Édouard Louis auf der Bühne: Liebe und Agitation: Lisa Nielebock hat "Wer hat meinen Vater umgebracht" treu am Text entlang am Schauspiel Frankfurt inszeniert.
Der Mann, der einst Eddy Bellegueule hieß, hat in seiner Emanzipation aus früh erlebtem Leid die Konsequenz gezogen. Die Jugend die Hölle, der Vater ein brutales Opfer der Verhältnisse: Um seiner selbst willen konnte der junge Schwule aus prekären Verhältnissen das, was er als Kind und Jugendlicher durchlebt hat, nicht anders empfinden. So hat er es seinem neuen Pariser Umfeld erzählt, so schlug es sich, in der Analyse einer Herkunft, in seinem atemberaubend frühen internationalen Erfolg als Autor nieder.
Beinahe alle Texte von Édouard Louis, Jahrgang 1992, sind rasch auf Theaterbühnen gelandet, seit dem Bestseller "Das Ende von Eddy", seinem 2014 erschienenen autofiktionalen Debüt. Die Dramatisierungen liegen nahe, hat Louis selbst, wie er es auch in "Wer hat meinen Vater umgebracht" erzählt, doch seit dem Besuch des Lycée mit Schwerpunkt Theater eine Beziehung zur Bühne. An der Berliner Schaubühne spielt er, inszeniert von Thomas Ostermeier, seit 2020 "Wer hat meinen Vater umgebracht" selbst.
Und schildert er, mit den ersten auch brutalen sexuellen Erfahrungen als Heranwachsender, nicht auch Rollenspiele? Im Tüllkleid spielt nun Torsten Flassig, blond und zart wie der Autor, diesen spielenden Jungen, der sich frei tanzt und schwebt, der "Titanic" liebt, der die Arme ausbreitet, der seine Sexualität und sein Selbst entdeckt, die anders sind als das, was seine Umgebung unter "männlich" versteht. Das ist einer der innigen, schönen, auch intensiven Momente in der Inszenierung von Lisa Nielebock, die sich in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt "Wer hat meinen Vater umgebracht" vorgenommen hat.
Gescheiterter und hinfälliger Vater
"Wenn dies ein Theatertext wäre, müsste er mit den folgenden Worten beginnen", fängt Louis’ Text von 2018 an, als rufe er nach der Bühne. Und die potentielle Regieanweisung fährt fort: "Nur der Sohn spricht." So ist es bei Nielebock nicht. Vater (Uwe Zerwer) und Mutter (Manja Kuhl), die wesentlichen Figuren im Kinder- und Jugendleben des Menschen, der damals Eddy war, sind, zunächst lange stumm, aber bald auch das Wort ergreifend, immer da. Alle drei sitzen und gehen im Publikum herum, das Saallicht ist oft an, wie um zu bedeuten, alle seien mit gemeint, müssten sich verhalten zu dem, was gespielt wird. Dazwischen werden Sätze aus einem politischen Essayband verlesen, den Louis mit verfasst hat, Feuer sieht anders aus.
Auch auf dieser Bühne, die ein Leben vorstellt, in dem mit leuchtend weißen Linien (Bühne und Licht: Oliver Helf) zwei Räume aufgeschlagen werden, geht es mehr um den Sohn als um den titelgebenden Vater. Um die unsichtbaren Wände aus Lichtlinien gehen Vater, Mutter, Sohn sorgfältig herum, bis der Sohn, eine unaufdringlich symbolische Geste, die Begrenzungen durchbricht. Da bekommt der mit leiser Gitarrenmusik unterlegte und auch sonst extrem verhaltene Abend ein paar laute, schnellere Effekte. Glas, das an einer unsichtbaren Plexiglaswand zerschellt, Schläge.
Doch man kann und darf diejenigen, die einem grausames Unrecht angetan haben, durchaus lieben. Und verstehen. Das ist vielleicht, was am meisten nachklingt in "Wer hat meinen Vater umgebracht": dieser Umgang eines erwachsenen, in ein ganz und gar anderes Leben geschlüpften Menschen mit seiner Liebe zum in jeder Hinsicht gescheiterten und hinfälligen Vater.
Erzählung eines dramatischen Lebens
Nielebock hat sich den Text, wie man es etwa von ihren "Wahlverwandtschaften" kennt, genau angesehen. Etwas weniger treues Entlangarbeiten und mehr spielerische Freiheit hätten allerdings gutgetan. Und so packt die Inszenierung, wie die Vorlage, auch das Megafon aus. Am elenden Leben des Vaters sind in Louis’ Anklage die Politiker schuld, und die Herrschenden, also jene, denen finanzielle und soziale Not fremd sind, jene, die Politik nicht betrifft. "Emmanuel Macron stiehlt dir das Essen direkt vom Teller." Flassig brüllt ins Mikrofon, ein Störmoment des Lauten, Plakativen.
Das knallt so sehr, dass es falsch klingt. So falsch, wie Zerwer und Kuhl als Eltern wirken, er im gebügelten Klassenkämpfer-Blaumann, sie im roten Jumpsuit und später in einer mausgrauen Kluft, die das Jogginghosen-Prekariat in schick nachstellt: Bürger, die Arbeiterklasse spielen. Eine Irritation, die im Verlauf der 75 eher spannungsarmen Minuten nur beinahe glauben lässt, dies sei der von der Regie subtil eingezogene doppelte Boden, um das, was erzählt wird, zu befragen. So erinnert der Abend an das wie im französischen Original fehlende Satzzeichen des Titels: Dramatisch ist das Leben, das da erzählt wird, allemal. Auf der Bühne allerdings fehlt etwas.
Wer hat meinen Vater umgebracht, Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele, nächste Vorstellungen 23. November und 6. Dezember, 20 Uhr. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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