Streit um Verkehrspolitik: Der Frankfurter FDP-Parteivorsitzende Thorsten Lieb über Abstimmungsfehler in Ausschüssen des Stadtparlaments, die Arbeit im Viererbündnis und die Reisegeschwindigkeit von Postkutschen.
Herr Lieb, in zehn Wochen ist Bundestagswahl, und alle reden nach dem Ende der Koalition in Berlin über die FDP. Das ist doch wunderbar.
Finde ich auch. Ich spreche gerade jetzt sehr gerne mit Menschen über die großen Herausforderungen für Deutschland und die richtigen Antworten darauf und erfahre viel Zuspruch. Diskussionen über bestimmte Begriffe interessieren die Bürger dabei wenig.
Um auf Frankfurt zu kommen: Zieht die FDP über die Bockenheimer Landstraße in die offene Feldschlacht? Die Partei hat die Vorlage für den Umbau der Straße zugunsten breiterer Radwege in letzter Minute gestoppt.
Ich bin kein Freund martialischer Formulierungen. Wir wussten in der Frankfurter Koalition alle von Tag eins an, dass uns die Verkehrspolitik vor die größten Herausforderungen stellt, so wie jetzt mit dem Masterplan Mobilität und der Bockenheimer Landstraße. Bei Letzterer ist es zu Abstimmungsfehlern gekommen, bei denen sich alle in der Koalition, natürlich auch wir, an die eigene Nase fassen müssen. Mit der Verschiebung der Vorlage auf die nächste Sitzungsrunde ist eine Zwischenlösung gefunden worden. Jetzt müssen wir uns miteinander an den Tisch setzen und überlegen, wie man das lösen kann.
Woher kam der kurzfristige Sinneswandel der FDP bei der Bockenheimer Landstraße?
Da gibt es überhaupt keinen Sinneswandel. Der schon vorher in Partei und Fraktion bestehende Beratungsbedarf ist durch technische Abstimmungsprobleme zu einem sehr späten Zeitpunkt zur Sprache gekommen. Es geht konkret um die Frage, ob die Planung noch mit der aktuellen Situation übereinstimmt, weil etwa der Kettenhofweg zur echten Fahrradstraße geworden ist, und es Änderungsbedarf gibt. Wollte man das zum Anlass nehmen, eine Koalition zu beenden, dann würden viele Menschen in der Stadt zu Recht fragen: Meint ihr das ernst?
Die Vorlage ist im Magistrat und im Ausschuss von den FDP-Vertretern mitbeschlossen worden. Daraufhin hat der Fraktionsvorsitzende Yanki Pürsün gesagt, da sei etwas schiefgelaufen, und der verkehrspolitische Sprecher hat diese Funktion verloren. Aber haben sich die FDP-Vertreter in den Gremien nicht einfach an den Koalitionsvertrag gehalten? Dort ist die Bockenheimer Landstraße über den Beschluss zur Fahrradstadt enthalten, einschließlich der Reduzierung um eine Fahrspur.
Die inhaltlichen Bedenken kommen nicht primär von mir oder aus dem geschäftsführenden Kreisvorstand, sondern sind vorher lange unter den Verkehrspolitikern, zu denen natürlich auch der jetzt ehemalige verkehrspolitische Sprecher gehört, immer wieder diskutiert worden. Jetzt sind im technischen Abstimmungsprozess Dinge übersehen worden.
Die Fraktion ist aus der Partei heraus in vollem Lauf gestoppt worden.
Die Hinweise darauf, dass sich Fragen ergeben, kamen von der Ortsbeiratsebene. Unsere Vertreter dort müssen an Ort und Stelle die Kommunikation mit den Bürgern übernehmen. Hier geht es um ein Kernthema der Frankfurter Verkehrspolitik insgesamt: Ja, es gibt die Beschlüsse zum Radentscheid aus dem Jahr 2019. Das ist fünf Jahre her, und die Menschen in der Stadt haben sie nicht mehr präsent. Die große Herausforderung der Kommunalpolitik ist, die Menschen bei fundamentalen Veränderungen wie im Verkehr mitzunehmen. Ich wünsche mir, dass die großen Richtungsentscheidungen von breiten Mehrheiten getragen werden. Sonst wird die Verkehrspolitik alle fünf Jahre von rechts auf links gedreht, das kann niemand wollen.
