Hanau: Malte Guttek will als neuer Leiter das Hanauer Goldschmiedehaus zu einem internationalen Schmuckzentrum und zu einem Identifikationsobjekt für die Bürger formen. Nicht alle seiner Ideen wird er verwirklichen können, aber der Anfang ist gemacht.

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Wer unvorbereitet die aktuelle Ausstellung "Aus dem Büro" im Goldsaal des Deutschen Goldschmiedehauses betritt, könnte stutzen und sich fragen, ob er hier überhaupt richtig ist. Denn nur wenige Exponate liegen in den Vitrinen, die bestückt sind mit vielen handbeschriebenen farbigen Klebezetteln. Die ausgestellten Objekte scheinen zudem nicht zueinanderzupassen.

Gezeigt werden klassische Exponate aus der Sammlung des Schmuckmuseums ebenso wie ein prunkvoller, den Krieg verherrlichender Nautiluspokal oder ein silberner Zuckerlöffel mit der bekannten Hanauer Rose. Eine Vitrine ist einem kleinen Objekt mit politischer Brisanz gewidmet: Die aus winzigen Perlen gefertigte Arbeit einer jungen iranischen Künstlerin setzt sich mit Augenverletzungen auseinander, die Demonstrantinnen in ihrem Heimatland gezielt mit Gummigeschossen zugefügt werden.

Sinn und Zweck der Ausstellung erschließt sich dem Betrachter durch den Untertitel. Dieser lautet "Eine Befragung der Sammlung". Das trifft es allerdings nicht ganz, denn genau genommen werden die Besucher befragt. Sie sollen dazu angeregt werden, sich mit einzelnen Exponaten auseinanderzusetzen, Fragen zu stellen und Kommentare auf den Klebezetteln zu hinterlassen.

Jeden Dienstag und Donnerstag von 15 bis 17 Uhr ist bis Ende Oktober der große Tisch im Saal mit den beiden Kuratoren besetzt, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Ruth Schneider und Museumsleiter Malte Guttek. In diesem "offenen Büro" soll diskutiert werden und sollen die Grundlagen geschaffen werden für die Konzeption der künftigen Dauerausstellung im Goldsaal des international bedeutenden Ausstellungshauses der Gold- und Silberschmiedekunst in Hanau.

Als der Kunsthistoriker Guttek im vergangenen Jahr zum Geschäftsführer sowohl des Goldschmiedehauses als auch der Gesellschaft für Goldschmiedekunst bestimmt wurde, zählte der Aufbau einer Dauerausstellung zu den Aufgaben, die ihm übertragen wurden. Der Weg, den er dafür eingeschlagen hat, steht auch für den Stil, in dem er das Goldschmiedehaus künftig führen möchte. Dabei ist ihm vor allem der Kontakt zu den Menschen in der Stadt wichtig. Ihnen soll künftig Gelegenheit zum Mitgestalten gegeben werden.

Guttek möchte das Goldschmiedehaus, das in guten Vor-Corona-Zeiten bis zu knapp 10.000 Besucher zählte, stärker im Bewusstsein der Bürger verankern und gleichzeitig das internationale Renommee des Hauses in der Schmuckszene stärken. Ein Magnet soll die künftige Dauerausstellung werden.

Historie der Schmuckherstellung im Blick

Die Sammlung beginnt zeitlich mit der Schmuckkunst der Nachkriegszeit, wobei die Schmuckschenkungen der Künstlerin Ebbe Weiss-Weingart einen Schwerpunkt bilden, der sich in der Dauerausstellung niederschlagen wird. Doch Guttek will auch die Historie der Schmuckherstellung in Hanau im Blick behalten. "Ich möchte über die eigenen Exponate des Hauses hinaus auch dokumentieren, was sich in den vergangenen Jahrzehnten im Goldschmiedehaus entwickelt hat", kündigt er an.

Die Geschichte beginnt mit den niederländischen Glaubensflüchtlingen, setzt sich mit der bedeutenden Schmuckindustrie des 18. und 19. Jahrhunderts fort und reicht in die Moderne. Wie das Konzept aussehen wird, hängt unter anderem von den Ergebnissen der Ausstellung "Aus dem Büro" ab, aber auch von den Finanzen. Geführt wird das Haus von der Gesellschaft für Goldschmiedekunst, Betreiberin des Museums ist die Stadt Hanau.

Für ein neues Vitrinensystem, das die Ausstellungskästen aus den Achtzigerjahren ersetzen und mehr Flexibilität ermöglichen würde, reichen deren finanzielle Unterstützung und die Eintrittsgelder nicht aus. Denn zuerst muss der Betrieb des Museums gesichert sein. Doch noch in diesem Monat wird der Bund über die aktuelle kulturelle Projektförderung entscheiden, Guttek hofft, dass das Goldschmiedehaus berücksichtigt wird. Dann wäre man ein gutes Stück weiter.

