Frankfurt: Es ist kein Handwerk wie jedes andere: Gerüstbauer sind bestenfalls auch schwindelfrei und standfest.

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Ein Besuch auf einer der luftigen Baustellen von Daniel Wolf, der auch Hochhäuser in Frankfurt einrüstet.

Durch das grüne Auffangnetz kann man die Skyline sehen. Ein so freier Blick auf die Bankenhochhäuser bietet sich nur selten. Keine Bäume, Dächer oder Antennen versperren die Sicht. Einmal um die eigene Achse gedreht, blickt man 18 Meter in die Tiefe – unten steht der Wagen der Wolf Gerüstbau GmbH auf der Habsburgerallee in Frankfurt-Bornheim. An der Fassade eines Wohnhauses ziehen mehrere Mitarbeiter ein Gerüst hoch, für Dachdeckarbeiten. An den obersten beiden Etagen der acht Gerüstlagen ist ein Netz befestigt, "damit die Dachdecker nicht runterpurzeln", sagt Daniel Wolf. Der Einunddreißigjährige führt den Betrieb, den sein Vater 1993 gegründet hat, seit 2018.

Schon seit seinen Kindheitstagen sei er an jedem freien Tag mit auf Baustellen gegangen, erzählt Wolf. Sowohl in den Schulferien als auch während seines Studiums des Bauingenieurwesens hat Wolf stets mitgeholfen. 2018 machte er seinen Master an der Fachhochschule Frankfurt. "Ich wusste schon früh, dass ich das auch machen will. Ich bin schließlich auf der Baustelle groß geworden", sagt Wolf. Inzwischen könne er sich nicht mehr vorstellen, einen anderen Beruf auszuüben.

Von klein und ländlich zu groß und innerstädtisch

Seit er das Unternehmen führe, habe sich einiges verändert. Sein Vater habe hauptsächlich kleinere Gerüste in ländlichen Gegenden gebaut. Daniel Wolf verlegte den Tätigkeitsschwerpunkt nach Frankfurt, dadurch seien die Gerüste höher und komplexer geworden. Besonders hoch hinaus mussten seine Mitarbeiter beim Bau des Grand Towers 2020 im Europaviertel. Die Turmspitze des höchsten Wohnhochhauses in Deutschland, die sie eingerüstet hatten, befindet sich 180 Meter über dem Erdboden.

Auch durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Gewerken hätten sich die Anforderungen verändert, sagt Daniel Wolf. Während das Unternehmen früher vorwiegend für Malerbetriebe arbeitete, rüstet es heute auch Kunstinstallationen des Museums für angewandte Kunst ein. "Es gibt Monteure, die freuen sich ein Jahr darauf, das Gerüst für das Museum zu bauen", sagt Wolf. Auch für Restaurierungsarbeiten im Kaisersaal des Rathauses Römer und an der Börse hat sein Betrieb Gerüste aufgestellt. "Mein persönlicher Antrieb ist es, mitzuhelfen, das Stadtbild Frankfurts zu verschönern", sagt der Geschäftsführer. Es erfülle ihn mit Stolz, wenn er die fertigen oder frisch renovierten Gebäude sehe.

"Learning by doing" statt Berufsschule

Ohne Gerüstbauer laufe auf einer Baustelle nur wenig. Meistens seien sie die Ersten, die kämen, und die Letzten, die gingen. Das Bauen beschreibt der gebürtige Hanauer als "Lego für Erwachsene". Beim großen Steckspiel ist er selbst nur noch selten dabei. Das übernehmen seine 30 Mitarbeiter für ihn, die sich auf die zwei Standorte in Rodgau und in Maintal aufteilen. Einer von ihnen ist seit 2019 Vladimir Panea. Der Dreißigjährige baut auch das Gerüst in der Habsburgerallee mit auf. Er nimmt die Teile, die seine Kollegen von unten anreichen, entgegen und befestigt sie am schon stehenden Gerüst. Mit der Gerüstbauratsche lässt er die Befestigungselemente einrasten und zieht sie fest. Mit Blick auf die Wasserwaage hämmert er so lange gegen das Gerüst, bis es gerade steht.

Gerüstbauer wurde Panea durch Zufall. Ein Kollege habe ihm das empfohlen, und zunächst habe es ihm nur wenig Spaß bereitet, berichtet Panea. Weil man am Ende des Tages sehen könne, was man geleistet habe, habe er sich schließlich doch damit angefreundet. Eine Ausbildung hat Panea nicht gemacht. Sein Chef erklärt, dass es nur wenige richtig ausgebildete Gerüstbauer gebe und der Beruf viel mehr "learning by doing" sei. "Gerüstbau ist so ein Nischenhandwerk", dass sie nur wenige Bewerbungen bekämen, sagt Wolf, vor allem nicht von Frauen. Es herrsche das Klischee, dass Gerüstbauer "toughe Männer" seien, deswegen arbeite bei ihm auch keine Gerüstbauerin.

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Die wichtigste Eigenschaft, die Gerüstbauer mitbringen müssen, sei die Balance zwischen Schwindelfreiheit und einem gesunden Respekt vor der Höhe. "Man sollte schon zurechnungsfähig sein", sagt Wolf und lacht. Vladimir Panea mag die Sicht von oben auf die Leute. Einen Blick in die Fenster der Wohnhäuser, an denen er sein Gerüst vorbei baut, wage er jedoch nur noch selten, sagt er. Einmal habe er von außen einen nackten Mann durchs Fenster gesehen, und seitdem vermeide er es, in die Wohnungen zu linsen. "Ich bin da nicht so neugierig wie andere". sagt Panea. Er konzentriere sich lieber auf den Blick nach unten.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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