Über zwei Stunden hinweg hat unser Autor Michael Maier mit Dirk Zingler gesprochen und dabei Einiges in Erfahrung gebracht.

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Zudem nahm sich der Präsident des 1. FC Union Berlin sehr viel Zeit, um mit unserem Fotografen Maurice Weiss durch Köpenick zu streifen. Lesen Sie an dieser Stelle einen Auszug aus der Cover-Geschichte des Magazins EISERN, das ab Dienstag, den 17. September 2024, in seiner zehnten Ausgabe an Kiosken, in Tankstellen und Supermärkten, in den Fanshops des 1. FC Union Berlin und im Aboshop der Berliner Zeitung sowie im Aboshop des Berliner Kuriers erhältlich ist.

... Herr Zingler, Sie sind vom Fast-Pleite-Verein bis hinauf in die Champions League katapultiert worden. Wie geht man damit um?

Indem du bei dir selbst bleibst. Wir sind Profis, wir wollen zu den Besten in unserem Geschäft gehören. Aber ich war mit denselben Menschen in Madrid, mit denen ich vor 20 Jahren in Falkensee-Finkenkrug war. Wenn du dir diesen Kern des Fußballs erhältst, ist das Hoch und Runter gar kein Problem. Es sind ein paar Nullen dazugekommen. Als ich 2004 angefangen habe, haben wir circa vier Millionen Euro Umsatz gemacht. In der abgelaufenen Saison sind es 180 Millionen gewesen. Aber wir spielen weiter Fußball, die Leute trinken ihr Bier oder Wasser, essen ihre Bratwurst oder Brezel. Was sich geändert hat, ist die kommunikative Umgebung, in der wir es tun. Die Anzahl der Menschen, die durch die Beurteilung oder Kommentierung der Leistungen anderer ihr Geld verdienen, wird immer größer und sie nehmen sich immer wichtiger. Daher werden unsere Schutzmauern von Jahr zu Jahr höher. Wir wollen uns nicht benutzen oder in die falsche Richtung locken lassen.

Aber die Nullen sind ja nicht vorne, sondern hinten dazugekommen. Es ändern sich die Größenordnungen, Spielergehälter, Erwartungen. Ich stelle mir das schwierig vor, wie man das in eine Balance bringt.

Es sind immer die gleichen Entscheidungen. Wenn ich nur 30.000 Euro habe und ein Spieler 5000 Euro kostet und das passt nicht mehr, dann ist das Problem genauso groß, wie wenn ich drei Millionen habe und der Spieler 500.000 Euro kostet. Je geringer das Gesamtvolumen ist, umso größer ist das Risiko einer einzelnen falschen Entscheidung. Sie kann existenzbedrohend sein. Viel Geld deckt Fehler zu. Das sehen wir seit geraumer Zeit in unserer Liga sehr gut. Wenn du kein Geld hast, wird dagegen jeder Fehler sofort sichtbar. Heute von der Ersten in die Zweite Liga abzusteigen, ist nicht existenzbedrohend. Damals von der Dritten in die Vierte Liga abzusteigen – das war existenzbedrohend.

Ist die Unternehmenskultur wichtig? Sie haben keinen reichen Eigentümer im Rücken, der Sie mit Millionen überschüttet, im Gegenteil: Sie haben noch nicht mal einen Hauptsponsor.

Das Wichtigste ist zu erkennen, dass es gemeinschaftliches Vermögen ist, mit dem du umgehst. Das betrifft die materiellen, aber auch die ideellen Vermögenswerte des Klubs. Du musst viel behutsamer damit umgehen als mit deinem eigenen Vermögen. Das ist eine große Verantwortung, die uns im Klub aber allen bewusst ist. Und dann geht es auch um Souveränität. Wir haben uns unsere Selbstbestimmtheit hart erarbeitet, aber sie ist nur dann etwas wert, wenn wir uns trauen, sie auch zu nutzen. Nach eingehender Analyse der Situation haben wir bewusst entschieden, in dieser Saison zunächst einen anderen Weg einzuschlagen und die wertvollste Fläche, die Trikotbrust unserer Spieler, erst mal nicht kommerziell zu vergeben, sondern sie selbst zu nutzen.

