Streit um Auslandsreisen: Andreas Ewald, Ko-Vorsitzender der hessischen Grünen, hat zwei Auslandsreisen unternommen, bei denen es sich um illegale Parteispenden handeln könnte.
Im Streit darüber wurden die eigenen Leute, die Öffentlichkeit und eine Bundesbehörde in die Irre geführt. Ein Blick in die inneren Machtstrukturen der Partei.
Das persönliche Verhältnis der beiden hessischen Grünenpolitiker wird als zerrüttet beschrieben. Aber in einem Punkt sind sich Fraktionschef Mathias Wagner und der frühere Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir einig: Andreas Ewald, der Ko-Vorsitzende der Partei, ist ihr Mann: 35 Jahre, Studium, Arbeit für zwei Bundestagsabgeordnete, jetzt hauptamtlicher Parteichef.
Dass er bei seiner Wahl im Januar dieses Jahres drei Durchgänge benötigte und nur rund 55 Prozent der Stimmen bekam, störte seine Fürsprecher nicht. Denn im Unterschied zu der Landtagsabgeordneten Kathrin Anders, die sich bei der Wahl der beiden Vorsitzenden gegen ihre Konkurrentin auf Anhieb klar durchsetzen konnte, muss Ewald sich immer der Tatsache bewusst sein, dass seine mit einer monatlichen Vergütung von knapp 4700 Euro dotierte Position von der Unterstützung abhängt, die einflussreiche Strippenzieher wie Wagner und Al-Wazir ihm gewähren.
Die Parteiorganisation der Grünen spielt politisch keine Rolle. Aber Ewald ist existenziell auf sie angewiesen. Darum achtet er darauf, die Kreise der Altvorderen nicht zu stören. Für sie war es denn auch völlig in Ordnung, dass er sich schon kurz nach dem Amtsantritt zwei Auslandsreisen gönnte. In der zweiten Aprilwoche ließ der Parteichef sich von der israelischen Lobbyorganisation Elnet zu einem Programm einladen, das aus internationalen Tagungen und Begegnungen in Tel Aviv bestand.
Übernahme der Kosten durch den Veranstalter
Eine vergleichbare Tagesordnung erwartete ihn im Juli und im August in den Vereinigten Staaten auf einer mehrwöchigen Reise, die im Auftrag des amerikanischen Außenministeriums für "ausländische Führungskräfte" organisiert wurde. Die Kosten der beiden Programme lagen nach Schätzungen insgesamt bei knapp 30.000 Euro.
Durch die Annahme der Einladungen habe Ewald nicht nur gegen die Compliance-Richtlinie der Grünen, sondern auch gegen das Gesetz verstoßen, meinen manche Grüne. Sie betrachten die Übernahme der Kosten durch die Veranstalter der Reisen als illegale Parteispenden. Die Einschätzung ist alles andere als abwegig. Und sie ist brisant.
In der Regel werden den Teilnehmern solcher Programme Kostenaufstellungen zugesandt. Sie belegen, dass den Politikern Verbindlichkeiten entstanden sind, die ihnen abgenommen wurden. Ewald lässt die Frage der F.A.S. nach den Unterlagen unbeantwortet.
"Wer die Partei belügt, muss gehen"
Das deutsche Büro der Organisation Elnet bestätigt aber, dass man ihm wie auch den anderen Reiseteilnehmern eine solche Kostenaufstellung zugesandt habe. Abgeordnete geben sie ans Parlamentspräsidium weiter, damit sie gemäß dem Transparenzgebot veröffentlicht werden.
Ewald hingegen hat kein Mandat. Er kam als Parteichef in den Genuss der geldwerten Leistungen. Alles spricht dafür, dass es sich dabei um Spenden an die Grünen handelt. Das Parteiengesetz will aber ausländische Einflüsse und die Verschleierung von Geldflüssen verhindern. Darum verbietet es die Annahme solcher Zuwendungen, wenn sie, wie in diesem Fall, aus dem außereuropäischen Ausland kommen.
