Hobby Horsing: Trotz Spott und Vorurteilen: Die ersten Deutschen Meisterschaften im Hobby Horsing in Frankfurt zeigen, dass dieser Sport mehr ist als nur ein kurioser Trend.

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Ernst galoppiert Amelie Plönnigs auf das dunkelgrüne Hindernis zu. Die Arme sind angewinkelt, in der rechten Hand hält sie die Zügel, mit der linken den Stock ihres Steckenpferdes Snoopy fest umklammert. Ihr Oberkörper bleibt aufrecht, ihr Nacken gerade – "wie ein Reiter auf seinem Pferd", erklärt die 17 Jahre alte Hobby Horserin später.

Die Augen Hunderter Zuschauer sind auf die Reiterin gerichtet. Mit ihrem Unterkörper ahmt sie die Bewegungen der Pferdebeine nach, hebt die Knie fast bis zur Hüfte an. Kurz vor dem Hindernis spannt sie sich an und drückt sich mit dem rechten Fuß vom türkisfarbenen Tartanboden ab. Mit dem linken Knie voraus springt sie über die 70 Zentimeter hohe Stange. Die erste Hürde ist geschafft.

Amelie gehört zu den rund 300 Athletinnen und Athleten, die am Samstag und Sonntag aus ganz Deutschland nach Frankfurt gekommen sind, um an den ersten Deutschen Meisterschaften im Hobby Horsing teilzunehmen. Ausgetragen werden die Wettkämpfe vom 2023 gegründeten Deutschen Hobby Horsing Verband.

In einer Halle im Frankfurter Stadtteil Kalbach-Riedberg, in der sonst Leichtathletik betrieben wird, markieren weiße Holzlatten und Blumentöpfe rechteckige Felder. Dort messen sich die Teilnehmer in den Disziplinen Stilspringen, Zeitspringen und Dressur. Eine der beliebtesten Disziplinen ist das Stilspringen, in der geht auch Amelie an den Start.

Die Herausforderung bestehe darin, sowohl mit dem linken als auch mit dem rechten Bein gut abspringen zu können, erklärt ihre Trainerin Anabell Harms. Denn bei jedem Richtungswechsel müssen die acht Athletinnen, die in der Altersklasse U 21 an den Start gehen, sowohl den Griff wie auch die Schrittfolge wechseln. Amelie trainiert bis zu sechs Mal die Woche.

Verlässt man die Mehrzweckhalle in Richtung Umkleideräume, führt ein Schild zum Arbeitsplatz von Ulrike Plönnigs, der Mutter von Amelie. Die Physiotherapeutin trägt ein grünes T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben "Helfer" steht, und bandagiert den Knöchel eines kleinen Mädchens mit schwarzem Tape. "Am Anfang standen die Kinder Schlange", sagt Plönnigs. Die meisten kämen mit Knöchel- und Knieproblemen zu ihr. "Das kommt durch die Belastung vom Springen", sagt die ehrenamtliche Helferin. Heranwachsende Mädchen hätten sehr weiche Bänder und seien beweglicher als Jungen. Dadurch knicken sie leichter um. Ein Tape soll das verhindern.

Zurück in der Halle, hat eine Hobby Horserin alle Hände voll zu tun. Nele Nöhrbaß steht umringt von jungen Mädchen am Tisch mit den Siegerpreisen. Sie ist ein Star der Szene. Unterschreibt in Notizbüchern, auf Steckenpferden und einfachen Zetteln, die ihre Fans ihr geben. Die meisten kennen sie von Youtube. Dort hat die 19 Jahre alte Hobby Horserin mittlerweile rund 50.000 Abonnenten. Alle zwei Wochen lädt sie ein Video hoch, zeigt neue Sprungtechniken, gibt Trainingstipps und Anleitungen zum Basteln von Steckenpferden. Für viele ist sie Inspiration und Grund, mit dem Sport anzufangen.

Das Pferd wird selbst genäht oder teuer gekauft

Amelie Plönnigs hingegen wurde durch einen Fernsehbericht auf den Sport aufmerksam. "Das hat mich so fasziniert, dass ich mir gleich am nächsten Tag ein Hobby Horse genäht habe." Damals noch aus einem alten Stock und einem Stück Bettlaken. Das war 2019.

Inzwischen gibt es einen regelrechten Markt für Hobby Horses. Nur wenige Meter von den Reitplätzen entfernt sind Dutzende Verkaufsstände aufgebaut. Von fertigen Steckenpferden für mehr als 150 Euro bis hin zu Fliegenhauben und einem Hobby-Horse-Adventskalender kann man alles rund um den Sport kaufen. Amelie hat ihre Hobby Horses alle selbst gebastelt oder gewonnen. Insgesamt besitzt sie rund 20.

Trotz des Hypes, den dieses Hobby erlebt, halten sich Vorurteile. Im Internet hagelt es Hasskommentare, und viele Menschen behaupten, dass Hobby Horsing kein richtiger Sport sei. Amelie Plönnigs sagt: "Natürlich klingt es lustig, wenn man hört, dass wir mit einem Steckenpferd durch die Gegend reiten." Leider kenne sie auch viele, die wegen Mobbing ausgestiegen seien. Josh Rosenberg, einer von nur zehn männlichen Teilnehmern, sagt, was ihm am Hobby Horsing so gut gefällt: "Man kann kreativ sein, Sport treiben und lernt Menschen aus ganz Deutschland kennen."

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Unter den rund 2000 Besuchern am Wochenende dominiert der Respekt vor der Leistung. So meistert Plönnigs nicht nur die erste Hürde, sondern auch die weiteren 16 Sprünge des Wettkampfes. Am Ende schreibt sie Geschichte und steht als erste Deutsche Meisterin im Stilspringen der Altersklasse U 21 allein auf dem Siegerpodest. Kurz danach kann sie es kaum fassen: "Völlig surreal."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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