Sie haben nie so eine Manager-Kultur einreißen lassen, wie es sie in großen Unternehmen gibt.

Es kommt auf die Mischung an. Wichtig ist eine hohe Kontinuität bei der eigentlichen Vereinsführung. Alle Führungskräfte, die vereinspolitische oder strategische Entscheidungen treffen, sind aus der Region und Teil des Klubs. Das betrifft insbesondere Investitionen in den Klub selbst oder in das Stadion, grundsätzliche Fragen unseres Verhaltens oder unserer gesellschaftlichen Stellung. Gerade in den letzten Jahren konnte man sehen, wie unterschiedlich sich Vereine verhalten. Während der Corona-Zeit oder auch zu den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt. Man kann den Sport benutzen, um auszugrenzen oder ihn als verbindendes Element sehen. Wir treiben Sport und folgen humanistischen Grundwerten. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, das Verbindende. Auseinandersetzungen zwischen Staaten, Organisationen oder politischen Gruppen machen wir uns nicht zu eigen. Daher lege ich großen Wert darauf, dass das im vereinspolitisch-strategischen Bereich personell sichergestellt ist. Und dann gibt es ganz viele wichtige operative Führungsaufgaben. Hier geht es um Kompetenz, nicht um Herkunft oder politische Ausrichtung. Hier haben wir eine bunte Mischung, international und national. Die Führungskräfte können aus Nordrhein-Westfalen, aus der Schweiz, aus Bayern, aus Mecklenburg-Vorpommern, Berlin oder Dänemark kommen. Sie finden es zudem oft regelrecht befreiend, nicht politisch für den Verein handeln zu müssen.

Dirk Zingler vor dem Rathaus Köpenick
Dirk Zingler vor dem Rathaus Köpenick © Maurice Weiss/Ostkreuz

Der scheidende Intendant der Staatsoper hat uns neulich gesagt, dass der Druck, Haltung zu zeigen, im Theater enorm gewachsen sei. Ist das im Fußball auch so?

Wir lassen uns grundsätzlich von außen nicht unter Druck setzen. Wir zeigen jeden Tag Haltung – gegenüber den Menschen, für die wir verantwortlich sind, die für uns arbeiten und die zu uns ins Stadion kommen. Und am besten tut man das, wenn man tatsächlich etwas leistet. Haltung und Moral sind kein Leistungsersatz.

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Jetzt haben Sie den Umbruch hinbekommen – wie ist der Ausblick, und zwar auf diese Saison: Wird Union endlich Meister?

Darauf arbeite ich hin. Im Ernst: Wenn du in der Bundesliga spielst, musst du versuchen, Meister zu werden. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Alle können es nicht werden, das ist auch klar. Ob wir es jemals werden, weiß ich nicht. Aber ich muss jedes Wochenende versuchen, das Spiel zu gewinnen. Am Ende kommt dann etwas bei raus. Wenn ich die meisten Spiele gewinne, werde ich vielleicht Meister, wenn ich zu viele verliere, dann steige ich ab. Aber diese Zielsetzung muss ich haben, sonst brauche ich keinen professionellen Sport zu betreiben. Was ich aber wirklich gerne möchte, ist, dass wir das bisher Erreichte, aber auch die zukünftige Entwicklung unseres Klubs noch stärker absichern. Klub und Stadion sollten den Menschen der Region gehören, beziehungsweise denen, die unserem Verein nahestehen. Darüber werden wir auf unserer nächsten Mitgliederversammlung sprechen. Wenn wir unseren Standort weiterentwickeln und somit die Grundlagen schaffen, sportlich erfolgreich zu bleiben und am Ende Fußball für Menschen innerhalb einer gemeinnützigen zukunftsfähigen Rechtsform spielen – dann haben wir etwas Besonderes geschaffen ...

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