Service im Sterne-Restaurant: Boris Häbel ist Maître im Frankfurter Zwei-Sterne-Restaurant "Lafleur".
Im Interview spricht er über Arbeitszeiten in der Gastronomie, Menschenkenntnis und Trinkgeld als Zeichen der Anerkennung.
Herr Häbel, finden Sie es despektierlich, wenn man Sie Kellner nennt?
Eigentlich nicht. Natürlich bin ich immer noch ein Kellner, aber tatsächlich werde ich inzwischen meistens als Maître, Restaurantleiter oder Restaurantmanager bezeichnet – vor allem aber sehe ich mich als Gastgeber.
Und warum sind Sie in die Gastronomie gegangen? Um Gastgeber zu werden?
Ja. Ich komme aus einem kleinen Dorf an der Schweizer Grenze, und als ich 1991 das Abi gemacht habe, sind meine Eltern mit mir ein paar Kilometer weiter in eine Dorfkneipe gegangen, in der der Küchenchef fünf Extratische hatte und für die Gäste dort richtig gut gekocht und dafür sogar einen Stern bekommen hat. Da hat mich der Ober, der sich unglaublich souverän um diese fünf Tische gekümmert hat, nachhaltig beeindruckt. Und weil auch bei uns zu Hause immer gut gekocht wurde und ich schon als Kind gerne den Gastgeber gegeben habe, erschien mir die Gastronomie sehr attraktiv, zumal mein eigentlicher Berufswunsch, sprich Architektur, mangels Jobaussichten keine Perspektive bot.
Und dann haben Sie eine Ausbildung im Hotel Bareiss begonnen – gleich in einem absoluten Spitzenhaus mit einem berühmten Drei-Sterne-Restaurant.
Damals waren es noch zwei Sterne. Aber ja, das war ein guter Einstieg. Ich habe schnell gemerkt, dass dieser Job für mich ein spannender und ausfüllender Beruf ist. Nach den drei Jahren Ausbildung habe ich dann ein Praktikum in einem Hotel in der Schweiz gemacht, als Mädchen für alles, also Putzen, Rezeption, Rasenmähen, Küche, einfach alles. Und spätestens da habe ich gedacht: Okay, das ist eigentlich ziemlich cool. Und auch die Arbeitszeiten haben mir gepasst: nur abends arbeiten und nie morgens früh aufstehen müssen . . .
Für viele andere ist das ein Grund, nicht in die Gastronomie zu gehen.
Für mich hat das damals schon gepasst.
Was gehört noch dazu? Was macht einen guten Gastgeber aus?
Das Gefühl für einen Gast. Dass er sich auf unterschiedliche Menschen einlassen kann und Lust hat, sie zu verwöhnen. So eine Einstellung ist von Vorteil, wenn man diesen Job gerne, lange und gut machen will.
Braucht man eine gute Menschenkenntnis – oder bekommt man die im Laufe der Zeit?
Ich glaube, beides: Man braucht sie von vornherein, aber man sammelt sie natürlich auch automatisch, je länger man diesen Job macht. Im Normalfall lerne ich hier im "Lafleur" jeden Tag 40 Menschen neu kennen. Einige kommen natürlich immer mal wieder, die lernt man dann mitunter auch ein bisschen besser kennen, aber es sind schon viele neue Begegnungen jeden Tag.
Köchen wird oft eine eigene Handschrift zugeschrieben. Gibt es das bei Gastgebern wie Ihnen auch?
Das glaube ich schon. Allein schon, weil jeder anders mit Menschen umgeht und unterschiedlich auf Situationen reagiert.
Und wie würden Sie Ihre Art, Ihre Handschrift beschreiben?
Hm, also ich würde sagen, ich mache alles mit einem gewissen Charme, mit einem gewissen Witz, nicht so steif, einfach ein bisschen lockerer und humorvoller als manch anderer Kollege. Nicht nur mit einem Lächeln, sondern manchmal auch mit einem richtigen Lachen.
Haben sich die Zeiten diesbezüglich geändert?
Auf jeden Fall. Wobei ich sagen muss, dass ich meinen Service eigentlich schon immer so gemacht habe wie heute: locker, aber trotzdem auch professionell. Das darf man nicht vergessen, der Abstand zum Gast ist sehr wichtig, für beide Seiten. Und darum gibt es zum Beispiel sehr, sehr wenige Gäste, zu denen ich eine intensivere Beziehung pflege als die Gastgeber-Gast-Beziehung im Restaurant. In meinen 30 Jahren in der Gastronomie sind so am Ende nur drei wirklich enge Kontakte entstanden und davon eine Freundschaft.
Ist eine gewisse Distanz ein Ausdruck von Professionalität?
Sie gehört ein Stück weit dazu. Aber sie macht die Professionalität nicht aus. Professionell sein heißt, den Job richtig zu machen.
Ist Distanz auch eine Frage des Respekts?
Ja, natürlich.
Welche Rolle spielt die Beratung?
Oh, die spielt eine zentrale Rolle.
In der gehobenen Gastronomie mehr als in einfacheren Restaurants?
Ich denke schon. Wenn in einem gutbürgerlichen Gasthaus fünf Schnitzel auf der Karte stehen, dann weiß der Gast, was ihn erwartet. Zumal er sich ja auch nur das Schnitzel und vielleicht eine Vorspeise bestellt – aber kein großes Menü. Hier bei uns im "Lafleur" ist das eine andere Sache. Wenn beispielsweise ein Gast Pescetarier ist . . .
