Max Beckmanns Schüler: Wie kann es sein, dass die Studentinnen und Studenten eines so berühmten Malers kaum bekannt sind? Marion Victor, langjährige Geschäftsführerin des Verlags der Autoren, hat dazu geforscht.
Wie kann das sein, dass einer der berühmtesten Maler des 20. Jahrhunderts fast acht Jahre lang eine Meisterklasse unterrichtet – und seine Schülerinnen und Schüler sind so wenig bekannt? Marion Victor hat das umgetrieben. 1925 ist Max Beckmann (1884 bis 1950) an die damals mit der Städelschule fusionierte Frankfurter Kunstgewerbeschule berufen worden. Seine Schülerinnen und Schüler, fast von Anfang an war seine Klasse gemischt, gehörten zu den vielversprechendsten Studenten der Kunstschule. Sie waren regelrecht handverlesen in Beckmanns Klasse gekommen. Aber wo sind heute die Bilder eines Friedrich Wilhelm Meyer, einer Inge Dinand, eines Karl Theodor Schmidt? Warum spricht man so wenig über sie?
Nun gibt es das Buch "Der gesprengte Kreis" über "Max Beckmanns Schüler zwischen Realismus und Abstraktion" und, von 17. November an, die Ausstellung "Der gesprengte Kreis – Die Schülerinnen und Schüler Max Beckmanns" im Stadtmuseum Hofheim. Beides ist das Ergebnis einer jahrelangen Recherche. Und eines Studiums der Kunstgeschichte an der Frankfurter Goethe-Universität. Was nicht weiter bemerkenswert wäre, hieße die Studentin eben nicht Victor und wäre in der Frankfurter Kunst- und Verlagsszene seit Jahrzehnten eine feste Größe. Sie hat damit gewissermaßen eine dritte Karriere gestartet.
Marion Victor, 1949 in Reutlingen geboren, hatte nach Jahren als Dramaturgin an deutschsprachigen Theatern 1985 als Lektorin im Frankfurter Verlag der Autoren angefangen. Von 1989 bis 2010 ist sie dessen Geschäftsführerin gewesen. Sofort mit Eintritt in den Ruhestand hat sie ihr Studium aufgenommen. Nicht "Universität des Dritten Lebensalters", sondern "ein richtiges Bachelor- und Masterstudium mit allem, was dazugehört", sollte es sein.
"Wie eine Bombe ist der Beckmannkreis 1933 auseinandergeflogen"
Zurück zu den Wurzeln, lautete das Motto, denn Victor hatte ihre Karriere mit einem Studium der Kunsterziehung, Kunstgeschichte und Romanistik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste und Universität in Stuttgart begonnen. Was wiederum gewissermaßen in ihrer Wiege lag. Denn der Vater, Winand Victor, ist Maler gewesen, nur ein paar Jahre jünger als die verschollene Generation der Beckmann-Schüler, und wurde, eine weitere Verbindung, vom Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath vertreten.
Auch zu Victors Leben hat das Zeichnen immer dazugehört, hier und da hat sie auch Zeichnungen publiziert, 2007 etwa hat sie Klaus Reicherts "Wüstentage" illustriert. "Das Verlagswesen war sehr anstrengend, da brauchte ich das absolut andere", sagt Victor. "Insofern ist das alles gar nicht so überraschend." Vieles allerdings an dem, was sie über den Beckmannkreis herausgefunden hat, ist überraschend.
Denn das Schicksal der "verlorenen Generation", jener Künstlerinnen und Künstler, die 1933 am Beginn ihrer Karriere standen und durch den Nationalsozialismus entweder gar nicht mehr ausstellen konnten oder sich durch Seitwärtsbewegungen in für die Diktatur unverfängliche Kunstgebiete begeben mussten, ist lange kaum Thema in der Kunstgeschichte gewesen.
Für die Klasse Beckmann wurde eine hoffnungsfrohe Zukunft im Frühjahr 1933 in Schutt und Asche gelegt. "Wie eine Bombe ist der Beckmannkreis 1933 auseinandergeflogen", erinnerte sich später der Beckmann-Schüler Georg Heck. Noch zu Jahresbeginn 1933 hatte die Klasse in der Ausstellung "Das Junge Frankfurt" erfolgreich ausgestellt, im Februar wurde die Ausstellung vorzeitig beendet, am 29. März wurde Beckmann entlassen. Seine Schülerinnen und Schüler wurden in alle Winde zerstreut, manche, wie Beckmann, in die Emigration, andere in die innere Emigration.
