Offenbacher Chancen 2025: Hohe Sozialkosten belasten Offenbach stärker als geplant. Aber Erfolge bei der Firmenansiedlung, neue Finanzierungsideen und Glück eröffnen auch große Chancen.

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Dass der Job kein leichter sein würde, das wusste Martin Wilhelm (SPD), als er im Juli 2021 das Amt des Kämmerers von Offenbach übernommen hat. Aber vor allem in schwierigen Zeiten wie den aktuellen zeigt sich aus Sicht des Wirtschaftsinformatikers besonders deutlich, dass Kommunen von Bund und Land nach wie vor nicht ausreichend bei der Bewältigung von Pflichtaufgaben unterstützt werden. Grundlegend wird sich daran für Offenbach wohl auch nichts ändern, obwohl die hessischen Kommunen 2025 zusammen gut 7,1 Milliarden Euro und damit 200 Millionen Euro mehr als noch 2024 aus dem Kommunalen Finanzausgleich erhalten.

Denn gerade die aus bundesgesetzlichen Regelungen erwachsenden Pflichtausgaben der Kommunen – vor allem im Sozialsektor – sind oft erheblich höher als die Zuschüsse, die der Bund zur Verfügung stellt, um diese Aufgaben zu bewältigen. Eine Unterfinanzierung der Kommunen ist programmiert.

So ergibt sich Wilhelm zufolge etwa für die junge Stadt Offenbach alleine, was die Ganztagsbetreuung von Kindern betrifft, ein Investitionsbedarf von mindestens 100 Millionen Euro, um die Vorgaben des Bundes zu erfüllen. Dieser stelle dafür aber lediglich fünf Millionen Euro in Aussicht. Die Stadt müsse dann ihren Anteil der Kosten über 30 Jahre hinweg abzahlen, sagt Wilhelm.

"Grüne Schuldscheine" für nötige Investitionen

Da er eher nicht damit rechnet, dass Bund und Land seiner Forderung nachkommen, künftig auch das zu finanzieren, was Kommunen per Gesetz als Pflicht auferlegt wird, will der Kämmerer im neuen Jahr auch neue Wege der kommunalen Finanzierung beschreiten. Als erste hessische Kommune will Offenbach in diesem Jahr "grüne Schuldscheine" ausgeben. Mit den Einnahmen aus diesem "Green Bond" sollen notwendige Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe gestemmt werden.

Dazu zählen etwa der Bau neuer und die Erweiterung vorhandener Schulen und Kindertagesstätten. An dieser Stelle lässt sich der strikte Sparkurs inklusive der Sperre von Beförderungen und der Wiederbesetzung von altersbedingt vakanten Stellen nicht durchhalten. Denn die Kinder, für die Schulen neu gebaut oder erweitert werden, sind längst geboren. Vorhaben kurzerhand zu streichen geht also nicht.

Das Volumen der ersten von zwei Tranchen des "grünen Schuldscheins" soll rund 100 Millionen Euro betragen und von 2025 an ausgegeben werden. Eine zweite Tranche könnte bis zu 180 Millionen umfassen. Beim Offenbacher Vorbild Köln war die Vermarktungsphase des als Schuldscheindarlehen konzipierten "grünen Bonds" offenbar überaus erfolgreich: Die Investoren zeigten ein derart großes Interesse, dass bei der Schließung des Orderbuches der Schuldschein dreifach überzeichnet war, wie die Stadt Köln berichtet.

50 Millionen Euro Defizit im Haushaltsplan

Auf eine ähnlich gute Resonanz hofft auch Offenbach. Als "grün" können Investitionen dann zertifiziert werden, wenn etwa Neubauten besonders energieeffizient sind. Wilhelm zufolge ist es mit "grünen Schuldscheinen" möglich, den Kreis von Investoren zu erweitern.

Es sind dann nicht mehr nur öffentliche Kreditinstitute wie Sparkassen angesprochen, sondern auch Versicherungen und Privatbanken, erläutert der Kämmerer.

