"Ich weiß noch nicht, was ich arbeiten will": Berufsbiografien wie die der Eltern sind für Schulabgänger nicht mehr vorprogrammiert. Es ist eine Zeit des Suchens.
Wenn Zehntklässler am letzten Schultag auseinanderströmen, wissen sie meist, was nach den letzten Ferien kommt: die einen gehen weiter bis zum Abi zur Schule, andere beginnen eine Ausbildung. Aber es gibt auch jene, die wissen es nicht. Manchmal kamen sie vielleicht nur noch selten in den Unterricht. Aus ihrer Sicht schien der sinnlos - wenn man eh nicht weiß, was man will.
"Über die Diffusität von Pubertierenden rund um den beruflichen Werdegang hat sich die Wissenschaft schon immer Gedanken gemacht", sagt Erziehungsberater und Buchautor Jan-Uwe Rogge. So habe man drei Typen ausgemacht - egal ob weiblich oder männlich.
Die erste Gruppe weiß bereits relativ früh, also schon vor der Pubertät, was sie wird. "Bei ihr ist die Berufsbiografie programmiert, weil sie etwa auf dem Bauernhof leben und Bauer werden oder die Familie ein Hotel hat und sie dort mit einsteigen", nennt Rogge Beispiele. Bei der zweiten Gruppe schwanke es. Zu Beginn der Pubertät wollen sie dies werden, sechs Monate später das und ein halbes Jahr danach jenes. Und die dritte Gruppe wisse gar nicht, was sie will.
Zeit des Suchens mit 15 und 16 - auch was Job angeht
"Von diesem dritten Typ berichten mir Lehrlingsausbilder immer häufiger", sagt Rogge. Ihn wundert das auch nicht. "Das liegt einfach auch an der ständigen Veränderung von Berufsbildern." Um die 15, 16 Jahre herum sei ja ohnehin die Zeit des Suchens - auch was den Job angeht.
Wenn Eltern dann die Nerven verlieren, flehen und schreien: "Du musst jetzt aber mal was machen", führt das laut Rogge nur selten zum Erfolg. Stattdessen sei Geduld gefragt. "Drängeln führt nur dazu, dass sich das massiv auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind auswirkt", warnt Rogge.
Kira Liebmann, Gründerin der Akademie für Familiencoaching im bayerischen Maisach, empfiehlt zunächst, genau hinzuschauen, was hinter der Planlosigkeit steckt. "Da muss man dringend unterscheiden", so die Pubertäts-Expertin und nennt Beispiele: Will der junge Mensch nach der Schule erstmal auf Reisen gehen, etwa auf der Aida jobben, ein Work-and-Travel-Jahr machen und fällt daher raus aus der Statistik? Oder ist er einfach nur bocklos, will auf der Couch liegen und gammelt sich Richtung Bürgergeld?
Es sei auch denkbar, dass die Orientierungslosigkeit eine Folge der Pandemie ist, weil Schnupperkurse und Praktika in der 9. Klasse oder den Ferien nicht möglich waren. Dann könnten Eltern schon eine gewisse Zeit einräumen, um das nachzuholen.
Deal vereinbaren für Ende der Findungszeit
Für die Familiencoachin ist dabei folgender Deal mit dem Kind denkbar: Du darfst dich gern selber finden und an deiner Persönlichkeit feilen. Aber wir erwarten, dass du dann etwas zurückgibst. Nach dem Findungsjahr solltest du jobmäßig etwas ausprobieren. "Das sollte mindestens ein halbes Jahr dauern. Denn erst dann weiß man wirklich, ob etwas passt oder auch nicht", sagt Liebmann.
Schwierig werde es, wenn die Findungszeit vertrödelt wird. "Wenn man nur zu Hause hockt, bis mittags schläft, nicht in die Gänge kommt oder Nächte durchfeiert, wird das ganz schwer mit der Eigenmotivation", erklärt Kira Liebmann. Sie rät Eltern daher, in der vereinbarten Auszeit auf Struktur Wert zu legen und schon einen gewissen Druck aufzubauen und sanft von hinten zu schieben. "Denn mitunter braucht das Gehirn bei manchen Teenagern einfach Zeit, in der es noch nachreift", so die Expertin.
Keine Jobs vorgeben, aber Deadline setzen
Beim Ausprobieren von Tätigkeiten und Anleiern von Praktika sollten Eltern nichts vorgeben. Grund: "Wenn es dann nicht passt, ist Mama schuld. Das ist dann wieder die bequeme Nummer", erklärt Liebmann. Helfen beim Sammeln von Job-Ideen, Anregungen für Messen und Schnupperpraktika geben, Links schicken oder gemeinsam googeln könnten Eltern aus Sicht von Jan-Uwe Rogge aber schon. Das gebe den Betroffenen das Gefühl, sie im Prozess des Findens zu unterstützen.
Der Erziehungsexperte hat noch einen Tipp: "Häufig gehen Oma oder Opa viel einfühlsamer mit dem Thema um. Es lohnt sich, sie mit ins Boot zu holen." Haben Eltern das Gefühl, sie halten die Hängepartie ihres Sprösslings nicht aus, können sie sich auch Unterstützung holen. Rogge: "Beratungsstellen der Agentur für Arbeit oder der Handwerkskammer haben Erfahrungen mit dem Problem."
Und sollten Eltern die Findungszeit finanzieren? "Nichtstun sollten Eltern auf keinen Fall finanzieren", sagt die Erziehungsexpertin. Wer es aus schlechtem Gewissen heraus dennoch tue, etwa weil er dem Kind jahrelang wenig Zeit gewidmet hat, sollte eine Deadline setzen und klare Ziele vereinbaren. Dabei konsequent zu sein, ist für Kira Liebmann ganz wichtig: "Wenn wir es nicht sind, wird es das Kind auch nicht." (dpa)
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