Deutsche Bibliothek: Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Spaltung Deutschlands wurde in Frankfurt die Deutsche Bibliothek eröffnet.

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In diesem Artikel von 1952 beschreibt Paulheinz Middeldorf die Anfänge der heutigen Nationalbibliothek im Rothschildpalais am Untermainkai.

Irgendein Polizeicommissair kam vor dreihundert Jahren als erster auf den Gedanken, alle Druckschriften, die erschienen, an einer Stelle zusammenzufassen, um so die gesamten Neuveröffentlichungen überwachen zu können. Dieses Archiv, zu Spitzeldiensten eingerichtet, fand bald mehr in der Wissenschaft und den Buchhändlern eifrige Benutzer als in der Polizei. Jedes gedruckte Wort konnte auf Jahrzehnte hinaus zurückverfolgt und nachgeschlagen, jede Neuerscheinung registriert und publik gemacht werden. Der Schnüffler wurde vom Wißbegierigen verdrängt.

Die gewaltige Flut von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, die im Laufe der Zeit erschien, wurde in Leipzig gesammelt. In den Kriegsjahren schwoll der Berg der Bücher noch einmal an, dann kam mit den Russen, mit der Zensur, mit den Verboten die große Ebbe. Eine vollständige Sammlung war nicht mehr möglich, darum wurde in Frankfurt 1945 die "Deutsche Bibliothek" gegründet, die die Tradition von Leipzig fortsetzen sollte. Der Initiator war der Börsenverein deutscher Verleger- und Buchhändlerverbände, der neben der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen auch für die Finanzierung sorgte.

Vor wenigen Tagen wurde die "Deutsche Bibliothek" zu einer öffentlichen Stiftung umgewandelt. Das bedeutet, daß das Mammutarchiv selbständig wird und nicht mehr unterstützt werden kann, sondern unterstützt werden muß. Auch der Bund wird Geldmittel zur Verfügung stellen und durch seine Beteiligung den Wert der Bibliothek für ganz Deutschland bekräftigen. Das erste handgreifliche Ergebnis des neuen Status wird der Bau eines neuen Hauses auf dem Grundstück des ehemaligen Gauleiters Sprenger an der Zeppelinallee darstellen. Damit wird auch endlich der "Deutschen Bibliothek" der Raum gegeben, den sie so notwendig braucht.

Jedes Druckerzeugnis wird gesammelt

Mit ein paar leeren Zimmern und ein paar Mitarbeitern hat Professor Eppelsheimer vor sieben Jahren begonnen, das Riesenarchiv auszubauen. Die Regale haben sich in der Zwischenzeit gefüllt, sie liefen über von der Flut der Bücher, Broschüren und Zeitschriften, und heute türmen sich im Keller der Bibliothek 105.000 Bücher, 7700 Zeitschriften und eine Reihe von Zeitungen in Mikrophotographien, die seit 1945 erschienen sind.

Der Wert dieser Sammlung besteht darin, über das gesamte Schrifttum in deutscher Sprache einen Überblick zu geben. Jeder Verleger schickt von allen seinen Publikationen ein Exemplar nach Frankfurt, wo es eingeordnet und an jeden Buchhändler weitergemeldet wird, der so einen genauen Eindruck und alle Kenntnis über Neuerscheinungen erhält. Jedes obskure Magazin, jeder Kitschroman, aber auch jede wissenschaftliche Abhandlung wird in den Regalen der Bibliothek gesammelt. Hier wird keinerlei Wertung vorgenommen, kein Unterschied gemacht, jedes Druckerzeugnis ist gleich wertvolles Archivmaterial.

Das reine Sammeln ist jedoch nicht der letzte Zweck dieser Einrichtung; das Wichtige ist die bibliographische Bearbeitung. Jährlich werden an die zwanzigtausend Titel registriert. Jede Woche erscheint ein Heft, in dem vier- bis siebenhundert Bücher verzeichnet sind; alle sechs Monate wird eine Halbjahresbilanz gemacht, in der mit Schlagwort-, Stichwort- und Sachregister alle Bücher, die in diesem Zeitabschnitt herausgebracht worden sind, verzeichnet werden.

Auskünfte geben den ganzen Tag

Seit kurzem liegt auch eine Mehrjahresschrift vor, die über sechstausend Seiten umfaßt, in der alle Veröffentlichungen von 1945 bis 1950 registriert sind. Die bibliographische Arbeit, die darin steckt, dürfte dem Nichtfachmann kaum faßbar sein. Außerdem erscheint noch in kurzen Zeitabständen eine Broschüre unter dem Namen "Das Deutsche Buch", in der eine Reihe ausgewählter Titel mit kurzer Erläuterung veröffentlicht wird. Die Broschüre geht in siebentausend Exemplaren in alle Welt, um für das deutsche Buch zu werben.

Eine Reihe von Angestellten der Bibliothek ist den ganzen Tag über damit beschäftigt, nach überall hin Auskünfte zu erteilen. In jedem Monat gehen an die fünf- bis sechstausend Briefe ein, in denen Buchhändler, Wissenschaftler, Studenten und Privatleute nach Buchtiteln, Autoren oder Verlagen fragen. Kaum einer dieser Wißbegierigen ist bisher vertröstet worden, denn in zahlreichen Katalogen, Karteien und Listen ist alles das festgehalten, was irgend interessieren kann und von Wichtigkeit ist. Jeder kann sich in der Bibliothek das herausgeben lassen, was er irgend möchte; allerdings darf er es nicht mit nach Hause nehmen, denn jedes Buch muß jederzeit greifbar sein in diesem Dorado der Bücherfreunde.

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Die Deutsche Bibliothek, seit 2006 Nationalbibliothek, sammelt alle auf Deutsch erschienenen Medien. 1912 in Leipzig gegründet, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein zweiter Standort in Frankfurt aufgebaut. Im Jahr 1997 bezog die Bibliothek ihren Neubau an der Adickesallee. Die Zahl der archivierten Medien bemisst sich heute nicht mehr in Hunderttausenden, sondern in zig Millionen.

Dieser Artikel erschien am 27.9.1952  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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