nicht genommenen Urlaub nach Ende eines Arbeitsverhältnisses gilt weiter diese Verjährungsfrist, entschied das Bundesarbeitsgericht in einem weiteren Urteil am 31. Januar 2023 in Erfurt (Aktenzeichen: 9 AZR 456/20).
Allerdings räumte das Gericht für Altfälle eine Übergangsfrist von 2018 bis 2021 ein. Normalerweise beginnen die Fristen am Ende des Kalenderjahres, in dem Urlaubsansprüche strittig sind. Die Richter reagierten damit auf die in den vergangenen Jahren geänderte Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen.
Was gilt für die aktuelle Urlaubsplanung?
Kurz und knapp: Signifikante Neuerungen sind hier mit den Urteilen nicht verbunden. Ein Rat allerdings bleibt: "Schleppen Sie Ihren Urlaub wenn möglich gar nicht mit, häufen Sie einfach keinen an", rät Bender. Das Anhäufen von Urlaub sei auch im Fall einer Insolvenz eines Unternehmens oft kritisch, weil der Arbeitnehmer in diesem Fall Gefahr läuft, kein Geld mehr zu sehen. "Was Sie genommen haben, kann Ihnen keiner mehr nehmen", so Bender.
Einen Vorteil könnten die Urteile allerdings indirekt haben: Der Druck auf den Arbeitgeber, Urlaub zu befürworten, wächst. "Ist das nicht der Fall, rate ich Arbeitnehmern den Betriebsrat aufzusuchen", rät Lau. Der kann mit dem Arbeitgeber das Gespräch suchen und bessere Bedingungen für alle Arbeitnehmer aushandeln - ohne dass ein einzelner sein Verhältnis mit dem Arbeitgeber dafür aufs Spiel setzen muss.
Welche Fragen sind jetzt noch offen?
Hauptsächlich bleibt unklar, was im Fall einer Langzeiterkrankung passiert. Bei Krankheit galt bisher die Besonderheit: Der Anspruch verlängert sich nicht nur wie üblich bis zum 31. März des Folgejahres. Kann jemand wegen der Krankheit den Urlaub darüber hinaus erneut nicht nehmen, bleibt der Anspruch bis zum 31. März im übernächsten Jahr bestehen.
Folgende Frage stellt sich nun: "Angenommen ein Arbeitnehmer ist nur zwei Wochen in der ersten Hälfte des Jahres anwesend und dann nicht mehr, muss der Arbeitgeber auch ihn dann auf den Resturlaub hinweisen?", so Till Bender. © dpa
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