Das neue Finanzierungsmodell ist Wilhelm zufolge nicht etwa notwendig, weil man in den vergangenen Jahren nicht sparsam gewirtschaftet habe. Man sei aber davon ausgegangen, dass die durch höhere Gewerbesteuereinnahmen in den vergangenen Jahren gebildeten Rücklagen von 120 Millionen Euro erst einmal ausreichten, um Defizite auszugleichen, die sich durch geringere Gewerbesteuereinnahmen im vergangenen Jahr und in folgenden Jahren abzeichneten, sagt Wilhelm.

Die Lage habe sich aber schneller und stärker als erwartet zugespitzt: Die Defizite der Mittelfristplanung seien von 20 Millionen auf rund 50 Millionen Euro im Jahr in die Höhe geschnellt.

Samson AG baut neuen Stammsitz in Offenbach

Die Entwicklung hat schließlich einen Nachtragshaushalt für 2024 erzwungen, nachdem das im ursprünglichen Etat eingeplante Defizit um 9,4 auf 47,6 Millionen Euro gestiegen war. Da die Rücklagen von 120 Millionen Euro 2027 aufgebraucht sein werden, spricht viel dafür, dass die Stadt sich – zumindest auf längere Sicht – gezwungen sehen könnte, eine der wenigen Handlungsoptionen auf der kommunalen Einnahmeseite zu nutzen: die Erhöhung der Grundsteuer. Ob dieser Fall eintritt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der grüne Schuldschein funktioniert oder nicht.

Immerhin startet die Stadt Offenbach nicht nur mit den gestiegenen finanziellen Lasten ins neue Jahr, sondern auch mit einem veritablen Polster positiver Entwicklungen und einer begründeten Aussicht auf eine dauerhafte Besserung. So geht etwa der Bau des neuen Stammsitzes und neuer Produktionsanlagen der bislang in Frankfurt ansässigen Samson AG auf dem Offenbacher Innovationscampus voran.

Wenngleich es noch Jahre dauern wird, bis die Ansiedlung des Ventile- und Steuerungsherstellers Samson in Offenbach mit rund 2000 Arbeitsplätzen die Stadtkasse mit Gewerbesteuer füllen kann. Das gilt auch für das Biotechnologieunternehmen Biospring, das ebenfalls nicht in Frankfurt, sondern auf dem Areal im Osten Offenbachs neue Fertigungsanlagen errichten wird.

Wirtschafts- und Industriestandorte fördern

In beiden Fällen erweist sich die wesentlich von Oberbürgermeister und Wirtschaftsdezernent Felix Schwenke (SPD) strikt verfolgte Strategie als richtig, den wichtigen Bau neuer Wohnungen keinesfalls auf Kosten der Möglichkeit zu betreiben, Unternehmen verschiedenster Größen attraktive Areale in Offenbach anbieten zu können. Diese Strategie beruht auf der Erkenntnis, dass sich das nach wie vor vom Niedergang alter Industrien gezeichnete Offenbach nur dann im Sinne der Bürger weiterentwickeln kann, wenn die Stadt mit der Gewerbesteuer neu angesiedelter Unternehmen wieder finanziell handlungsfähig wird.

Zu dieser Strategie gehört es auch, wichtige Unternehmen wie Danfoss in Offenbach zu halten. Nach 50 Jahren im Gewerbegebiet Bieber-Waldhof hatte der international tätige Wärme- und Kältetechnikspezialist aus Dänemark einen neuen Sitz für seine Deutschlandzentrale gesucht, die 400 Mitarbeiter zählt. Danfoss hat diesen neuen Standort schließlich mithilfe der Offenbacher Wirtschaftsförderung am Kaiserlei im neuen Bürokomplex LEIQ gefunden.