Künstler-Biographien mit Zeit- und Kunstgeschichte verweben
Viele Unterlagen, auch die der Städelschule, sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt. In den Frankfurter Bombennächten haben etliche von Beckmanns Schülern, die hiergeblieben sind, ihr Werk verloren. Wie traumatisch dieses Erleben gewesen sein muss, das abrupte Verbot, die Einordnung ihrer Arbeit als "Verfallskunst", zwölf mühselige Jahre des Durchschlagens, für die Männer auch des Kriegsdienstes, das eigene Schaffen zu verlieren, ist in Victors Studie nachzuspüren. Sie verknüpft in "Der gesprengte Kreis" die Biographien von sieben Beckmann-Schülern bis 1933 und danach mit klugen Bildbeschreibungen, mit der Zeit- und Kunstgeschichte ebenso wie mit der Stadtgeschichte Frankfurts.
Vor dem Beginn des Nationalsozialismus waren Beckmanns Studenten, trotz erster Erfolge, noch zu jung, um feste Größen im Kunstbetrieb zu sein. Und wie andere Maler der "verlorenen Generation" waren sie nach 1945, nicht länger blutjung und dem Gegenständlichen verpflichtet, für den Kunstmarkt nicht mehr interessant. Victor zitiert aus einem Text des ehemaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann, der im Katalog zur Ausstellung "Max Beckmanns Frankfurter Schüler" im Karmeliterkloster 1980 schrieb: "Die Überlebenden befinden sich auch 35 Jahre nach dem Nazischrecken noch immer in ‚Emigration‘." Es sei mehr verloren gegangen als ohnehin befürchtet.
Für Victor hat die Beschäftigung mit der "verlorenen Generation" der Klasse Beckmann mit einer besonderen Begegnung angefangen. 2018 hatte sie im Städel Museum das im Depot verwahrte Kinderbildnis von Inge Dinand gesehen, das 1932/33 entstanden ist. Ein fast herbes, ausdrucksstarkes Kinderporträt, das einzige Bild aus der Klasse Beckmann, das vor 1945 für die Sammlung gekauft wurde. "Das Bild hat mir so gut gefallen, und ich habe mich gefragt, wer die Malerin denn sei", erinnert sich Victor.
Jahrelange Sucharbeit bringt neue Einblicke
Leicht war es nicht, etwas über Inge Dinand (1907 bis 2003) herauszufinden, die ihren Beckmann-Kommilitonen Walter Hergenhahn (1904 bis 1980) geheiratet hatte. Es half, dass alle Schülerinnen und Schüler Beckmanns, bis auf die Wienerin Marie-Louise von Motesiczky (1906 bis 1996), die vor Kurzem auch in der Ausstellung "Städel Frauen" im Städel Museum vertreten gewesen ist, aus Frankfurt und Umgebung stammten. Marion Victor hat einfach im Telefonbuch nachgesehen. Und die Familie Hergenhahn, die sie so gefunden hat, erlaubte ihr, an die 60 Werke im Familienbesitz zu studieren. Auf den Spuren Leo Maillets, vormals Leo Mayer (1902 bis 1990), ist Victor nach dem Kontakt zu seinem Sohn in Italien bis ins Tessin gereist, wo Maillets Atelier erhalten ist.
So hat sie über Jahre zusammengetragen, was den Beckmann-Kreis ausmachte, den Karl Tratt schon 1928 in seinem Gemälde "Atelierszene" festgehalten hat. Beckmann selbst hat sich so gut wie nie über seine Lehre geäußert. "Die ersten Schüler, wie Garve, Tratt, Heck, Dinand, hatten ihn tagtäglich", erläutert Victor. Erst von 1930 an, als Beckmann sich viel in Paris aufhielt, war er nur mehr sporadisch in seiner Klasse. "Ich glaube, er war kompliziert in seiner Kommunikation", sagt Victor. Nachvollzogen hat sie auch, welche Aufgaben, Stillleben, Fensterblicke etwa, er seinen Schülern gab.
Sie selbst wiederum hat die Aufgaben des Studiums genossen, auch wenn ihr dessen modulare Struktur widerstrebte. "Früher dufte man im Studium machen, worauf man Lust hatte", sagt sie. Das Buch "Der gesprengte Kreis" ist die Erweiterung ihrer Masterarbeit. Sie hat tüchtig weitergeforscht. Der akademischen Karriere waren in ihrem Fall kuriose Grenzen gesetzt, denn eine Promotion, wie ursprünglich gedacht, konnte Victor gar nicht an den Master hängen: "Ich habe schon einen Dr. phil." – einen zweiten Doktortitel im selben Wissenschaftsbereich kann man nicht erwerben. Den zweiten Doktor hat Victor ohnehin schon seit einem guten Jahrzehnt, als Ehrendoktorin der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Und nun? "Jetzt bin ich Kuratorin, das ist wunderbar." Das nächste Projekt nach Hofheim ist schon in Arbeit.
Marion Victor "Der gesprengte Kreis", Wiesbaden, Reichert Verlag, 203 Seiten, 39,90 Euro. Die Ausstellung "Der gesprengte Kreis" ist von 17. November an im Stadtmuseum Hofheim zu sehen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.