Ski Aggu: Alles hört auf sein Kommando: In der Jahrhunderthalle frisst das Publikum Rapper Ski Aggu aus der Hand.

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Ski Aggu springt von der Bühne in den Graben und mischt sich unter die Menge. "Ihr müsst hier einen Spalt aufmachen", weist er seine Fans an. Der Deutsch-Rapper mit der Skibrille und dem blonden Vokuhila möchte gerne einen Rekord aufstellen: die breiteste "Wall of Death" in der ausverkauften Jahrhunderthalle.

"Geht entweder nach links oder nach rechts", sagt er. Die Fans tun, wie ihnen geheißen. An seine Seite holt Aggu, wie ihn seine Anhänger rufen, sich einen Amigo mit Sombrero und Skibrille. Wenn der Beat droppe, laufe die linke Seite in die rechte und umgekehrt, erklärt er: "Die Person, die als erstes Ski Aggu berührt, hat gewonnen." Damit meint er aber nicht sich selbst, sondern den mexikanisch angehauchten Doppelgänger. Ihm wünscht er noch Hals- und Beinbruch, ehe er sich auf eine kleine Bühne in Sicherheit bringt. Dann prallen hunderte Körper aufeinander, während der Neunzigerjahrehit "Barbie Girl" von Aqua ertönt.

Dass niemand zu Schaden kommt, ist wohl der zweiten der drei goldenen Regeln zu verdanken, die der Rapper zu Beginn der Show aufgestellt hat. Sie lauten: Die Ski Aggu Partei (SAP), so nennt er seine Anhängerschaft, passe aufeinander auf und stelle sicher, dass sich alle wohlfühlten. Die erste Regel lautet: Am Rand stehen mit verschränkten Armen und ernster Miene ist "cringe". Und die dritte: Das Handy in der Hosentasche lassen und die Show genießen.

Beim Ego gepackt

"Wer von euch ist der Meinung, Ski Aggu ist ein richtiger Rapper?", fragt er in die Menge. Die Hände schießen nur so in die Höhe: "Das sind überraschend viele. Ich dachte, es sind weniger." Er werde oft für seine Musik belächelt, kassiere Hass im Internet. Kurz vor der Show hätten sogar irgendwelche Menschen vor der Jahrhunderthalle behauptet, er sei gar kein richtiger Musiker. Er könne nicht einmal ein Instrument spielen. "Das hat mich an meinem Ego gepackt", gibt er zu. Deshalb hat er wohl kurzerhand vor der Show Gitarre spielen gelernt. Er stimmt "Here Comes The Sun" von den Beatles an. Und seine Fans bejubeln ihn wie stolze Eltern ihr Kind.

Dabei müsste Ski Aggu, der eigentlich August Diederich heißt, nichts mehr beweisen. Der 26 Jahre alte Rapper aus Berlin hat in den vergangenen drei Jahren einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Während der Pandemie veröffentlichte er 2020 seine erste Single "Weißwein und Pappbecher", zwei Jahre später gelang ihm der Durchbruch mit dem Song "Party Sahne", im Mai 2023 sein bislang wohl größter Erfolg "Friesenjung".

In seiner Welt könne jeder sein, was und wer er wolle. "Ich will ein Rapper sein und ich fühle mich wie einer", verkündet er. Und seine Fans jubeln ihm lauthals zu. Auch wenn er nicht den "typischen Hip-Hop oder Rap" mache, ergänzt er. Ihm sei es egal. "Ski Aggu wird immer anders sein", versichert er.

"Nehmt euch in die Arme"

Dass er mittlerweile das Leben lebt, von dem er als Schulkind geträumt habe, könne er kaum glauben. "Gestern noch haben wir halbe Joints vom Boden aufgehoben, um sie zu rauchen, und jetzt stehen wir auf einer riesigen Bühne", erzählt er seinen Fans.

Sein Kumpel Keanu steht dabei in einer eckigen Kugel, die wie ein Raumschiff aussieht, und performt seine eigenen Songs. Auch holt Aggu mit Ritter Lean einen weiteren Schulfreund auf die Bühne. Mit ihm habe er nach dem Unterricht im Kinderzimmer gemeinsam Musik produziert. "Wir haben irgendwelche Beats von Youtube runtergeladen und darauf noch superschlecht gerappt", erinnert er sich.

Wirft er eine Jacke in die Menge, bricht Streit aus. Der Rapper beobachtet das von der Bühne: "Ihr müsst euch jetzt einigen. Wenn ihr das nicht könnt, gebt mir die Jacke zurück." Schließlich geben die Streithähne die Jacke auf und bekommen dafür ein Tour-Shirt. Er schwört sein junges Publikum darauf ein, eine Einheit zu sein – wenn es offiziell Teil der SAP sein wolle. Dafür müssten die Zuhörer allerdings ein Aufnahmeritual durchlaufen: "Nehmt euch in die Arme – auch wenn euch die Person fremd ist."

Für einen kurzen Moment wird es während des Konzerts ernst. Zu oft hätten Männer Konzerte ausgenutzt, um Frauen unsittlich zu berühren. "Wenn wir Menners wegschauen, wenn irgendein anderer Atze sich falsch verhält, sind wir genauso Teil des Problems", sagt der Rapper. Vor allem die weiblichen Fans bekräftigen das mit tosendem Applaus: "Also schaut nicht weg." Deshalb hat Aggu mit seiner Schwester eine Awareness-Beauftragte dabei, die in so einer Situation handeln kann. "Wenn wir das mitkriegen, fliegt die Person hochkant raus", sagt er. Außerdem findet es der Berliner "übertrieben cringe", wenn eine Person eine Partei wählt, "die rassistische Motive vertritt". Dafür erntet er Applaus.

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Nachdem das gesagt ist, gibt Ski Aggu noch einmal alles und verwandelt die Jahrhunderthalle, wie im vergangenen Jahr das Zoom, in einen "geisteskranken Hexenkessel". Nach rund zwei Stunden entlässt er sein recht junges Publikum elektrisiert in die Nacht.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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