- Die Netflix-Erfolgsserie "Squid Game" hat die deutschen Schulhöfe und Kitas erreicht.
- Obwohl die Serie erst ab 16 Jahren empfohlen ist, schauen auch Grundschulkinder - und ahmen sie nach.
- Eine Expertin erklärt, welche Auswirkungen "Squid Game" auf die Kinder haben kann und was Eltern tun können.
Die südkoreanische Erfolgsserie "Squid Game" wird weltweit gefeiert und ist angeblich die bisher erfolgreichste Netflix-Produktion. Jetzt ist "Squid Game" auch auf deutschen Schulhöfen und in Kitas angekommen.
"Lehrerinnen und Lehrer haben berichtet, dass diese Serie auch an ihren Schulen nachgespielt wird", sagte die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Auch in einer Kita bei Hamburg kam es offenbar zum Nachahmen der Serie.
In "Squid Game" wird in neun Folgen die Geschichte von Menschen erzählt, die sich alle hoch verschuldet haben. Sie treten in scheinbar harmlosen Kinderspielen gegeneinander an, um ein Preisgeld in Millionenhöhe zu gewinnen. Doch der makabre Wettbewerb lässt keine zweite Chance zu: Wer es nicht in die nächste Runde schafft, wird getötet.
Wir haben mit Mediencoach Dr. Iren Schulz gesprochen, was das Ansehen solcher Inhalte mit Kindern macht und was Eltern tun können.
Frau Schulz, "Squid Game" ist schon für Erwachsene starker Tobak – doch offenbar schauen bereits Grundschüler die Serie. Wie sehen Sie das?
Zunächst einmal ist es sehr einfach, an die Serie heranzukommen, obwohl sie erst ab 16 Jahren empfohlen ist. Die Inhalte gehen auch durch die Social-Media-Kanäle und kommen so schnell bei den Kids an. Auf den ersten Blick war ich daher nicht überrascht. Die Serie erscheint zu Beginn auch recht harmlos, mit dieser knallbunten Bonbon-Ästhetik und weil vermeintlich Kinderspiele gespielt werden. Es ist nicht sofort ersichtlich, dass es sich um verstörende Inhalte handelt. Über diese exzessive Gewalt der Serie bin ich inzwischen schockiert und es macht mir Sorge, wenn Kinder so etwas sehen. Man muss aber auch sagen, dass solche "Gamifications" oder spielerische Ansätze in Filmen nichts Neues sind. Das Neue hier bei "Squid Game" ist der Einfluss der K-Pop-Kultur, die gerade bei den Kindern sehr beliebt ist.
Ich habe einen Neffen im Grundschulalter. Wie reagiere ich, wenn ich mitbekommen würde, dass er "Squid Game" schaut?
Bei Kindern im Grundschulalter ist unsere Empfehlung ganz klar: Sie sollten das überhaupt nicht schauen. Durch technische Lösungen zu Hause kann man den Zugang recht gut unterbinden. Und wenn die Kinder das schon gesehen haben, ist es wichtig, darüber miteinander zu reden und zu begründen: "Darum ist das nichts für dich."
Haben Sie konkrete Tipps für Eltern? Wie können sie den Kindern vermitteln, dass solche Inhalte ungeeignet sind, ohne sie zu verteufeln?
Bei den jüngeren Kindern kann man sehr klar sagen: "Da geht es um Gewalt und Tod, das ist für Kinder deines Alters nicht geeignet und deswegen schauen wir das nicht." Bei älteren Kindern kann man ins Gespräch gehen und Themen diskutieren wie etwa: Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn man Probleme so löst? Ich finde es als Elternteil immer wichtig, dass man eine klare Position hat und eine klare Meinung und das mit den Kindern bespricht. Denn gerade ältere Kinder nehmen Verbote nicht einfach so hin.
An Schulen kann schnell ein sozialer Druck entstehen. Manche Kinder haben die Serie gesehen, andere nicht und werden deshalb ausgegrenzt. Als Elternteil heißt es dann: Bei der klaren Haltung bleiben, richtig?
"Alle dürfen was gucken, nur ich nicht" – das ist nichts Neues. Natürlich entsteht da ein großer sozialer Druck. Aber sowas kann man gut besprechen, dazu kann man die Lehrer auch mit ins Boot holen, einen Elternabend veranstalten, vielleicht eine Unterrichtsstunde darauf verwenden. Grundsätzlich kann man sagen: Hat man einen guten Draht zu seinen Kindern und erzieht sie im Sinne unseres gesellschaftlichen Weltbildes, dann werden die meisten Kinder sowas ohnehin nicht sehen wollen, weil sie es zu gruselig finden.
