Es ist ein bedrückender Prozess, der derzeit vor der 32. Großen Strafkammer läuft. Und es sind bedrückende Details, die immer wieder zur Sprache kommen.

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Die 37-jährige Vivien T. und ihr 43-jähriger Ehemann Christoph T. müssen sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung von Schutzbefohlenen verantworten. Sie sollen schuld sein am Tod der pflegebedürftigen Mutter von Vivien T.

Die Angeklagten hatten die 62-Jährige, die sich offenbar nur noch mit Kopfnicken verständigen konnte, bei sich in der Pankower Wohnung aufgenommen und gepflegt. Gleichgültig und gefühllos sollen sie gewesen sein und die Leiden der bei ihnen lebenden und vor 20 Jahren an Multipler Sklerose erkrankten Carmen T. missachtet haben, so die Anklage.

Vor neun Monaten wurde die kranke Frau im kritischen Zustand in ein Krankenhaus gebracht. Carmen T. war stark dehydriert, litt an einer Blutvergiftung und Nierenversagen. Laut Anklage hatte sie sich wund gelegen, einige Wunden waren von Maden befallen. Auch im Bett des verdreckten Zimmers sollen sich Maden befunden haben.

Zum Trinken hätten die Angeklagten der Frau lediglich einen Kanister mit Wasser zur Verfügung gestellt, so der Vorwurf. Ärzte konnte die Frau nicht mehr retten. Zehn Tage nach ihrer Einlieferung in die Klinik starb die einstige Justizangestellte an Multiorganversagen infolge der Verwahrlosung. Die Staatsanwaltschaft spricht von böswilliger Vernachlässigung.

An diesem Donnerstag, es ist der fünfte Verhandlungstag in dem Prozess, sagen drei Zeugen aus. Und Matthias Schertz, der Vorsitzende Richter, beginnt die Befragung stets mit demselben Satz: "Carmen T. soll in einem katastrophalen Pflegezustand gewesen sein, als sie im Dezember vorigen Jahres in ein Krankenhaus kam."

Ein Nachbar des Ehepaars erzählt, dass er Carmen T. bereits lange gekannt habe. Sie sei schon immer sehr gebrechlich gewesen, und es sei mit der Zeit schlimmer geworden. Wenn sie die Wohnung verlassen habe, sei sie auf den Rollstuhl angewiesen gewesen. Letztmalig habe er die Frau im Sommer vorigen Jahres gesehen.

Der 59-jährige Architekt berichtet, dass es in dem Mietshaus eine starke Geruchsbelästigung gegeben habe, die von der Wohnung der Angeklagten ausgegangen sei. Er habe sich deswegen auch an die Hausverwaltung gewandt. Das habe zu gewissen Spannungen geführt. Aber eigentlich sei die Angeklagte Vivien T. "eine besonders freundliche Frau", ihr Ehemann dagegen eher einsilbig gewesen.

Der Hausarzt der Familie sagt, Carmen T. sei seit 30 Jahren seine Patientin gewesen. Sie sei eine bestimmende, jedoch nicht aggressive Frau gewesen und habe alle Therapieangebote ausgeschlagen. Letztmalig habe er mit ihr am 20. November vorigen Jahres telefoniert. Das Angebot eines Hausbesuchs habe sie abgelehnt. Sie brauche keine Hilfe, habe sie gesagt und: "Ich kriege das schon hin."

"Man hätte sie nur mit Brachialgewalt irgendwohin bringen können", erklärt der 67-jährige Mediziner. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob die Angeklagten gleichgültig gewesen seien, schüttelt der Arzt den Kopf. Er habe es nicht so empfunden.

Vivien T., die auch an diesem Verhandlungstag in Tränen ausbricht, hatte zu Prozessbeginn erklärt, dass sie ein Familienmensch sei. Sie habe ihre Mutter geliebt. Sie gab zu, viel falsch gemacht zu haben. Vermutlich treffe das, was in der Anklage stehe, teilweise zu. Böswillig aber habe sie nicht gehandelt. Sie sprach von Überforderung.

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Die Angeklagte sagte auch, dass ihre Mutter sehr stur gewesen sei. Hilfe durch einen Pflegedienst habe sie abgelehnt und sich auch nicht bei der Körperpflege unterstützen lassen.

Der Prozess, der ursprünglich bis 31. Oktober terminiert war, wird wohl noch länger dauern. Die Kammer hat drei weitere Termine festgelegt – bis zum 2. Dezember.  © Berliner Zeitung

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