Sport für den guten Zweck: Auf, am und rund um den Feldberg kennt er jeden Winkel: Michael Lederer rennt und lässt rennen für die, die nicht gehen können.

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Und er rennt immer noch. Berghoch, sagt er, machen es die Knie einigermaßen mit. Stabilen Schrittes, kaum kurzatmig, läuft Michael Lederer ein Steilstück am Feldberg hinauf. Grober Schotter, Nebel, Nieselregen, kurze Passagen über feuchtes Gras. Das letzte Stück unterhalb des Gipfels hat es in sich. Doch Lederer hat sogar noch Luft, währenddessen zu erzählen, was ihn antreibt.

Nicht seine eigene Leistungsfähigkeit als Läufer, das war einmal – Ende der Siebzigerjahre zählte er zu den Besten hierzulande, nur der Olympiaboykott verhinderte seinen Start bei den Spielen in Moskau 1980. Nein, was Lederer anspornt und wofür er große Teile seiner Kraft und Zeit einsetzt: Menschen zusammenbringen. Beim Sport, bei Events für Groß und Klein, die er oft selbst erfunden und initiiert hat. Für den guten Zweck. Einem Zweck, dem er – auch wenn es pathetisch klingt – die vergangenen 36 Jahre seines Lebens gewidmet hat.

Lederer kennt jeden Winkel des Feldbergs

Sein zweitgeborener Sohn Matthias kam 1988 mit einer angeborenen Querschnittslähmung (Spina bifida) auf die Welt. Kinder mit dieser Diagnose können nicht laufen, und es gehen damit noch viele weitere Beschwerden einher, sagt Lederer: "Spina bifida stellt das Leben der betroffenen Familien komplett auf den Kopf." Sein Sohn wird damals nach der Geburt in der Mainzer Uniklinik behandelt. Wenige Tage später läuft der Athlet Lederer die etwas mehr als 30 Kilometer vom heimischen Kelkheim zum Besuch bei Frau und Kind. Auf die Arbeit des Vereins ARQUE (Arbeitsgemeinschaft für Querschnittsgelähmte mit Spina bifida), der betroffene Familien unterstützt, war er da schon aufmerksam geworden. Noch im selben Jahr initiiert Lederer den ARQUE-Lauf: 31 Kilometer von Kelkheim nach Mainz. Bei der jährlichen Austragung – bis 2009 als Lauf, danach bis 2016 als Radausfahrt – haben insgesamt rund 15.000 Menschen teilgenommen.

Alle Einnahmen, das ist so bei allen von Lederer organisierten Veranstaltungen, ob Bergaufsprint, Schüler-Staffellauf, Treppenhauslauf (Skyrun Messeturm Frankfurt), Rollstuhl-Basketballturnier oder Ähnliches, gehen an den Verein ARQUE, dessen zweiter Vorsitzender er seit genau 30 Jahren ist. Sein Engagement und sein auch mit 69 Jahren noch sprühender Tatendrang haben dem Verein seitdem 1,2 Millionen Euro eingebracht.

Auf, am und rund um den Feldberg kennt Lederer jeden Winkel. Zu seinen aktiven Zeiten als deutscher Spitzenläufer mit besonderer Begabung für die 1500 Meter hat er, damals in Falkenstein wohnend, den größten Teil seines Trainings dort absolviert. Rennen auf der Bahn war ihm auf die Dauer zu eintönig, lieber ballerte er über Stock und Stein und Wurzeln durch den Wald. Weil der mehrmalige deutsche Juniorenmeister zeit seiner Karriere genau Buch geführt hat, weiß er, dass er etwa 50.000 Kilometer rund um den Feldberg gelaufen ist.

Vorbereitungen für den Lauf treffen

Seine spektakulärsten 1500 Meter absolvierte Lederer 1977 auf der Tartanbahn im Stadion in Köln-Müngersdorf. Halbzeitpause im Bundesligaspiel zwischen dem heimischen FC und Werder Bremen: Die Fußballprofis sind kaum vom Rasen, da stehen vier gertenschlanke Männer in Startposition. Sie wollen den Weltrekord in der selten gelaufenen 4-×-1500-Distanz brechen. 14:38,8 Minuten, also quasi eine Halbzeitpause, später hat die Staffel mit Lederer die alte Bestmarke um eine Sekunde unterboten. Die Fußballspieler kehren auf den Rasen zurück – und später erinnern sich alle nur an die fulminanten sechs Tore, die der Kölner Dieter Müller an diesem Tag beim 7:2-Heimsieg erzielt hat. Doch für Lederer und seine Mitstreiter war der Lauf ein prägendes Erlebnis. Zumal der Weltrekord 32 Jahre Bestand hatte.

Nur wenige Tage oder Stunden haben die Bestmarken beim Wettbewerb mit dem Namen "ARQUE CrossFondo TaunusTripleBergSprint" Bestand. Vier Monate, von Anfang Juli bis Ende Oktober, hegt und pflegt Lederer die 1250 Meter steil bergauf führende Laufstrecke (170 Höhenmeter) bis zum Gipfel des Feldbergs, die in etwa entlang des einst dort verlaufenden Skilifts führt. Jedermann kann sich online anmelden, die Gebühr entrichten und mindestens drei Mal den bis zu 16 Prozent steilen Hang hoch-"sprinten".