Dass nicht alle Neuansiedlungen Erfolgsgeschichten ohne Rückschläge erzählen, lässt sich am E-Bike-Hersteller Advanced ablesen. Im Mai 2023 war das 2011 gegründete Unternehmen mit Firmenzentrale und Showroom für seine mehrfach ausgezeichneten Räder in den neuen Gebäudekomplex Rockywood am Offenbacher Hafen eingezogen. Die teils aus Kunststoffgranulat hergestellten Fahrräder gelten als besonders innovativ und umweltgerecht.

Die Fahrradbauer mussten dennoch im Dezember einen Insolvenzantrag stellen, weil die Nachfrage stark nachgelassen hatte. Im Idealfall finden sich rasch neue Investoren, die an die Zukunft der zum großen Teil in Deutschland gefertigten Räder glauben.

"Station-Mitte" in der Offenbacher Innenstadt

Überraschend schnell haben sich für die Offenbacher Innenstadt neue Perspektiven ergeben. Bis Juli 2023 war die frühere Kaufhof-Filiale der dreimal in die Insolvenz gegangenen und schließlich veräußerten Warenhauskette noch in Betrieb, dann kam das Aus. Die zunächst schlechte Nachricht verschaffte der Stadt jedoch unverhofft schnell die Möglichkeit, den schon gefassten Entschluss zu realisieren, der zunehmend verödenden Innenstadt mit einem Lern-, Kultur- und Begegnungszentrum namens "Station-Mitte" neues Leben einzuhauchen.

Zu dem Kaufpreis von 12,5 Millionen Euro kommen die Umbaukosten hinzu, die im Frühjahr 2024 auf rund 22 Millionen Euro beziffert wurden. Da auch die Preise auf dem Bausektor zuletzt weiter gestiegen sind, spricht viel dafür, dass die grobe Schätzung von der finalen Rechnung übertroffen wird.

Ungeachtet dessen ist es aus Sicht der Stadtentwicklung eine große Chance, die Offenbach mit dem Erwerb des Gebäudes in zentraler Lage ergriffen hat. Wenngleich auch in diesem Fall der Sparzwang dazu geführt hat, dass der auf dem Dach geplante Veranstaltungssaal erst einmal nicht gebaut wird, um die Kosten zu drücken. Alle Wege und Versorgungsleitungen sollen aber so angelegt werden, dass dieser Teil des Projekts in finanziell entspannteren Zeiten nachgerüstet werden kann.

Neue Wohnflächen, auch für Studenten

Aus dem spektakulären Plan des Immobilienentwicklers Becken, das Betongerippe der alten Türme der Siemenstochter Kraftwerk Union (KWU) am Kaiserlei mithilfe von Holzmodulen in eine Studentenwohnstadt als Kern eines neuen Quartiers zu verwandeln, wird dagegen in dieser Form wohl nichts. Die Hamburger Projektentwickler haben ihre Option genutzt, vom Kauf zurückzutreten. Daher ist das Areal nach wie vor Teil des Portefeuilles der in Schieflage geratenen Adler Group aus Luxemburg.

Wenn am Kaiserlei gebaut wird, dann wird es dort zwar neben Wohnungen und Gewerbeflächen auch ein Studentenwohnheim geben. Die gleichermaßen interessierte wie finanzstarke Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG hat allerdings schon wissen lassen, dass die seit Jahren dahinsiechenden Betongerippe zwischen Offenbach und Frankfurt aus ihrer Sicht nicht mehr zu revitalisieren sind. Wenn der kommunale Wohnungskonzern zugreift, dann werden die KWU-Türme also mit ziemlicher Sicherheit niedergelegt.

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Ungeachtet dessen hat nicht nur Offenbach, sondern auch Frankfurt ein großes Interesse an einer positiven Entwicklung am Kaiserlei, weil Frankfurt dringend Wohnraum für die rasch wachsende Zahl an Studentinnen und Studenten schaffen muss in einem ohnehin stark überhitzten Wohnungsmarkt. Unter dem Strich auch hier – trotz aller Turbulenzen und Unsicherheiten – Chancen für Offenbach.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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