Wie Sie schon sagten, kommen Kinder leicht an die Serie heran – und dann scheint sie vielen von ihnen doch zu gefallen. Ist das dann nicht verwunderlich?
Ich glaube, viele der eigentlichen Botschaften, die in der Serie stecken, verstehen Kinder nicht. Die Ästhetik spricht die Kinder aber zweifellos an. Und was auch immer zum Heranwachsen gehört, sind Mutproben und Grenzüberschreitungen. Nach dem Motto: Mal schauen, wie viel ich aushalte und mich traue, dann gehöre ich zu den Coolen. Insofern fügt sich das in entwicklungsspezifische Phänomene ein. Zu sagen: "Wir spielen fangen und wer verliert, wird verprügelt" – so etwas geht aber natürlich auf gar keinen Fall.
Tatsächlich spielen Kinder die Serie bereits an Schulen nach, wie Lehrerinnen und Lehrer berichten. Was genau animiert zum Nachahmen?
Zum einen werden ja Kinderspiele in der Serie gezeigt, das kennen die Kinder also schon. Das Ganze wird verpackt in ein spannendes Medienangebot, was zusätzlich animiert. Außerdem haben Kinder natürlich auch ein Verständnis von Stärke und Macht. Sowohl das Inhaltliche, also das Spiel, als auch die damit verbundene Rollenstruktur begeistert die Kinder.
Können Kinder im Grundschulalter überhaupt verstehen und einschätzen, was sie da sehen?
Nein. Deshalb ist die Serie auch erst ab 16 Jahren empfohlen. Zum einen verstört die exzessive Gewalt, die gezeigt wird. Leichen werden weggeschleppt, es ist Blut zu sehen – all das können Kinder nicht kognitiv verarbeiten. Zum anderen ist die moralische Ebene zu komplex, um sie zu verstehen. Was man mit älteren Kindern und Jugendlichen aber diskutieren kann, sind Fragen wie: Wie weit würden Menschen für Geld gehen? Macht Geld wirklich glücklich? In der Serie stecken viele ethische Komponenten, aber das gehört nicht die Kindheit.
Es kam auch offenbar schon zu Gewalt, als Kinder die Serie nachgespielt haben. Welche Auswirkungen sind noch denkbar?
Abgesehen vom Nachahmen kann es zu Unruhe und Schlafstörungen kommen, weil die Inhalte die Kinder überfordern. Solche Gewaltinhalte zu sehen, ist für Kinder verstörend. Es kann zu psychischen Auswirkungen kommen, je nachdem, wie sensibel das Kind ist. Man kann es also psychisch beobachten und auch sozial: Kinder können die Serie als Vorlage missverstehen, wie man Probleme löst.
Müssten solche Serien aus Ihrer Sicht stärker reguliert werden? Zum Beispiel, dass diese Inhalte erst ab einer gewissen Uhrzeit zu sehen sind oder immer mit PIN verschlüsselt sind?
Ich finde es bei solchen Inhalten schon wichtig, dass die Anbieter eine Verantwortung übernehmen. Es reicht eben nicht zu sagen, wir empfehlen das ab 16 Jahren. Das könnte sogar ein extra Anreiz sein, etwas zu schauen. Es müsste eine wirkliche Zugangsbeschränkung geben, einen PIN-Code oder, wie Sie sagen, ein Abspielen erst ab 22:00 Uhr. Und auch die Influencer und YouTuber dürften dann diese Inhalte nicht benutzen, um nicht wiederum mit ihren Formaten solche Serien zu vermarkten.
Bis es so weit ist: Was können Eltern technisch tun, damit Kinder gar nicht erst an solche Inhalte kommen?
Es ist wichtig, mit all den Medien zu Hause verantwortungsvoll umzugehen. Kinder sollten keinen unbegrenzten Zugang zu Netflix und YouTube haben. Bei Streaming-Diensten empfehle ich, Kinderprofile anzulegen und das Erwachsenenprofil entsprechend zu schützen. Bei YouTube sollte man den Kindern besser "YouTube Kids" zur Verfügung stellen. Außerdem kann man Bildschirmzeiten einstellen. Bei den jüngeren Kindern geht es vor allem darum, die Zugänge zu regulieren. Und je älter die Kinder werden, desto mehr helfen begleitende Gespräche.
Mit Material der dpa.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.