Álvaro Corral Matute: Über Arbeitsmangel kann Álvaro Corral Matute derzeit nicht klagen. Der Leiter des Kinderchors der Oper Frankfurt ist derzeit auch kommissarischer Chordirektor. Mit dem Ausbruch der Pandemie kam er aus den USA nach Deutschland.

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Dass Álvaro Corral Matute ein positiver Typ ist und einer, der mit Begeisterung in seinem Beruf aufgeht, merkt man sofort. Seit Beginn der Spielzeit 2021/2022 ist der Spanier Leiter des Kinderchores an der Oper Frankfurt. Und in dieser laufenden Saison ist er überdies kommissarischer Chordirektor, denn Tilman Michael ist in gleicher Position an die New Yorker Metropolitan Opera gewechselt.

Über Arbeitsmangel kann Matute insofern derzeit nicht klagen, hat er doch in der Doppelfunktion nicht nur organisatorisch viele Aufgaben, sondern auch große Chorproduktionen zu verantworten – zuletzt etwa in der Oper "Die Nacht vor Weihnachten" von Rimski-Korsakow oder mit dem Kinderchor sogar außer Haus mit dem hr-Sinfonieorchester im Oratorium "Jeanne d’Arc au bûcher" von Honegger.

Trotzdem strahlt Matute, wenn er sich im Gespräch seinen Werdegang vergegenwärtigt: "Alvaro, du bist immens glücklich", sage er oft zu sich selbst. Aufgewachsen ist er in Jerez de la Frontera, "wo der Sherry herkommt", unweit von Cádiz und Gibraltar in der sehr besonderen Weinbau-Landschaft mit Bergen und Zugang zur Atlantik- und zur Mittelmeerküste.

"Marokko ist in der Nähe", sagt Matute. Man nenne die Region auch "das Land der drei Kulturen", da hier Christentum, Judentum und Islam zusammengekommen seien. Die Kunst sei davon wechselseitig beeinflusst. Er beschäftige sich seit seiner Kindheit damit.

Eine prägende Schulzeit

Seine Liebe zur klassischen Musik hat schon vom fünften Lebensjahr an seine erste Klavierlehrerin geweckt. Für ihre fortgeschrittenen Schüler habe sie bald auch Meisterkurse mit anderen Lehrern, Konzertbesuche und Auftritte organisiert. Sehr international ging es mit Matutes Ausbildung weiter, als er mit 16 Jahren an eine Schule der United World Colleges im norditalienischen Küstendorf Duino nahe Triest kam.

Hier lernte er zusammen mit Mitschülern aus 80 Ländern. Matute sieht das rückblickend als großes Glück an: "Man hört Nachrichten aus einem anderen Land anders, wenn man jemanden aus diesem Land kennt", sagt der Chorleiter, der inzwischen gut Deutsch spricht, aber sich bei Bedarf auch gewitzt in einer Art Esperanto verständlich macht.

Nach der prägenden Schulzeit begann er in London am Royal College of Music ein Klavierstudium schon mit der Absicht, später eine Ausbildung als Dirigent anzustreben. Diese folgte dann, nach einem Studienjahr an der Manhattan School of Music in New York, in der spanischen Heimat in San Sebastián. "Genau dort habe ich Opernrepetition als Beruf entdeckt", sagt Matute.

Ausschlaggebend dafür sei die Zusammenarbeit mit einer Sängerin in der Monooper "La voix humaine" von Poulenc gewesen. Fasziniert habe ihn als Korrepetitor wie als Klavierbegleiter besonders die Möglichkeit, die Stimme durch das eigene Spiel zu beeinflussen und zu lenken.

"Die Identität des Einzelnen darf nicht verloren gehen"

Ausgestattet mit einem Stipendium einer spanischen Bankenstiftung, machte Matute seinen Master schließlich an der Jacobs School of Music der Indiana University Bloomington. Ein Jahr lang arbeitete er als Coach im Opernstudio der Atlanta Opera – bis zum Ausbruch der Pandemie 2020. Als er zu dieser Zeit in Amerika keine Perspektive mehr sah, trat er eine Stelle als Chor- und Solorepetitor am Theater Bonn an. Anfang August 2021 wurde er in der Oper Frankfurt Assistent von Tilman Michael.

Zunächst an dessen Seite und nun als kommissarischer Chordirektor habe er hier die Chance, alles in der Praxis "eins zu eins zu lernen". Das umfasst neben der künstlerischen Arbeit auch viele Aufgaben in der Verwaltung und langfristigen Planung: "Drei Jahre, drei Monate, drei Wochen und drei Tage muss man im Kopf haben", umschreibt es Matute. Vor allem aber müsse man verstehen, "dass ein Chor ein Kollektiv von Individuen ist": "Die Identität des Einzelnen darf nicht verloren gehen."

Im Opernchor hat er es mit 85 professionell ausgebildeten Sängern zu tun. Die große Besonderheit gegenüber einem Konzert- oder Kirchenchor ist dabei natürlich, dass auch szenisch gearbeitet werden muss. Das heißt: "Irgendwann müssen die Noten weg, und alle müssen alles auswendig können", bringt Matute es auf den Punkt. Dieser Übergang vom Chorsaal auf die Probebühne sei besonders schwierig.

Vor allem mit dem Kinderchor erfordere das besonderes Geschick. Im Team mit der Projektleiterin Adda Grevesmühl, seinem Assistenten Joonhee Lee und der als Stimmbildnerin tätigen Sopranistin Anna Ryberg vom Ensemble der Oper hätten sie jedoch ein System entwickelt, wie die Kinder "mit Sicherheit und Selbstbewusstsein auf die Bühne treten".

Die Kinder seien sehr professionell. Jedoch müsse man bei Proben auch bedenken, dass sie vielleicht schon einen anstrengenden Schultag hatten. Musikalische Korrekturen, die er mit den erwachsenen Profi-Choristen nur einmal en bloc bespreche, müsse er mit den Kindern einzeln durchgehen und oft mehrfach wiederholen.

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Über die Disziplin der Kinder äußert sich Matute bewundernd. Und so klingt es sehr fürsorglich, wenn er mit breitem Lächeln sagt: "Ich muss ihnen jede Woche sagen, dass sie bitte zur nächsten Probe Bleistift und Wasser mitbringen sollen."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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