Mit seinen 35 Jahren sprüht der neue Leiter des Goldschmiedehauses geradezu vor Ideen. Nicht alle wird er verwirklichen können, aber der Anfang ist gemacht. Seine Ziele sind hochgesteckt: Er hat sich vorgenommen, neue Besucherschichten für das Museum, gerade auch Menschen mit Migrationshintergrund, zu begeistern, er will es mit seinem thematischen Ansatz auch zu einem deutschen Schmuckzentrum im Dreiklang mit München oder Pforzheim entwickeln. Dabei schätzt Guttek ausdrücklich die Aufbauarbeit, die seine Vorgängerin Christianne Weber-Stöber in vielen Jahren bis zu ihrem Ruhestand geleistet hat. So wird er an Bewährtem festhalten.

Alle zwei Jahre ernennt die Stadt seit 2004 unter der Federführung der Gesellschaft für Goldschmiedekunst einen Stadtgoldschmied oder eine Stadtgoldschmiedin. Die von einer Jury ausgewählten Kandidaten arbeiten mehrere Wochen lang in Hanau an der Staatlichen Zeichenakademie mit den Studenten. Damit verbunden ist stets eine Ausstellung im Goldschmiedehaus. Das wird auch so bleiben. Gerade wurde die Schau für den zehnten Stadtgoldschmied Alexander Blank aus München im Goldsaal aufgebaut. Die Ausstellung mit dem Titel "Kumpane" ist am Sonntag eröffnet worden.

Auch die Silbertriennale, seit 1965 eine angesehene internationale Plattform für Silberobjekte und Besteck, wird die Gesellschaft unter Gutteks Leitung weiterhin ausrichten. Festhalten will der neue Leiter zudem an den beliebten Workshops für Kinder in der Schmuckwerkstatt im ausgebauten Souterrain. Erfahrene Goldschmiedinnen bringen dem Nachwuchs dabei die Schmuckkunst durch Selbermachen nahe.

Mit Geschichten begeistern

Die künftigen Ausstellungen will Guttek anders konzipieren. Sie sollen sich weniger an in der Szene bekannten Künstlern ausrichten. Diese werden zwar weiterhin eine Rolle spielen, der Schwerpunkt soll aber bei Ausstellungen liegen, die Themen aufgreifen. "Es sollen Geschichten erzählt werden, die die Menschen ansprechen und ihnen Lust auf einen Museumsbesuch machen", sagt Guttek.

Während im obersten Ausstellungssaal, dem Silbersaal, die Dauerausstellung lockt, sieht der Kunsthistoriker das Souterrain als einen Raum für eine wechselnde "Auseinandersetzung mit dem Schmuck als soziokulturellem Phänomen". Auf die Ausgestaltung darf man neugierig sein, Details will Guttek noch nicht nennen. Der Silbersaal im mittleren Stockwerk wird weiterhin den Sonderausstellungen gewidmet sein. Guttek kann sich vorstellen, ihn gelegentlich für zwei Ausstellungen mit inhaltlichen Bezügen zu teilen. Insgesamt aber soll es weniger Sonderausstellungen geben, dafür soll sich deren Dauer verlängern.

Das nötige Rüstzeug für seine Vorhaben erwarb sich Guttek im Studium der Kunstgeschichte und der Christlichen Archäologie in Bonn und Rom. Er arbeitet an seiner Promotion über Heinz Breloh. Nach einem wissenschaftlichen Volontariat am Kolumba-Kunstmuseum des Erzbistums Köln arbeitete Guttek zudem als freier Kurator für mehrere Ausstellungsprojekte. Unter anderem gestaltete er im vergangenen Jahr eine Ausstellung der Keramikerin Young-Jae Lee in Köln. Für seine Tätigkeit in Hanau verließ Guttek Köln.

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Jetzt wohnt er in der Hanauer Innenstadt. Von dort aus sind es wenige Gehminuten zum Wochenmarkt, den Guttek besonders mag. Die Brüder-Grimm-Festspiele findet er gut, bedauert aber, dass die Wahrnehmung der Tradition der Schmuckfertigung in Hanau durch die Fixierung auf die beiden berühmten Söhne in den Hintergrund geraten sei. Die aktuelle Neugestaltung der Homepage des Goldschmiedehauses könnte ein erster Schritt sein, Hanau als Stadt des edlen Schmuckes wieder mehr in den Fokus zu rücken.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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