Einem besorgten Parteifreund ließ Ewald schriftlich mitteilen, dass nach Auskunft des Bundesvorstands und externer Wirtschaftsprüfer "alles in Ordnung" sei. Später musste er zugeben, dass es nur zu einem "Austausch" mit der Bundesgeschäftsstelle gekommen sei und man auf einen "kostenpflichtigen externen Prüfungsbericht verzichtet" habe. "Wer die Partei belügt, muss gehen", lautete eine an der Basis artikulierte Meinung. Sie war anscheinend nicht repräsentativ.
Falsche Darstellung der Schatzmeisterin
Immerhin ging die Ko-Vorsitzende Kathrin Anders in einem Schreiben an führende Parteifreunde auf Distanz zu Ewald. Und Julia Frank, die Chefin des bei Weitem größten Kreisverbandes Frankfurt, forderte die Bildung eines unabhängigen Gremiums zur Aufklärung des Sachverhalts – vergeblich.
Die innerparteiliche Debatte schien sich vollends zu beruhigen, als das für Parteispenden zuständige Referat der Bundestagsverwaltung Anfang November verkündete, dass Ewalds Auslandsreisen nicht zu beanstanden seien. Die Pressemitteilung enthielt allerdings den ausdrücklichen Hinweis, dass die rechtliche Bewertung nur "auf der Grundlage der Sachverhaltsdarstellung durch die Partei" beruhe.
Doch die Darstellung der Grünen sollte die Behörde in die Irre führen. Das belegt eine der F.A.Z. vorliegende E-Mail, mit der Nina Eisenhardt, die Schatzmeisterin des Landesverbands, Anfang November eine Nachfrage der Bundestagsverwaltung beantwortete. Darin stellte sie fest, dass sie Ewalds Auslandsreisen nicht genehmigt habe. Der Landesvorstand habe jedoch die von ihm "außerhalb seiner dienstlichen Pflichten" getätigten Reisen begrüßt.
Nach dieser Darstellung war Ewald also rein privat unterwegs. In den Genuss der teuren Reisen soll er nicht als Parteivorsitzender, sondern als einfacher Bürger gekommen sein. Wäre es wirklich so gewesen, hätten die Grünen mit der Sache nichts zu tun gehabt. Keine Zuwendung an die Partei, keine illegale Spende. Das war die Botschaft aus Wiesbaden. Die Behörde in Berlin fiel darauf herein.
"Über Interna keine Auskunft"
Die Charakterisierung der falschen Auskunft als "Täuschung der Bundestagsverwaltung" weist der geschäftsführende Landesvorstand zurück. Tatsächlich aber belegen unterschiedliche Dokumente, dass Ewald, anders als von den Grünen behauptet, keineswegs als Privatmann, sondern als Parteichef unterwegs war.
Schon Anfang Oktober hatte Landesgeschäftsführerin Bärbel Hartmann auf Nachfragen schriftlich mitgeteilt, dass Ewald die Auslandsreisen im Rahmen der ihm von der Geschäftsordnung auferlegten Aufgaben der "Außenvertretung" und Wahrnehmung von Terminen getätigt habe. Besonders anschaulich ist die Mappe, in der die Teilnehmer der "UK and German State Parlamentarian Delegation to Israel" vorgestellt wurden.
Darin ist Ewald mit Bild als "Chairman of Alliance 90/The Greens in the State of Hesse" aufgeführt. Das Beweisstück, das den Inhalt der E-Mail vom 1. November so eindeutig widerlegt, ist für die Mitglieder der Partei keine Überraschung. Im hessischen Landesverband gab es nie auch nur den geringsten Zweifel daran, dass Ewald in seiner Eigenschaft als Vorsitzender nach Israel und in die Vereinigten Staaten gereist war.
Weil dies zu Hause jeder wusste, sollte die falsche, nur für die Berliner Amtsstuben gedachte Auskunft geheim bleiben. "Wir bitten um Verständnis, dass wir über Interna keine Auskunft geben können", teilten die hessischen Grünen mit, als sie gefragt wurden, was sie der Bundestagsverwaltung denn erklärt hätten. Die Bundesgeschäftsstelle der Partei hüllte sich ebenfalls in Schweigen. Auch die gerade erst gewählte Schatzmeisterin Manuela Rottmann hält sich bedeckt. Die promovierte Juristin wird ihre Gründe haben.