Das würden die Grünen vermutlich unterschreiben, die den Beschluss zur Fahrradstadt vor fünf Jahren mit der SPD, aber auch der CDU und der "Fraktion" gefasst haben. Welche Verkehrspolitik will die FDP?
Das haben wir schon 2019 klargemacht. Anders als uns manchmal unterstellt wird, haben wir nichts gegen Fahrradverkehr oder denken, man müsse mit dem Auto überall mit Tempo 50 hinkommen. Das erwartet niemand in einer Großstadt. Wir wollen Verkehrsbedürfnisse miteinander versöhnen und einen Weg finden, der alle mitnimmt. Das heißt: keine Politik nur für Autofahrer, aber auch keine, die vor allem den Autoverkehr einschränken will. Das steht aber in der Vorlage zum Masterplan an prominenter Stelle. Dort wird Verkehrseffizienz der Nachhaltigkeit gegenübergestellt, die dem Menschen diene. Aber auch effiziente Verkehrsströme dienen den Menschen, weil sie keine Lebenszeit verschwenden. Deswegen verhandeln wir über den Masterplan.
Wie läuft die Zusammenarbeit abseits der Verkehrspolitik? Es soll auch bei anderen Punkten haken.
Wir haben eine Vierparteienkoalition, das ist nicht eingeübtes politisches Tagesgeschäft. Vieles ist uns geräuschlos gelungen, etwa die Sicherheitssituation im Bahnhofsviertel zu verbessern und uns auf mehr Stellen für das Ausländeramt zu einigen. Die Geldwäschebehörde AMLA ist gekommen, die Flüchtlinge werden ganz gut untergebracht. Die Koalitionsrunden finden in ruhiger, professioneller Atmosphäre statt.
Auch wenn die FDP derzeit die Geduld der Koalitionspartner auf die Probe stellt?
Geduld gehört zur Politik. Ich wünsche mir zum Beispiel, dass wir längst eine finale Entscheidung zu Standort und Weiterentwicklung der Europäischen Schule hätten. Da gibt es Bedenken und Fragen in anderen Teilen der Koalition. In der Schulentwicklung könnte mehr passieren, ebenso bei der Flächenentwicklung. Die Stadtentwicklung Richtung Nordwesten ist eine der besten Möglichkeiten, um Wohnflächen zu gewinnen. Im Umfeld des Industrieparks Höchst wiederum wären grundsätzlich Gewerbeflächen denkbar. Da würden wir die Dinge schneller vorantreiben, aber wir nehmen auch die Bedenken von Koalitionspartnern ernst. Entscheidend ist für mich die konstruktive Atmosphäre.
Den Bau einer Multifunktionsarena am Waldstadion, die Oberbürgermeister Mike Josef forciert, befürwortet die FDP?
Wir haben früh gesagt, dass wir eine entsprechende Halle brauchen. Am Stadion haben wir eine Fläche mit Baurecht, und es gibt die Möglichkeit eines Sportclusters. Unser Ziel war immer, dafür möglichst kein öffentliches Geld einzusetzen. Private Investoren wären für uns nach wie vor die Ideallösung.
Wird der Mainkai noch vor der Kommunalwahl dauerhaft für den Verkehr gesperrt?
Da gibt es eine glasklare Verabredung im Koalitionsvertrag. Das wäre ein Thema im Rahmen eines Gesamtverkehrskonzepts. Der Masterplan Mobilität ist im Moment inhaltlich nicht das, was wir uns darunter vorstellen. Ich möchte nicht, dass wir eine Stadt haben, die tempomäßig ins Postkutschenzeitalter zurückkehrt.
Sie waren einer der Architekten der Frankfurter Koalition. Haben Sie das gelegentlich bereut?
Sie stehen für die Bundestagswahl am 23. Februar auf einem aussichtsreichen Listenplatz, sofern die FDP mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommt. Wie zuversichtlich sind Sie, auch dem nächsten Bundestag anzugehören?
Ich bin sehr zuversichtlich, weil unsere Themen auf großen Widerhall stoßen. Wenn die Weihnachtszeit vorbei ist und wir im neuen Jahr mit dem Wahlkampf durchstarten, werden wir mit einem für viele überraschend positiven Ergebnis die Bundestagswahl bestehen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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