Das Jahr 2024 am Tresen: US-Wahl, das Ende der Ampel, die Fußball-EM: Was waren die beliebtesten Themen an deutschen Stammtischen in diesem Jahr? Eine Wirtin erzählt von ihrem Jahr hinter der Theke im "Alten Schlagbaum" in Frankfurt.

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An der Theke des "Alten Schlagbaums" gilt eine eiserne Regel: Politik und Religion haben hier wenig Platz. "So ersparen wir uns das Geschwurbel", sagt Susanne Walter und lacht. Walter ist Wirtin der Kneipe mitten in Bornheim, einem jener Frankfurter Stadtteile, der gern von sich behauptet: Hier lebt das Volk.

Der "Alte Schlagbaum" ist eine typische Eckkneipe. Dunkles Holz. Rauchen ist erlaubt. Getrunken wird Apfelwein und Bier. Susanne Walter, 56 Jahre, herzliches Lachen, Kurzhaarschnitt, kennt fast jeden Gast persönlich. Und sie weiß, wie hitzig Diskussionen zuweilen werden können.

Der Bruch der Ampelkoalition ist so ein Fall. Natürlich. Was sonst. Walter erinnert sich daran, wie die Stimmung war an jenem Abend, als sich das Aus schon andeutete. Als es hieß, Kanzler Scholz habe Finanzminister Lindner entlassen. Und wie dann Runde um Runde mehr zur Gewissheit wurde, dass alles auf Neuwahlen hinauslaufen würde. Kommentiert worden sei dies mit einem Bier in der Hand und einem zustimmenden Nicken, erinnert sich Walter. Die Leute hätten gesagt: "Gut so!"

"Da wird auch mal ein Herz ausgeschüttet"

Und auch die US-Wahl wurde im "Alten Schlagbaum" tagelang diskutiert. Zu Trump hat jeder eine Meinung. Sein Wahlsieg gehört im "Alten Schlagbaum" zu den meistdiskutierten Themen in diesem Jahr.

Und doch sind es die persönlichen Geschichten, an die sich Walter erinnert. Der eine oder andere sitze bei ihr am Tresen, trinke still sein Bier, starre vor sich hin und schweige. Und irgendwann breche es aus ihm heraus. "Es sind Themen wie die eigene Rente oder die steigenden Preise", wie Walter sagt. "Die Leute machen sich Luft. Da wird auch mal ein Herz ausgeschüttet."

Mehr noch als die großen Fragen der Politik sind es im "Alten Schlagbaum" die lokalen Themen, die die Menschen umtreiben. Alles, was sich in der Nachbarschaft ereignet, findet sich früher oder später in den Gesprächen am Stammtisch wieder.

Am Tresen findet jeder ein offenes Ohr

Während Walter an einem der Tische in dem urigen Lokal mit den dunkelgrünen Wänden sitzt, wird sie nachdenklich. Sie formuliert es so: "Das, was die Menschen beschäftigt, sind die Themen, die uns alle irgendwann betreffen. Seien es privater Kummer, Jobfrust oder gesundheitliche Herausforderungen." Und am Tresen, sagt sie, finde jeder ein offenes Ohr.

Und dann gibt es noch die Gesprächsstoffe, die immer wieder aufkommen. So etwa der Wegzug der Binding-Brauerei. Den hätten immer noch nicht alle gänzlich verdaut. "Binding war ein Frankfurter Original. Das gehörte zu Frankfurt wie Handkäs mit Musik", sagt auch Susanne Walter, die der einst regionalen Biermarke nachtrauert. Das Binding-Bier bezieht sie weiter, auch wenn es nun nicht mehr aus Frankfurt kommt.

Dass im "Alten Schlagbaum" fast alle Gespräche irgendwann auf Frankfurt und die eigene Sicht auf die dortigen Veränderungen kommen, ist kein Zufall. Vor allem liegt es daran, dass sich die Eckkneipe seit vielen Jahren treu geblieben ist.

Sie wollte nie etwas anderes sein. Keine hippe Bar, in der sich Nachtschwärmer auf einen Spritz versammeln. Kein "Touri-Schuppen", der Gäste anzieht, die am nächsten Tag schon wieder in einer anderen Stadt unterwegs sind. Wer im "Alten Schlagbaum" landet, der bleibt meist auch hier. Der hat diese Entscheidung oft bewusst getroffen auf der Suche nach einer Stammkneipe, nach Gemeinschaft, nach Gesprächspartnern aus der erweiterten Nachbarschaft.

Es scheint, sie sind rar geworden, die echten Bierkneipen, in denen noch gewürfelt und angeschrieben wird. Wo die Uhren langsamer ticken und der Tresen seit Jahrzehnten den skurrilsten Geschichten lauscht. Es sei "das Dörfliche", wie Susanne Walter es nennt. Das, was die Menschen an ihrem Viertel schätzten.

Im "Alten Schlagbaum" werde nicht über irgendetwas gesprochen, sondern über "sein Frankfurt". "Man kennt sich hier. Und jeder hilft jedem", erzählt die Wirtin, die den "Alten Schlagbaum" seit fünfzehn Jahren betreibt. "Ich bin für meine Stammgäste Eheberaterin, Ärztin und Therapeutin." Was man dafür braucht? Walter überlegt nicht lange. "Herzblut, Humor und Lebenserfahrung."