Bundestagsverwaltung ohne durchgreifende Kontrollbefugnisse
Ebenso wenig dachte das zuständige Referat der Bundestagsverwaltung daran, der mehrfach geäußerten Bitte um die Freigabe des Schriftwechsels mit den Grünen nachzukommen. Ohne deren Zustimmung gebe man die erbetenen Dokumente nicht frei, hieß es. Für ihre sorgsame Pflege der Intransparenz hat die Behörde den Segen des Bundesverfassungsgerichts. Es entschied im November 2022, dass die Öffentlichkeit kein Anrecht auf Unterlagen der Bundestagsverwaltung zur Parteienfinanzierung habe.
Diese Behörde war also für das Täuschungsmanöver der Grünen wie geschaffen. Anders als eine Ermittlungsbehörde verfügt sie nicht über durchgreifende Kontrollbefugnisse. Auskünfte von Parteien kann sie nur oberflächlich auf ihre Plausibilität hin überprüfen. Erst wenn es einen Anlass zu "Nachfragen" gebe, würden sie gestellt, heißt es im Pressereferat des Bundestags. Und auch dann verlässt man sich vollständig auf die Auskunft der Partei. Für sie scheint das Risiko, beim Lügen erwischt zu werden, gering zu sein.
So gab es in diesem Fall jedenfalls in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit zunächst eine Art letztinstanzlichen Freispruch, versehen mit der Autorität einer Bundesbehörde. Doch die Reinwaschung der Grünen endete schon nach wenigen Tagen in einem Fiasko. Es gab eine undichte Stelle. Die Echtheit der Mail mit der offensichtlichen Falschauskunft wird von keiner Seite bestritten. Damit stehen die Grünen unabhängig von der Frage, wie Ewalds Auslandsreisen am Ende rechtlich einzustufen sind, vor einem Scherbenhaufen. Nicht nur die eigenen Leute, sondern auch die Öffentlichkeit und eine Bundesbehörde wurden in die Irre geführt.
Dies allein Ewald anzulasten würde der Konstellation nicht gerecht. Dass seine innerparteilichen Gegner ihn als Marionette der Altvorderen betrachten, könnte ihn jetzt etwas entlasten. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die falsche Deklarierung der Reisen als Privatsache eine Idee der Schatzmeisterin gewesen sein könnte.
Al-Wazir bagatellisiert die ganze Sache
Als anlässlich der öffentlichen Berichterstattung im Oktober eine Schaltkonferenz von Grünen aus Wiesbaden und Berlin stattfand, machte Omid Nouripour, damals noch Bundesvorsitzender der Partei, den Vorschlag, in den Entwurf einer Pressemitteilung noch die Ankündigung aufzunehmen, dass man die Vorwürfe aufklären und Transparenz herstellen werde. Wagner schleuderte ihm ein "Das machen wir nicht!" entgegen. Mit dem Zitat konfrontiert, bestritt der Fraktionschef keine Silbe. Grundsätzlich sei er aber natürlich für Aufklärung in der Sache.
Wagner führt die Fraktion mit harter Hand. Die Entschiedenheit, mit der er Nouripours Plädoyer für Transparenz widersprach, sagt nicht nur etwas über sein Politikverständnis aus. Sie deutet auch darauf hin, dass Wagner in dem Krisenmanagement des Parteivorstands eine dominante Rolle einnimmt.
Al-Wazir steht ihm zur Seite und bagatellisiert die ganze Sache. Dabei hätten die beiden es in der Hand, Ewald zum Rücktritt zu bewegen. Aber käme ihr Schützling zu Fall, würde dies für Wagner und Al-Wazir selbst einen Autoritäts- und Kontrollverlust bedeuten, dessen Folgen auch für sie nicht absehbar wären.
Es geht aber nicht nur um den Parteivorsitz. Wenn die hessischen Grünen Al-Wazir bei ihrem Parteitag Mitte Dezember mit einem so hohen Listenplatz für die Bundestagswahl ausstatten, dass er nach Berlin wechseln kann, folgt ihm als Nachrücker in den Landtag: Andreas Ewald. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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