Hessengeld: Mit dem sogenannten Hessengeld ist die CDU in den allgemeinen Wortschatz eingedrungen. Dabei ist der Begriff eine Anmaßung.

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In weniger als einem Jahr hat die hessische CDU eine Marke kreiert: das "Hessengeld". Als die Partei im Landtagswahlkampf ein Programm versprach, das jungen Familien finanziell helfen soll, sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen, brachten die politische Konkurrenz und die meisten Medien ihre Kritik oder professionelle Distanz in ihrer Terminologie zum Ausdruck.

Sie sprachen vom "sogenannten" Hessengeld oder setzten die Bezeichnung in Anführungszeichen. Das verstand sich von selbst. Denn das Geld gab es ja zunächst nur in den Köpfen von Parteistrategen und nicht in der Realität. Ganz besonders angebracht war die Zurückhaltung im Umgang mit dem Begriff, aber auch angesichts des Anspruchs, der sich damit verband.

Die Union, die das Projekt nach der Landtagswahl zu einem Vorhaben der Regierung machte, schreckt nicht vor einer gewissen Anmaßung zurück, indem sie das ganze Land für das politische Programm einer Koalition in Anspruch nimmt. Das ist in der Geschichte des Landes nicht einzigartig. Aber man muss schon ein paar Jahrzehnte zurückgehen, um zu sehen, wie groß das Projekt ist, an dessen Titulierung die CDU und die Landesregierung sich jetzt ein Beispiel nehmen.

"Das Hessengeld kommt – jetzt sofort"

"Hessenplan" nannte der langjährige Ministerpräsident Georg-August Zinn (SPD) ein nach 1951 schrittweise aufgestelltes umfassendes Programm für die Entwicklung der Sektoren Wohnen, Soziales, Kultur, Bildung, Wirtschaft und Verkehr im Land. Die forsche Vorgehensweise, seine persönlichen Vorstellungen als "Hessenplan" gleichsam mit dem Schicksal des Landes in eins zu setzen, wäre in den Fünfzigerjahren als genialer PR-Coup bezeichnet worden, wenn man damals schon Neudeutsch gesprochen hätte.

Das "Hessengeld" betrifft nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit, die Zinn mit großem Erfolg als Vision präsentierte, um damit in die Geschichte des Landes einzugehen. Aber auch die Erfinder dieses Programms haben mit ihrer Anleihe an Zinn offensichtlich Erfolg. Der Begriff wird inzwischen fast ausnahmslos ohne besondere Kennzeichnung als Bestandteil des allgemeinen Wortschatzes verwandt. Sogar die Grünen verzichten inzwischen auf Anführungszeichen, wenn sie das Programm scharf kritisieren.

Das geschieht regelmäßig, weil die Landesregierung die neue Marke in ihrem Portfolio Produkt sehr häufig bewirbt. "Das Hessengeld kommt – jetzt sofort", verkündete Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei. Veranschaulicht wurde der Start mit einem Knopfdruck.

Modell mit Vorbildcharakter

Finanzminister Alexander Lorz (CDU) wies darauf hin, dass die schwarz-rote Koalition ihr zu Anfang des Jahres gegebenes Versprechen auch in zeitlicher Hinsicht einhalten könnte. Seine Ankündigung, dass das erste Geld Mitte November ausgezahlt werde, nehmen Oppositionspolitiker und Journalisten ernst. Denn auch diesen Vorgang dürfte die Staatskanzlei zum Anlass für eine weitere Pressekonferenz nehmen.

Einen Vorgeschmack auf die Überreichung des Schecks bot am Donnerstag der Auftritt einer jungen vierköpfige Familie, die die Förderung in Anspruch nehmen will und den Journalisten nach der Pressekonferenz für Interviews zur Verfügung stand. "Damit man auch sieht: Das gibt es wirklich", sagte Rhein.

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Stolz berichtete er, dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ihm gesagt habe, eine solche Lösung ebenfalls anzustreben. Auch Nordrhein-Westfalen wolle sich das hessische Modell zum Vorbild nehmen. Wenn es dazu kommt, stellt sich nur noch die Frage, wie die Staatskanzleien in Dresden und Düsseldorf sprachlich damit umgehen. Nordrhein-Westfalen-Geld? Sachsengeld?  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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