Während der EM voll dabei

Zumindest das "Herzblut" kam ihr auch im Sommer zugute, als die Fußball-Europameisterschaft zumindest bis zum Ausscheiden der deutschen Elf die Stimmung in den Kneipen beherrschte. Fußball war 2024 in Deutschland nicht wegzudenken – und erst recht nicht aus dem Bornheimer Kultlokal.

Die Fußball-EM sorgte für eine ausgelassene Stimmung, besonders an den Abenden, an denen die deutsche Mannschaft spielte. Doch auch darüber hinaus ist der Fußball im "Alten Schlagbaum" präsent. An der Wand hängt der Eintracht-Adler. Die Spiele werden in der Kneipe gezeigt. Doch nicht nur mit der Eintracht wird mitgefiebert und -gelitten, sondern auch mit dem FSV Frankfurt. Der Bornheimer Fußballverein sei in der Nachbarschaft sehr beliebt.

Und noch etwas fällt der Wirtin auf: Das Publikum wird jünger. Während tagsüber hauptsächlich ältere Menschen einkehrten, seien es am Abend die Jüngeren, die auf ein Bier vorbeikämen. Und die beschäftigten sich vor allem mit der Klimakrise, wie die Sechsundfünfzigjährige sagt.

Jüngere sprechen häufiger über den Klimawandel

Ob am Tisch oder an der Theke: Im "Alten Schlagbaum" hätten sich die Gäste zwischen zweiundzwanzig und achtunddreißig häufig über den Klimawandel und Naturkatastrophen ausgetauscht. Ein Thema, das die älteren Stammgäste eher weniger beunruhigt habe. Auch die Cannabis-Legalisierung sei Thema gewesen. Susanne Walter hat dazu eine klare Meinung: "Wir verbieten bei uns grundsätzlich den Konsum jeglicher Drogen, auch Cannabis."

Um die 300 wiederkehrende Stammgäste zählt der "Alte Schlagbaum". Susanne Walter weiß das deshalb so genau, weil sie während der Corona-Pandemie, wie auch alle anderen Gastronomiebetriebe, die Gästezahl zur Nachverfolgung schriftlich festhalten musste.

Die Corona-Krise ist für die Frankfurter Wirtin weiterhin eine offene Wunde, auch 2024 noch. Die Maßnahmen der vergangenen Jahre hätten sie hart getroffen, insgesamt achtzehn Monate musste die Kneipe geschlossen bleiben. Allmählich gehe es wirtschaftlich wieder bergauf.

"‚Depression‘ ist das Unwort des Jahres 2024 für mich"

Jede Krise hinterlasse ihre Narben. Das spüre sie nicht nur persönlich, sondern auch bei ihren Gästen. "Es gibt ein paar Leute, die sonst voller positiver Energie waren und seit der Corona-Pandemie nur noch depressiv rumsitzen. Das macht mir Sorgen. ‚Depression‘ ist auf jeden Fall das Unwort des Jahres 2024 für mich", sagt die Hessin.

Und noch ein weiterer Unterschied fällt der Wirtin in diesem Jahr auf: Es werde wieder mehr gespielt. "Die Leute starren nicht mehr so viel aufs Handy." Insbesondere Backgammon und Kartenspiele seien beliebt.

Am Ende des Jahres sieht Susanne Walter vor allem eines: Gemeinschaft. Trotz aller privaten Sorgen, finanziellen Engpässe und weltpolitischen Turbulenzen bleibe der "Alte Schlagbaum" ein Ort, an dem Menschen zusammenkämen, redeten, lachten, einander stützten.

"Der Schlagbaum", sagt Walter, "ist Familie." Ein Thema gibt es noch, das Susanne Walter selbst Sorgen bereitet: die Inflation. Auch in diesem Jahr macht sie der Gastronomin wirtschaftlich zu schaffen. "Die Schnäpse zum Beispiel", berichtet die Wirtin, "sind alle im Einkauf drei, vier Euro teurer geworden." Aber auch die erhöhten Strom- und Heizkosten seien eine wirtschaftliche Belastung für das Lokal.

Schon einmal musste Walter 2024 die Preise erhöhen, Anfang des Jahres. Ein Schritt, der ihr nicht leichtgefallen sei. Ein kleines Bier, 0,2 Liter, koste nun zwei Euro. "Die jungen Leute sagen immer, wie günstig es hier ist. Meine älteren Stammgäste hingegen belastet das teilweise immens." Bei denen sei das Geld noch knapper als bei den Jüngeren, meint die Frankfurterin.

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Eigentlich müsste sie die Preise weiter anheben, um wirtschaftlich gut klarzukommen. Doch soll der "Alte Schlagbaum" ein Ort der Bodenständigkeit bleiben, ein kleines Stück Heimat im hektischen Alltag. Walter schmunzelt. "Zur Not gibt’s das Bier dann auch mal aufs Haus."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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