Ausstellung in Bad Nauheim: Das Jugendstilforum Bad Nauheim präsentiert eine Gesamtschau zur sogenannten Belle Époque.
Dabei geht es nicht nur um die Entwicklung des Jugendstils, auch Beispiele technischer Errungenschaften sind zu sehen.
Von den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs florierte der Jugendstil fast überall in Europa. Eine Art Universalstil, der sich in bildendender wie angewandter Kunst manifestierte. Von architektonischen Entwürfen, Ausstattungen in und an öffentlichen Gebäuden, Wohnungseinrichtungen und Gebrauchsgegenständen bis zu Buchillustrationen – die Freude an Dekorativem und Repräsentativem tat sich mannigfaltig hervor und spiegelte zugleich das verbreitete Lebensgefühl jener Zeit wider, einer Zeit des Aufbruchs und Fortschritts, und entsprach dem Bedürfnis, all die Errungenschaften in Industrie, Wissenschaft und Kunst herauszustellen.
So standen die Jahre um die Jahrhundertwende auch im Zeichen großartiger Schauen, wie der Weltausstellung in Paris. Das Bad Nauheimer Jugendstilforum greift all das auf und schickt die Besucher einer neuen Ausstellung in authentischem Ambiente des Sprudelhofs auf eine Zeitreise durch die Lebenswelt der Belle Époque, wie sie genannt wurde, die, das bleibt in der Ausstellung nicht unerwähnt, auch ihre Schattenseiten hatte, wie gesellschaftliche Spannungen, Militarismus und Imperialismus.
Mit viel Kontextuellem und viel Schönem
Die Präsentation ist Teil einer Gesamtschau über den Jugendstil, ein längerfristig angelegtes Projekt einer Zusammenarbeit des Bad Nauheimer Jugendstilvereins mit dem Sammler Manfred Geisler. Geisler hat in Jahrzehnten eine Sammlung zum Jugendstil aufgebaut, wie sie in Umfang und Vielfalt in privater Hand ihresgleichen sucht und mittlerweile mehr als 2000 Objekte umfasst. Befassten sich die vorangegangenen Ausstellungen mit der Entwicklung des Jugendstils in seinen einzelnen Facetten in mehreren Zeitabschnitten, mit unterschiedlichen Werkstoffen, wie sie sich in Deutschland und anderen Ländern herausgebildet hatten, geht es nun um einen Blick sozusagen auf die ganze Welt des Jugendstils. Was auch im Zusammenhang mit einer Gästebefragung steht, wie Stefanie Knitterscheidt vom Vorstand des Jugendstilvereins und zuständig für Kunstvermittlung, sagt. So hätten viele Besucher den Wunsch nach einer Art Überblick zur Entwicklung des Jugendstils und seiner Formen im Kontext dieser Epoche geäußert.
Herausgekommen ist eine umfangreiche Präsentation, die anhand vieler Einzelstücke und Kollektionen aus Glas, Metall und Keramik sowie Grafiken natürlich besonders den Sinn für Schönes während der Belle Époque vor Augen führt. Zudem öffnet die Ausstellung den Blick für den Kontext: Eine Vielzahl von Informationstafeln ordnet das künstlerische und kunsthandwerkliche Schaffen ein in politische und gesellschaftliche Umbrüche, in technische Umwälzungen einer schnelllebigen Zeit. Dazu gibt es nicht nur reichlich Lesestoff, es gibt auch etliches anzuschauen – Filmsequenzen, historische Radioempfänger, alte Schreibmaschinen, Fotoapparate, auch ein Grammophon. Sogar ein frühes Motorrad, ein restauriertes Exemplar der Marke Harley Davidson, hat in der Ausstellung Platz gefunden. Die Exponate stammen zum Großteil, neu zusammengestellt, aus der Sammlung Manfred Geislers sowie aus der Sammlung von Roswitha Reim. Roswitha Reim hatte in mehr als fünf Jahrzehnten eine bemerkenswerte Kollektion von Jugendstilglas-Preziosen aufgebaut und diese nach ihrem Tod der Stadt Bad Nauheim vermacht, mit der Auflage, sie dem Jugendstilforum für Ausstellungen zur Verfügung zu stellen. Hinzugekommen sind Stücke von privaten Leihgaben, besonders an technischen Geräten, sowie Anschaffungen des Vereins aus jüngster Zeit.
Der Rundgang in Badehaus 3, einem besonders edel gestalteten herrschaftlichem Badehaus aus dem frühen 20. Jahrhundert, erläutert, wie und warum sich dieser Stil in Kunst und Kultur herausbilden konnte, etwa die "Arts and Crafts"-Bewegung in England, die Einfluss über Österreich auch auf deutsche Regionen gewann, und schließlich auch auf den kunstsinnigen Großherzog Ernst Ludwig. So widmet sich die Ausstellung auch der von ihm veranlassten Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt und dem Darmstädter Stil, dessen Protagonisten mit ihren Gestaltungsideen nicht zuletzt Betriebe bei der Herstellung neuer Waren für Alltag und Festtag sowie gediegener Wohnungseinrichtung inspirierten.
Hauptrichtungen des Jugendstils widergespiegelt
Hervor tritt die Darmstädter Jugendstilvariante nicht zuletzt in den Bad Nauheimer Kuranlagen, deren Bau von Großherzog Ernst Ludwig initiiert worden war. So ist Bad Nauheim mit den Namen von Künstlern der Darmstädter Kolonie verbunden, wie Friedrich Wilhelm Kleukens, Jakob Julius Scharnagel und Heinrich Jobst. Kleukens etwa schuf die Innendekoration in Badehaus 2 mit Vogelfenstern und Elfenbildern, Scharnagel als Leiter der Großherzoglich Keramischen Manufaktur unter anderem die Ausschmückung der Trinkkuranlage. Besonders viele Akzente setzte Bildhauer und Medailleur Jobst mit der künstlerischen Gestaltung der Fassungen vom Becken des Großen Sprudels und der Löwenskulptur im Herzen des Sprudelhofs.
Der Sprudelhof bildet nicht nur eines der größten in sich geschlossenen architektonischen Ensembles des Jugendstils, die Bauten der Kuranlagen insgesamt spiegeln zudem in ihrer Ausstattung die Hauptrichtungen des Jugendstils wider: Dabei handelt es sich zum einen um den bis heute besonders geschätzten naturalistischen Stil, der sich durch häufig schillernde, verspielte Motive aus der Tier- und Pflanzenwelt und die Darstellung weiblicher Wesen auszeichnet. Beispiele dafür zeigen Exponate in der Ausstellung.
Es folgt der lineare Stil mit geschwungenen, fließenden Linien als Charakteristikum, der sich für die Gestaltung unterschiedlicher Materialien besonders eignete, wie andere Beispiele in der Ausstellung zeigen. Mit Betonung auf klare Formgebung präsentiert sich zum anderen der geometrische Stil, der von österreichischen und deutschen Jugendstilkünstlern für Dekor besonders von Metallwaren, Keramik und Fliesen ins Entwurfsrepertoire eingebracht wurde. Die geometrische Variante ebnete mit vergleichsweise sachlichem Design einen Faden, an dem Kunst und Kunsthandwerk in den Zwanziger- und Dreißigerjahren anknüpften.
Die Ausstellung "Schaufenster zur Welt" im Badehaus 3 des Sprudelhofs ist bis zum 27. Juli von 13.30 bis 17.30 Uhr zu sehen. Montags sowie am ersten Wochenende eines Monats ist von Freitag bis Sonntag geschlossen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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