Industriepartner gesucht: Der Mainzer Chemiker Sebastian Seiffert hat eine Methode entwickelt, um Meerwasser mit weniger Aufwand vom Salz zu befreien. Jetzt sucht er einen Partner, um das Verfahren marktreif zu machen.

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Ein Laborversuch, der auf ein neues Medikament hoffen lässt, ein Gift, das man nicht vermutete, wo man es gefunden hat – beinahe täglich vermelden Forscher Erkenntnisse, die Hoffnungen oder Befürchtungen wecken. Wir fragen nach, was aus solchen Entdeckungen geworden ist.

Es war der "Klimaschock-Moment", der Sebastian Seiffert dazu gebracht hat, sich intensiv mit Meerwasserentsalzung zu befassen. Schon länger hatte der Professor für physikalische Chemie an sogenannten umgebungssensiblen Materialien geforscht: Kunststoffe mit speziellen Eigenschaften, die durch äußere Einflüsse gezielt an- oder abgeschaltet werden können. Mit ihnen könnte man zum Beispiel Medikamente durch den Körper transportieren und erst dort freisetzen, wo sie gebraucht werden.

Vor fünf Jahren bereitete Seiffert auf Bitten der "Scientists for Future" einen Vortrag über den Klimawandel vor. Die Beschäftigung mit den Folgen der Erderwärmung erschütterte ihn derart, dass er selbst zum Aktivisten wurde: Er wirkte bei den "Scientists for Future" mit und kandidierte bei der Bundestagswahl für die Klimaliste Rheinland-Pfalz. Auch seiner wissenschaftlichen Arbeit gab er eine neue Richtung: Er wollte fortan dazu beitragen, die Folgen der Klimakrise zu mildern, vor allem in den besonders hart getroffenen subtropischen und tropischen Ländern.

Schon 2018 hatte er begonnen, sich mit der Frage zu befassen, wie neue Materialien die Entsalzung von Meerwasser vereinfachen könnten. Postdoktorand Amir Jangizehi aus Iran, der damals zu Seifferts Arbeitsgruppe an der Gutenberg-Uni stieß, brachte die nötige Begeisterung und Expertise mit, um die Forschungen in dieser Richtung zu vertiefen.

Zudem hatte das Bundesforschungsministerium ein Förderprogramm aufgelegt, um angesichts der wachsenden Gefahren durch Trockenheit die Wasserforschung im Nahen und Mittleren Osten zu unterstützen. So fügten sich persönliche Neigung und günstige äußere Umstände bestens zusammen.

Seiffert hat der F.A.Z. erstmals vor anderthalb Jahren von seinem Entsalzungsprojekt erzählt; damals war er gerade für seine hervorragende Lehre mit dem Ars-legendi-Fakultätenpreis des Stifterverbandes ausgezeichnet worden. Inzwischen, sagt der Professor, seien die Arbeiten so weit fortgeschritten, dass er nach Wegen suche, die Erkenntnisse seines Teams praktisch anwendbar zu machen.

Konventionelle Entsalzungsverfahren sind teuer

Anlagen zur Entsalzung von Meerwasser gibt es schon lange und in großem Maßstab. Meist nutzen sie das Prinzip der Umkehrosmose: Das Meerwasser wird durch eine Membran gedrückt, deren Poren die Salzteilchen nicht passieren lassen. Normalerweise würden Wassermoleküle eine solche Barriere in Richtung der hohen Salzkonzentration passieren – soll der Vorgang umgekehrt ablaufen, muss Energie aufgewandt werden. Solche konventionellen Entsalzungsanlagen seien teuer und eigneten sich vor allem für wohlhabende Nationen wie Israel, Qatar oder Dubai, sagt Seiffert.

Er glaubt, eine Methode gefunden zu haben, von der auch ärmere Länder mit dicht besiedelten Regionen wie Iran profitieren könnten. Zum Trennen von Wasser und Salz benutzt er Kügelchen aus einem Polymerstoff mit zwei Komponenten: Polyacrylsäure und Poly-N-Isopropyl-Acrylamid. Die erste Komponente bestehe aus geladenen Bausteinen, die das Meersalz zurückhielten. Die Kügelchen saugten sich mit Wasser voll, das aber nicht völlig von Mineralstoffen befreit werde: Es habe daher nicht die für Organismen und Werkstoffe schädlichen Eigenschaften von destilliertem Wasser.

Das Aufquellen der Kügelchen geschieht laut Seiffert ohne Energiezufuhr. Diese ist aber nötig, um das Wasser wieder freizusetzen. Hier kommt die zweite, thermosensible Komponente des Polymers ins Spiel: Erhitzt sich das Material, schrumpfen die Kügelchen, und das Wasser wird herausgepresst. Dafür will sich der Chemiker den Tagesrhythmus zunutze machen: In der kühlen Nacht könnten die Kugeln Meerwasser aufnehmen und es in der Tageshitze mit niedrigem Salzgehalt freisetzen.

Eine Technik auch für Privatleute und kleine Kommunen

Nach der Vorstellung des Forschers könnte das Polymer in einer Anlage eingesetzt werden, die auch für Privatleute und kleine Kommunen erschwinglich wäre. Sie hätte vielleicht die Maße eines Kühlschranks und könnte im Freien stehen, um sich den Temperaturwechsel im Tagesverlauf zunutze zu machen. Ganz ohne Strom, etwa für eine Pumpe, käme das Gerät nicht aus, aber Seiffert nimmt an, dass es trotzdem günstiger zu betreiben wäre als die bisher üblichen Anlagen.

Jetzt sucht der Professor nach einem Partner aus der Wirtschaft, um das Prinzip zur Marktreife zu bringen. Er hat ein Video produzieren lassen, das seine Idee veranschaulicht, und auch schon bei zwei großen Unternehmen angefragt, aber die haben abgelehnt. "Mein Traum wäre es, einen Mittelständler zu finden."

Seiffert rechnet damit, dass es drei bis fünf Jahre dauern würde, aus seiner Demonstrationsanlage einen Prototyp zu entwickeln, der in warmen Ländern erprobt werden könnte. Die Kosten dafür schätzt er auf 500.000 Euro; bis zu 70 Prozent davon könnten nach seinen Worten aus einem Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums gedeckt werden.

Interessieren Sie die Artikel der F.A.Z.?
Uneingeschränkter Zugriff auf diesen und alle weiteren zahlungspflichtigen F+ Inhalte auf FAZ.NET. Jetzt Abo abschließen.

Nun setzt der Professor darauf, dass sich noch mehr potentielle Geldgeber für sein Vorhaben interessieren als die beiden, die sich bisher gemeldet haben. Der eine wollte die Technik für Luxushotels in Dubai nutzen, der andere für die Trinkwasserversorgung von Soldaten. Seiffert, dem an Frieden und sozialer Gerechtigkeit ebenso viel liegt wie am Klimaschutz, lehnte ab: "Das wäre nicht in meinem Sinn."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.