Also jemand, der kein Fleisch, aber Fisch isst.
. . . dann muss ich den schon ein wenig durch das Menü führen und gegebenenfalls Gänge austauschen. Diese Freiheiten gibt es bei uns selbstverständlich, aber ich muss sie dem Gast auch nahebringen. Außerdem müssen wir auch Produkte erklären: Nicht jeder weiß, dass ein Knurrhahn ein Fisch und kein Geflügel ist oder dass Black Cod ebenfalls ein Speisefisch ist oder Kalbsbries kein Kalbshirn.
Was sind die schwierigsten Situationen? Geht es dabei um schwierige Fragen oder eher um schwierige Gäste?
Unsere Gäste sind vor allem anspruchsvoll. Und manchmal ist es eine Herausforderung, diesen Gästen eine Alternative anzubieten, wenn sie etwas nicht möchten – zum Beispiel wenn sie uns auf Allergien hinweisen und deshalb gewisse Dinge nicht essen können.
Gibt es da einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?
Nein.
Zwischen Alt und Jung?
Nein. Es gibt so viele Dreißigjährige, die in der Welt unterwegs sind und sich mit Toprestaurants und Weinen auskennen – genauso wie die Sechzigjährigen, die das schon seit 20 Jahren machen und wissen, was sie wollen und wo sie hingehen. Und zwischen Männern und Frauen gibt es auch praktisch keine Unterschiede mehr. Die Damenkarte ist vollkommen aus der Mode gekommen – das gibt es höchstens noch, wenn jemand Freunde einlädt und keine Preise auf deren Karten haben will. Und man kann an einem Tisch auch nicht mehr sagen, wer am Ende bezahlt. Natürlich laden auch Frauen ihre Männer oder Geschäftspartner ein.
Sie sind seit 30 Jahren in der Spitzengastronomie tätig. Hat sich das Publikum verändert? Ist es anspruchsvoller geworden durch die Transparenz, die das Internet und die sozialen Medien bieten?
Social Media trägt definitiv dazu bei, dass die Erwartungshaltung der Gäste eine andere ist. Früher haben die Leute in den Guide Michelin geschaut, nach den Sternen und dem kurzen Text. Heute gibt es außerdem das Internet, um sich zu informieren. So hat es die Vergleichbarkeit der Preise, wie sie heute durch das Netz gegeben ist, früher nicht gegeben. Für uns im "Lafleur" bedeutet das zum Bespiel auch, dass internationale Gäste sehen können, dass wir im Vergleich zu Paris, London, New York oder Hongkong geradezu günstig sind. Und wir können unsere Weinkarte im Netz präsentieren – die dann tatsächlich auch manche Leute zu uns lockt. So gesehen ist das Internet immer ein bisschen Fluch und Segen zugleich.
Muss man selbst Feinschmecker sein, um in der Sterne-Gastronomie zu arbeiten?
Ich glaube nicht, aber man muss schon ein Verständnis für die Produkte und das Kochen haben.
Haben Sie im Service denn alles gegessen, was hier im Restaurant auf den Tisch kommt?
Wir setzen uns nicht an den Tisch und bekommen das Menü serviert. Aber wenn neue Gerichte dazukommen, dann probieren wir natürlich die Probeteller, damit wir wissen, was wir servieren und verkaufen.
Ist die Topgastronomie heute insgesamt lockerer als früher?
Unbedingt. Die Gäste wollen das, und wir müssen solchen Trends natürlich folgen. Was nützt es uns, wenn wir in Frack und Fliege bedienen, der Gast sich aber unwohl fühlt, weil er im Poloshirt und Jeans zum Essen kommen möchte. Das war früher der Standard, aber heute ist die Krawatte längst weg. Die Gäste wünschen sich einfach ein lockereres Ambiente.
Wie wichtig ist das Trinkgeld?
Das ist in gewisser Weise eine Anerkennung für unsere Arbeit. Wobei man bedenken muss, dass es international ganz unterschiedliche Gepflogenheiten gibt: In den Beneluxstaaten wird zum Beispiel so gut wie nichts gegeben, in Spanien, Frankreich und Italien auch nur wenig. Bei Amerikanern ist es dagegen dann manchmal exorbitant viel. Aber für uns ist es immer eine Art direktes Feedback.
Zur Person
Boris Häbel ist im Januar 1971 ganz im Süden Deutschlands, an der Grenze zur Schweiz, im Landkreis Waldshut geboren. Nach dem Abitur hat er im Hotel Bareiss in Mitteltal im Schwarzwald eine Ausbildung zum Restaurantfachmann gemacht und anschließend in zahlreichen Sterne-Restaurants in Deutschland und Dubai gearbeitet, darunter in der "Kaminstube" im Hotel Bareiss, im Restaurant "Dieter Müller" im Schlosshotel Lerbach in Bergisch Gladbach, im Hotel Burj al Arab in Dubai, im "Esszimmer" im Hotel Adlon in Berlin und im Restaurant "Tantris" in München. In Frankfurt hat Häbel mehrfach Station gemacht, zunächst im Restaurant "Humperdinck", dann im "Tigerpalast"-Restaurant, im "Brick", im "Surf & Turf" und in der "King Kamehameha Suite". Seit Mai 2020 ist er der Maitre des Zwei-Sterne-Restaurants "Lafleur" im Gesellschaftshaus des Frankfurter Palmengartens. Vom Magazin "Feinschmecker" wurde er 2023 zum Gastgeber des Jahres ausgerufen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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