Leder muss die Strecke herrichten, Dutzende bunte Lämpchen rechts und links des Kurses aufstellen, Pokale drapieren. 25 Nachwuchsathleten des Hessischen Triathlonverbandes sind angesagt für eine "Night Session", wie Lederer sagt. Die Lämpchen illuminieren die Strecke in der Dunkelheit und Pokale, ja, die müssen einfach sein. Bei Lederer gibt es für Kinder und Jugendliche eigentlich immer Pokale, und zwar nicht nur kleine. "Die Kids sollen danach etwas in der Hand halten mit Erinnerungswert", sagt er. Bei der Übergabe hat er für jeden ein nettes Wort übrig.

Für Teamfähigkeit, Gesundheitsbewusstsein und Inklusion

Aber die Kinder und Jugendlichen seien über die Jahre immer schwieriger zu erreichen, was auch an den Eltern und Lehrern liege, die sich kaum noch festlegten. Was Lederer wiederum ausbremst in der Organisation von Events. Von den Schüler-Staffelläufen in Kelkheim, dem "ARQUE-Quadro-GP", gab es von 1996 bis 2016 21 Ausgaben. Unlängst veranstaltete er einen Kinder-Nachttriathlon, der die Teilnehmer den 451 Meter hohen Staufen bei Kelkheim erobern ließ.

Genug Nachwuchsathleten zu gewinnen sei das eine, die nötige Anzahl von Helfern zu finden, die bereit seien, mit anzupacken, das andere, sagt Lederer. Zu wenig Mitstreiter in Vorbereitung und am Lauftag selbst, das war auch der Grund, warum der ARQUE-Lauf nach 29 Auflagen eingestellt worden ist. Der gebürtige Frankfurter fühle sich schon manchmal wie ein "Alleinunterhalter", sagt er, ohne Groll in der Stimme.

Seiner Motivation und scheinbar nie erlahmenden Ausdauer kann dies nichts anhaben. Kinder und Erwachsene beim Sport zusammenzubringen, Werte wie Teamfähigkeit, Gesundheitsbewusstsein und Inklusion zu vermitteln, umtreibt Lederer nach wie vor täglich. Seine Ehefrau ist zudem stark engagiert für das Kinderhospiz Bärenherz.

Mit allen in der Region vernetzt

Mitgegründet hat Michael Lederer auch den "ARQUE-Wuzzelauf" der TSG Altenhain. Seit 2008 sind dort rund 10.000 Euro für ARQUE erlöst worden. Das Integrative Rollstuhlbasketball-Turnier, in dem seit 2002 in Eschborn Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam in Teams antreten, findet kommende Woche wieder statt.

Zwischen den Events, die er organisiert, ist Lederer nicht selten in Frankfurt und im Taunus mit einer besonderen Fracht im Auto unterwegs: kiloweise Münzen. Bei aktuell 35 Einzelhändlern durfte er Spendenboxen für ARQUE aufstellen. Lederer schätzt die Gespräche mit Bäckern, Metzgern und Apothekern bei der Abholung. Weitere 4000 bis 5000 Euro kommen so jährlich zusammen – noch immer finden sich in den Münzbergen reichlich Deutsche Mark, erzählt er schmunzelnd. Lederer ist vernetzt in der Region vom kleinen Ladenbesitzer bis in die Chefetagen großer Firmen.

Beruflich war der studierte Wirtschaftsingenieur bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Cooper (PwC) tätig – 21 Jahre als Gesamtbetriebsratsvorsitzender, davon 15 Jahre auch als Aufsichtsrat.

Mit Warmherzigkeit und Witz

Im Frankfurter PwC-Hochhaus hat Lederer einst auch eine weitere Leidenschaft entdeckt: Treppenlaufen. Flugs war die Idee geboren, im benachbarten Messeturm ein großes Rennen auszurichten. Beim jährlichen Skyrun – mittlerweile ein beliebtes Großereignis in der Towerrunning-Szene – müssen die Läufer mittlerweile fix sein, um einen Startplatz zu ergattern für die 1200 Stufen lange Herausforderung.

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Am Start kann man Lederer in seinem Element erleben. In Smoking, Fliege und roter Kappe steht er da, schickt mit dem Mikrofon in der Hand alle 20 Sekunden jemanden auf die vertikale Laufreise und versprüht dabei viel Warmherzigkeit und Witz. So könne man das nötige Honorar für einen Moderator sparen und es bleibe mehr für ARQUE übrig, sagt er augenzwinkernd. In den Tagen vorher ist er unermüdlich im Treppenhaus des Messeturms unterwegs. Hängt in diesem an sich unwirtlichen Ort Dutzende bunte Plakate mit Motivationssprüchen auf. Immer von unten nach oben gehe er dann, sagt Lederer. Die Knie! Aber berghoch oder treppauf laufen geht noch wunderbar.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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